- Mit steigenden Inzidenzwerten und Zahlen an COVID-19-Patienten wird der Ruf nach 2G immer lauter.
- In Österreich und Sachsen haben bereits jetzt nur noch Geimpfte oder Genesene Zugang zu vielen Bereichen des öffentlichen Lebens.
- Doch welche Effekte hätte eine flächendeckende Ausweitung der 2G-Regel in ganz Deutschland?
In Österreich ist seit Montag der Druck auf Ungeimpfte weiter gestiegen, genauso in Sachsen. In der Alpenrepublik wie auch in dem ostdeutschen Bundesland haben nun nur noch Geimpfte oder Genesene Zugang zu vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, darunter Restaurants oder Veranstaltungen. Landesweit gilt dort die sogenannte 2G-Regel. Auch in Berlin müssen sich Ungeimpfte auf stärkere Corona-Einschränkungen einstellen.
Der Grund für die Verschärfungen: Steil ansteigende Fallzahlen und immer mehr COVID-19-Patienten in den Krankenhäusern. Experten sehen einen der Hauptgründe für die Entwicklung bei den niedrigen Impfquoten. In Österreich haben noch mehr als 25 Prozent der Menschen ab 12 Jahren kein Impfzertifikat, in Berlin 30 Prozent und in Sachsen sind es sogar über 40 Prozent.
Doch könnte eine flächendeckende Ausweitung der 2G-Regelung in Deutschland die vierte Welle brechen? Wo würden die verschärften Maßnahmen etwas bringen – und wo eher nicht?
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Je höher der Anteil der Ungeimpften, desto höher das Infektionsrisiko bei Veranstaltungen
Klar ist: Bei 2G bleiben Ungeimpfte im Vergleich zu 3G – geimpft, genesen, getestet – außen vor. "Beim Besuch einer 3G-Veranstaltung ist ungewiss, wie hoch der Anteil der Ungeimpften ist. Je höher dieser Anteil, desto höher das Risiko einer Infektion", betont das Robert-Koch-Institut (RKI) in einem Informationspapier zur 2G- beziehungsweise 3G-Regel.
Das liegt daran, dass vor allem Antigen-Schnelltests nicht alle Infektionen sicher erkennen können. Insbesondere zu Beginn einer Infektion oder bei fehlerhafter Durchführung steigt laut RKI das Risiko, dass eine Person ein negatives Testergebnis bekommt, obwohl tatsächlich eine Infektion vorliegt. Die Wahrscheinlichkeit solcher falsch-negativer Resultate ist bei PCR-Tests "wesentlich geringer", schreibt das Institut.
Zwar können Menschen nach einer Impfung das Coronavirus weiterhin übertragen. Doch das Risiko, das von geimpften und ungeimpften Infizierten ausgeht, unterscheidet sich: "Wenn sich Geimpfte infizieren, haben sie laut einer Studie zwar kurzzeitig eine so hohe Viruslast wie Ungeimpfte", erläuterte der Bonner Virologe Hendrik Streeck. "Diese fällt aber sehr viel schneller ab. Damit verkürzt die Impfung die Zeitspanne, in der das Virus weitergegeben werden kann."
Dazu kommt: Die Impfung verringert das Risiko, schwer an SARS-CoV-2 zu erkranken, erheblich. Mehr Geimpfte heißt deshalb im Endeffekt weniger COVID-19-Patienten in den Krankenhäusern und den dortigen Intensivstationen und umgekehrt mehr Kapazitäten für andere Patientengruppen.
Eine Infektion könnte bei Geimpften zudem wie eine Auffrischungsimpfung wirken, sagt der Impfstoffforscher Leif Sander von der Charité in Berlin. Ausreichend Daten dazu lägen aber noch nicht vor.
Gestiegene Nachfrage an Impfungen nach Einführung von 2G
Experten wie der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sehen 2G als ein Mittel, um die Impfquote zu erhöhen. Die womöglich direkten Folgen wurden bereits am Wochenende vielerorts in Österreich sichtbar: lange Schlangen vor den Impfzentren; auch in Sachsen stieg die Nachfrage sprunghaft. Ähnliches war zuvor beispielsweise auch in Italien nach der dortigen Einführung des "Green Pass" zu beobachten, einer Art 3G-Pflicht am Arbeitsplatz.
Zum anderen soll 2G weitere verschärfte Maßnahmen für die gesamte Bevölkerung vermeiden und letztendlich Lockerungen ermöglichen. "Es wird keinen Lockdown mehr geben, daher müssen wir auf 2G setzen", sagte etwa der SPD-Gesundheitspolitiker
Damit spricht der SPD-Politiker einen wichtigen Punkt an: In der Praxis wird in Deutschland oft noch auf eine Kontrolle der Impfzertifikate verzichtet, diese werden bisher nur in Ausnahmefällen gescannt und digital überprüft. Andere Länder, wie Frankreich oder Italien, sind bei der Handhabung viel strikter. Österreich will die neuen Einschränkungen für Ungeimpfte mit einem breiten Einsatz von Polizeistreifen durchsetzen.
2G führt nicht zwangsläufig zu weniger Infektionen
Die 2G-Regelung zielt, so wie sie in Österreich oder Sachsen umgesetzt ist, vor allem auf die jüngeren Altersgruppen. Sie sind bisher unterdurchschnittlich geimpft, mit 2G soll der Anreiz für eine Corona-Impfung erhöht werden. Umgekehrt sind aber beispielsweise Kirchen oder auch Weihnachtsmärkte bisher nicht von der neuen Regelung betroffen – damit verfehlt sie ungeimpfte Seniorinnen und Senioren und damit genau jene Altersgruppe, die im Falle einer Infektion sehr viel häufiger hospitalisiert werden muss.
2G würde auch aus weiteren Gründen nicht per se zu mehr Sicherheit führen, also zu weniger Neuinfektionen:
- An COVID-19 erkranken in Deutschland überproportional viel Arme, Menschen mit wenig oder gar keinem Einkommen lehnen außerdem überproportional häufig eine Corona-Impfung ab. Da sich diese Menschen kaum einen Besuch im Restaurant oder Theater leisten können, spielt es für diese wohl in der Regel auch keine Rolle, ob 2G oder 3G gilt. Eine mögliche Verschärfung hätte daher keine oder nur sehr wenige Auswirkungen und würde damit auch keinen Anreiz zur Impfung darstellen.
- Mit der 2G-Regelung fallen meistens Abstandsregeln und Maskenpflicht weg. Ersteres verschafft Gastronomen mehr Platz für Tische und unter Umständen damit mehr Gäste und Umsätze. Zweiteres ist allerdings eine der Maßnahmen, die am besten neue Ansteckungen verhindert. "Die Geimpften haben das Gefühl, sie sind nicht mehr Teil der Pandemie und verhalten sich auch entsprechend risikoreich", bemerkt der Virologe
Streeck im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). - "Das zweite Problem sind die Ungeimpften, die ausgeschlossen werden und sich noch weniger testen lassen", sagte Streeck weiter. Das könne zu unkontrollierten Ausbrüchen führen. "Wenn Ungeimpfte am Sozialleben nicht teilnehmen dürfen, organisieren sie sich zum Beispiel Feiern zu Hause. Dort lässt sich das Infektionsgeschehen dann überhaupt nicht mehr kontrollieren."
2G nur "Scheinsicherheit"?
Nicht zu vergessen: Mit der Zeit sinkt die Schutzwirkung der Corona-Impfstoffe. Ein Vorgang – der wie Impfdurchbrüche – ebenso bei Impfungen gegen andere Krankheiten vorkommt.
Eine Auffrischungs- beziehungsweise Boosterimpfung, hätte daher unabhängig von der Regelung "einen dämpfenden Effekt auf die Virusverbreitung in der Bevölkerung", sagt der Charité-Wissenschaftler Sander. Die dritte Impfung verbessere die Immunität wieder deutlich. Sander berief sich auf Erfahrungen in Israel, wo man sich aus der vergangenen Welle "herausgeboostert" habe.
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hatte bereits am Wochenende davor gewarnt, die Wirkung von 2G-Regeln zu überschätzen. Sie gäben nur eine "Scheinsicherheit", sagte er im Deutschlandfunk mit Blick auf mögliche Infektionen durch Geimpfte. Wenn man wirklich Sicherheit wolle, helfe nur 1G weiter – also alle zu testen, egal ob geimpft, ungeimpft oder genesen.
Verwendete Quellen:
- Robert-Koch-Institut: "Welches Risiko gehe ich bei einem Besuch einer 2G- oder 3G-Veranstaltung diesen Herbst/Winter ein?"
- Publikum: "2G - sinnvoll oder gefährlich?"
- ZDF: "Weltärztebund-Chef fordert 2G-Regel"
- Der Spiegel: "'Schnitzelpanik' in Österreich – lange Schlangen vor Impfzentren"
- Tagesschau: "Greenpass in Italien zeigt Wirkung"
- Rheinische Post: "Lauterbach rät von Weihnachtsfeiern und Karneval ab"
- Statista: "Ich bin auf jeden Fall bereit, mich gegen Corona impfen zu lassen"
- Max-Planck-Gesellschaft: "Gesichtsmasken schützen effektiv vor Covid-19"
- Twitter-Kanal von Claus Hecking und Karl Lauterbach
- Meldungen der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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