- Der Impfstoff von Johnson & Johnson wäre eine wichtige vierte Säule in der deutschen Impfkampagne, wird aber nun erstmal nicht in die EU geliefert.
- Da bei diesem Vakzin ähnliche Nebenwirkungen aufgetreten sind wie bei Vaxzevria von Astrazeneca, wird es vielleicht ebenfalls nicht an jüngere Menschen verimpft.
- Möglicherweise müssen viele unter 60-Jährige dann noch länger auf eine Impfung warten.
Wenn ein Vehikel etwas transportiert, interessiert meist vor allem, was es transportiert. Im Fall der Vektorimpfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson steht aber seit einiger Zeit das Vehikel selbst im Mittelpunkt.
Denn diese Impfstoffe sind Vektorimpfstoffe und als solche nutzen sie unschädlich gemachte Viren als Transportmittel, um Genmaterial anderer Erreger in Körperzellen einzuschleusen. Das Genmaterial ruft eine Immunreaktion hervor, damit der Körper später auf einen "echten"Angreifer besser reagieren kann.
Impfstoff-Lieferung von Johnson & Johnson in die EU gestoppt
Es gibt unterschiedliche Viren, die als Vektoren verwendet werden, bei Astrazeneca und Johnson & Johnson sind es sogenannte Adenoviren. In den vergangenen Wochen sind zunächst im Zusammenhang mit Impfungen mit dem Astrazeneca- und dann auch mit dem Johnson & Johnson-Vakzin Fälle von Sinusvenen- und anderen Venenthrombosen aufgetreten, von denen einige tödlich endeten. Die gefährlichen Gefäßverstopfungen traten vor allem bei jüngeren Frauen auf, was bei dem Astrazeneca-Impfstoff dazu führte, dass er hierzulande nur noch an Menschen über 60 Jahre verimpft wird.
Der Impfstoff von Johnson & Johnson ist in der Europäischen Union (EU) noch gar nicht im Einsatz, diese Woche sollte es eigentlich mit den Lieferungen losgehen. Nachdem es aber in den USA bei diesem Impfstoff mehrere Fälle von Sinusvenenthrombosen gab, wurde das erstmal gestoppt. Die geplante Anlieferung von rund 233.000 Dosen fiel aus, wie das Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte.
Datenlage legt nahe, dass es an den Adenoviren liegt
Die Gemeinsamkeit des Astrazeneca-Vakzins Vaxzevria und des Johnson & Johnson-Impfstoffs Janssen Covid-19 Vaccine, nämlich der Vektor Adenovirus, lässt einige Wissenschaftler vermuten, dass hier der Auslöser liegen könnte. Zumal es bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna offenbar keine solchen Nebenwirkungen gibt, die über das Maß der allgemein erwartbaren Fälle hinausgehen würden, wie das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Website schreibt.
"Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursachen, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist", sagte etwa Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn der Deutschen Presse-Agentur. Die Virologin Ulrike Protzer sieht das ähnlich: "Nach der Datenlage besteht zumindest die Möglichkeit, dass Adeno-Vektorimpfstoffe diese Komplikation eher verursachen als andere Impfstoffe", schrieb sie unserer Redaktion auf Anfrage.
Allerdings müssten weitere Untersuchungen abgewartet werden, bevor man endgültig sagen könne, ob ein generelles Risiko für die Impfstoffe besteht, die auf adenoviralen Vektoren basieren. Dass Vektorimpfstoffe generell solche Komplikationen verursachen, denkt Protzer nicht. Es gebe keine Hinweise darauf, dass etwa MVA-Impfstoffe, die das Modified-Vaccinia-Ankara-Virus als Vektor nutzen, diese Art von Thrombosen hervorrufen, so die Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München. "Pockenvirus-Impfstoffe, sogenannte MVA-Impfstoffe, wurden schon lange und breit eingesetzt und gelten als sehr sicher."
Über den Mechanismus, der möglicherweise zu den Thrombosen führt, gibt es jedenfalls bereits erste wissenschaftliche Erkenntnisse. Forscher der Universität Greifswald haben anhand von Blutproben von Betroffenen festgestellt, dass der Impfstoff die Blutplättchen aktiviert und so zum Verklumpen veranlasst hat. Prinzipiell ist dieses Verklumpen gut, weil der Körper damit Wunden verschließt. Mitunter können dadurch eben aber auch Gefäße verstopfen.
Auch Sputnik V nutzt Adenoviren
Dennoch müssen dafür nicht unbedingt die Adenoviren verantwortlich sein. Es sei theoretisch auch möglich, dass das Spike-Protein des Virus, das in allen verfügbaren Impfstoffen dem Immunsystem zur Bildung von Abwehrstoffen präsentiert wird, die Nebenwirkungen verursacht, sagte Johannes Oldenburg. Ebenso sei es grundsätzlich möglich, dass die Nebenwirkungen unspezifisch im Rahmen der allgemeinen Immunantwort ausgelöst würden.
Wenn es aber doch an den Adenoviren liegt, hat womöglich noch ein anderer Vektor-Impfstoff ein Problem: Sputnik V nutzt nämlich laut der "European Medicines Agency" ebenfalls diese Art von Viren. Der Impfstoff aus Russland ist in der EU noch nicht zugelassen, allerdings haben sich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern jeweils im Alleingang 2,5 beziehungsweise eine Million Dosen davon gesichert.
Was der Ausfall für die deutsche Impfstrategie bedeutet
Was der (vorübergehende) Ausfall des Johnson & Johnson-Vakzins für die deutsche Impfstrategie bedeutet, ist im Moment noch schwer zu sagen. Die ersten Lieferungen fielen zwar aus, aber wie sich die aktuelle Entwicklung auf die angepeilte Gesamtliefermenge des Impfstoffes für das zweite Quartal auswirken wird, ist unklar. Das Bundesgesundheitsministerium ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Nach wie vor stehen jedoch die 10,1 Millionen Johnson & Johnson-Dosen für den Zeitraum April bis Juni im Plan (PDF) - neben den 40,2 Millionen von Biontech/Pfizer, den 6,4 Millionen von Moderna und den 12,4 bis 15,4 Millionen von Astrazeneca. Da die Lieferprognosen den Stand 22. März haben, sind die neun Millionen zusätzlichen Dosen, die Biontech für das zweite Quartal vorzieht, vermutlich hier noch nicht eingerechnet.
Die Dosen von Astrazeneca stehen aber im Prinzip nur den über 60-Jährigen zur Verfügung, allen anderen wird der Impfstoff nicht empfohlen. Angesichts der Thrombose-Meldungen beim Johnson & Johnson-Vakzin befürchten einige Fachleute nun schon, dass dieser Impfstoff ähnliche Beschränkungen bekommt - und das Impfen der Jüngeren sich dadurch weiter nach hinten schieben würde, womöglich bis zum Ende des Jahres.
"Dann könnte uns eine vierte Pandemie-Welle bevorstehen, weil wir noch nicht die Herdenimmunität erreicht haben, die wir eigentlich im Spätsommer beziehungsweise Anfang Herbst erwarten könnten", sagte etwa der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, der Augsburger Allgemeinen Zeitung.
Warten auf Curevac
Denn fällt Johnson & Johnson aus, würden für die unter 60-Jährigen weiterhin "nur" die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna zur Verfügung stehen - das wären für das zweite Quartal die besagten 46,6 (oder eben 54) Millionen.
Derzeit liegt die Impfquote der einmal geimpften unter 60-Jährigen je nach Bundesland zwischen 8,9 und 11,1 Prozent, die der zweimal Geimpften zwischen 1,6 und 2,6 Prozent. In Baden-Württemberg sind es beispielsweise laut Robert-Koch-Institut 9,4 beziehungsweise 2,2 Prozent. Insgesamt leben dort gemäß dem Statistischen Landesamt rund 6,3 Millionen Menschen zwischen 17 und 60 Jahren. Theoretisch wären also allein in diesem Bundesland mehr als 12 Millionen Dosen nötig - wobei aber schon rund 760.000 unter 60-Jährige einmal und rund 180.000 zweimal geimpft wurden (und sich ja nicht alle Menschen impfen lassen wollen).
Dennoch macht das Beispiel deutlich: Auch wenn das Impftempo zuletzt deutlich zugelegt hat, ist jede Millionenbestellung von Impfstoffen nötig und hilfreich. Zumal von dem Johnson & Johnson-Impfstoff ja eine Dosis für einen Immunschutz reichen soll. Immerhin wird für Juni die Zulassung eines weiteren Impfstoffes erwartet, nämlich des Vakzins von Curevac. Es ist ein mRNA-Impfstoff.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Professor Ulrike Protzer, Virologin und Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München (TUM) und am Helmholtz Zentrum München
- Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 9. April 2021
- Impf-Monitoring des Robert Koch-Instituts (RKI)
- Website des Bundesgesundheitsministeriums: Lieferprognosen der Hersteller für 2021 und Lieferungen an die Länder im April und Impfdashboard
- Bericht des Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) in den USA (das dortige Gremium für Impfemfehlungen)
- Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zu Sputnik V
- Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
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