- Der Verkauf von E-Autos in Deutschland nimmt zunehmend Fahrt auf.
- Das betrifft vor allem batterieelektrische Fahrzeuge und Hybride. Wasserstoff als Antriebsquelle spielt auf der Straße kaum eine Rolle.
- Die deutschen Pkw-Hersteller haben sich auf Batteriestromer festgelegt. Zu Unrecht?
Für Herbert Diess gibt es offenbar nur eine Zukunft: Nachdem das VW-Werk in Zwickau komplett auf E-Mobilität umgerüstet wurde und dort täglich 1.000 Fahrzeuge der ID-Reihe vom Band laufen, heißt sie: Batterie, Batterie, Batterie.
Das teilte der VW-Chef vergangene Woche auch unmissverständlich auf Twitter mit: "Das Wasserstoff-Auto ist nachgewiesen NICHT die Klimalösung. Im Verkehr hat sich die Elektrifizierung durchgesetzt. Scheindebatten sind reine Zeitverschwendung. Bitte auf die Wissenschaft hören!", schrieb er.
Die Wissenschaft ist in seinem Fall das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dieses zieht in einer Studie das Fazit, dass es mittelfristig der falsche Weg sei, Wasserstoff und daraus hergestellte Kraftstoffe für den Antrieb von Pkw zu nutzen. Der Einsatz des Gases als Treibstoff sei ineffizient und kostspielig, so die Potsdamer Wissenschaftler.
Scheuer: "Müssen bei ALLEN Technologien weiter forschen"
Im Bundesverkehrsministerium in Berlin wurde die Twitter-Botschaft aus Wolfsburg gelesen - und offenbar stieß Herbert Diess' Äußerung nicht auf große Freude, verfolgt die Bundesregierung doch mit ihrer Wasserstoffstrategie gerade einen langfristigen Umbau der Energieversorgung in Deutschland.
Noch am selben Tag reagierte Bundesverkehrsminister
In einer späteren Twitter-Meldung wandte sich Scheuer direkt an die Unternehmen und schrieb: "Die Automobilhersteller müssen bei #H2 dranbleiben."
Wasserstoffautos eher Mangelware
Fakt ist jedenfalls: Wasserstoffautos mit Brennstoffzelle sind auf deutschen Straßen rar. Etwa 800 zugelassene Pkw soll es laut Kraftfahrzeugbundesamt Ende 2020 gegeben haben. Zum Vergleich waren zum Jahreswechsel knapp 310.000 rein batterieelektrische Pkw hierzulande unterwegs, dazu kommen noch Hybride.
Auch das Angebot hält sich in Grenzen. Für den durchschnittlichen Verbraucher gibt es im Wasserstoffsegment derzeit nur den Hyundai Nexo und den Toyota Mirai, BMW will im nächsten Jahr mit einem SUV auf X5-Basis den Einstieg in den Wasserstoffantrieb wagen. Mercedes hatte bisher den GLC F-Cell im Angebot, das Auto aber im April 2020 wieder vom Markt genommen. Der Stuttgarter Autobauer konzentriert sich mittlerweile lieber auf die Erforschung des Wasserstoffantriebes für den Lkw-Verkehr.
Im Volkswagen-Konzern verfolgte man die Wasserstofftechnologie in der Vergangenheit mit dem Audi A7 Sportback h-tron quattro sowie mit der Studie h-tron quattro Concept. Richtig auf den Markt gekommen sind diese Autos allerdings nicht. Im Moment ist es still geworden um die Brennstoffzelle in Wolfsburg und Ingolstadt.
ADAC gegen einseitige Entwicklung
Beim Automobilverband ADAC hält man eine parallele Entwicklung mehrerer Antriebsformen im Pkw-Bereich dagegen weiterhin für sinnvoll: "Wasserstoff sollte daher nicht nur für spezifische Sektoren wie Industrie, Luftfahrt, Schifffahrt oder Nutzfahrzeuge reserviert werden", heißt es in einem Positionspapier.
Mit Blick auf Risikodiversifizierung, technische Potenziale und Kundenakzeptanz könne Wasserstoff als Kraftstoff eine Perspektive sein. Der ADAC verweist auf eine gute Speicherfähigkeit und Synergieeffekte, die Wasserstoff als Verbindungselement zwischen Stromerzeugung, Wärmemarkt und Verkehr biete.
Und es gibt durchaus Vorteile von Wasserstoffautos. Thomas Unwerth, Professor für Alternative Fahrzeugantriebe an der TU Chemnitz, sieht die Stärken der Brennstoffzelle in ihrer Alltagstauglichkeit. Ein Wasserstoffauto lasse sich innerhalb von drei Minuten so betanken, dass es problemlos eine Reichweite von mehr als 500 km schaffe, erklärt er.
Das sei nicht viel schlechter als das Betanken mit Diesel oder Benzin. Aus diesem Grund könnten Wasserstoffautos gerade für Vertreter, die lange Strecken fahren und wenig Zeit zum Tanken hätten, eine praktische Alternative sein. Und neue Zapfsäulen für Wasserstoff könne man auch an bestehenden Tankstellen nachrüsten.
Allerdings sind momentan nur knapp 100 solcher Zapfsäulen für Wasserstoff in Deutschland zu finden, und damit weit weniger als Ladestationen für Batterien, deren Anzahl auf mehr als 23.000 geschätzt wird. Die Bundesregierung will zwar den weiteren Ausbau fördern, aber als Zielmarke stehen hier nur 400 Wasserstofftankstellen bis zum Jahr 2025.
Wirkungsgrad besser als bei Verbrenner
Und was ist mit der Effizienz? Welcher der beiden Antriebe - Batterie oder Wasserstoff - hat die bessere Energiebilanz? Dieser Punkt geht an die Batterie, die Erklärung dafür ist einfach: Genau wie Verbrennungsmotoren handelt es sich bei der Brennstoffzelle um einen Energiewandler, Wasserstoff wird darin zu elektrischem Strom. Bei der Batterie muss die Energie dagegen nicht mehr umgewandelt werden, die Elektro-Power kann quasi direkt abgerufen werden.
Allerdings hat die Umwandlung auch Vorteile: Mit der Abwärme aus der Brennstoffzelle kann der Innenraum eines Autos beheizt werden, bei batterieelektrischen Pkw zieht das Ladung, was gerade an kalten Tagen viel Reichweite kosten kann.
Bleiben wir aber bei normalen Außentemperaturen. Laut Christian Mohrdieck könnten einzelne Brennstoffzellen einen maximalen Wirkungsgrad von 83 Prozent erreichen. Das Gesamtfahrzeug komme auf gut 50 Prozent, sagt der Wissenschaftler, der bei der Firma Cellcentric, einem Joint Venture von Daimler Truck und Volvo Group, für die Brennstoffzellenforschung verantwortlich ist.
Betrachtet man die Energiebilanz allerdings ab dem Zeitpunkt der Energieerzeugung bis zum Einsatz im Fahrzeug, kommt man laut Mohrdieck auf einen Wirkungsgrad von nur noch 29 bis 32 Prozent. Damit sei das Brennstoffzellenauto aber immerhin besser als Benziner (22 Prozent) oder Diesel (25 Prozent).
Maximilian Fichtner legt eine pessimistischere Rechnung für den Wasserstoffantrieb vor. Der Vize-Direktor des Helmholtz-Instituts für Elektrochemische Energiespeicherung in Ulm betont: Wasserstoff müsse erst aufwendig per Elektrolyse erzeugt und dann wiederum in der Brennstoffzelle zu Strom umgewandelt werden. Ihm zufolge bleibt am Ende ein Wirkungsgrad von 15 bis 18 Prozent. Dies sei bei einem reinen Elektrofahrzeug besser, so Fichtner.
Die Batteriestromer haben momentan noch einen weiteren Vorteil vorzuweisen. Durch einen stetigen Rückgang der Batteriepreise seien die Batteriekosten teilweise auf 100 US-Dollar pro Kilowattstunde gesunken, schätzt Fichtner. Damit ließen sich E-Autos bauen, die nicht mehr teurer als Autos mit Verbrennungsmotoren sind.
Derzeit sei Wasserstoff gegenüber dem Strompreis nicht konkurrenzfähig, so Fichtner. Außerdem sei der CO2-Fussabdruck eines Brennstoffzellenautos, das derzeit mit "grauem" - also aus Erdgas hergestelltem - Wasserstoff betrieben werde, etwa zweimal so hoch wie der eines Diesels. "Autohersteller zögern auch deshalb, weil sie durch Brennstoffzellenfahrzeuge ihre Flottengrenzwerte für CO2 in Gefahr bringen", sagt der Wissenschaftler.
Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff
Eben wegen dieses "grauen" Wasserstoffs zeigt sich auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) skeptisch. "Aktuell steht kein grüner Wasserstoff zur Verfügung, die industriellen Produktionskapazitäten sind noch gar nicht vorhanden. Zur Herstellung grünen Wasserstoffs werden große Mengen zusätzlichen Ökostroms benötigt, was die Energiewende erschwert", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Ökostrom werde noch auf absehbare Zeit ein knappes Gut bleiben. "Grüner Wasserstoff sollte deshalb nur dort zum Einsatz kommen, wo wir keine Alternativen haben. Bei Pkw ist daher auch weiterhin der Elektroantrieb die bevorzugte Wahl." Mit einem umfangreichen Ausbau von Anlagen für Erneuerbare Energien will die Bundesregierung allerdings die Voraussetzungen zur Erzeugung grünen Wasserstoffes schaffen.
Und das hätte wiederum Einfluss auf die Ökobilanz des Wasserstoff-Autos. Dazu Brennstoffzellenforscher Christian Mohrdiek: "Berücksichtigt man, dass Strom und Wasserstoff regenerativ erzeugt werden und damit aufgrund der Volatilität von Wind- und Sonnenenergie auch für elektrische Speicher benötigt werden, sind Brennstoffzellen- und Batteriefahrzeug in der Ökobilanz gleichauf – mit leichten Vorteilen für die Brennstoffzelle."
Auch der Chemnitzer Wissenschaftler Thomas Unwerth sagt, dass man die Ökobilanz des Wasserstoffautos nur in einem globalen Zusammenhang betrachten könne. Denn mit der Entwicklung einer Wasserstoffgesellschaft, wie sie derzeit geplant sei, werde eine Infrastruktur geschaffen, mit der auch der Verkehrssektor einfach mit grünem Wasserstoff versorgt werden könne.
Mit Blick auf diese Zukunft verweist das Bundesverkehrsministerium in Berlin auf eine Studie des Hydrogen Council, wonach Wasserstoffantriebe ab 2030 für die meisten Anwendungen im Straßenverkehr wettbewerbsfähig seien. "Wir sehen in Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeugen eine sinnvolle ergänzende Lösung zu Batteriefahrzeugen - insbesondere für schwere Fahrzeuge und Langstreckensegmente", erklärt eine Sprecherin des Ministeriums.
Oder kommt alles ganz anders?
Neben Wasserstoff und Batterie haben Visionäre aber noch andere Ideen für den ökologischen Individualverkehr der Zukunft. So sorgte Anfang Mai ein Bericht des Bayerischen Rundfunks für Aufsehen, in dem ein Antriebskonzept mit einer Methanol-Brennstoffzelle vorgestellt wurde, die Strom in eine Batterie einspeist. Umgesetzt in einem Fahrzeug hat das Ganze Roland Gumpert, der als einer der Väter des Audi Quattro gilt.
Der mittlerweile 76-jährige Ingenieur rüstete einen E-Smart im Auftrag des Verkehrsministeriums auf diese Methanol-Brennstoffzelle um. Seither ist das Auto 15.000 Kilometer gefahren - mit großer Reichweite, ohne Ladekabel, nur mit grünem Methanol betankt. "Dieses Konzept können wir in jedes beliebige Auto einbauen, in einen Polo mit 50 PS oder in einen Langstrecken-Lkw mit 40 Tonnen", sagte der Ingenieur in dem Fernsehbeitrag. "Wir sind den normalen Batterieautos haushoch überlegen."
Sein ehemaliger Arbeitgeber Audi will von den Ideen Gumperts nichts wissen. Gegenüber dem BR erklärte der Konzern: "Die Elektromobilität ist der mit Abstand effizienteste Weg zur Dekarbonisierung und zum Erreichen der CO2-Flottenziele. Audi konzentriert sich daher auf batterieelektrische Mobilität."
Auch Andreas Scheuers Bundesverkehrsministerium, das den an Gumpert verschenkten Smart offenbar schon vergessen hatte, reagierte zunächst zurückhaltend. Auf Anfrage des Senders kam als Antwort: Methanolbrennstoffzellen-Systeme seien keine massentaugliche Lösung. Inzwischen soll sich das Bundesverkehrsministerium direkt bei Roland Gumpert in Ingolstadt gemeldet haben. Anschließend sagte der Ingenieur dem Sender: "Wir sind vergessen worden, und man hat sich entschuldigt und wird uns jetzt bald einen Termin für eine Videokonferenz geben."
Über die Experten:
- Professor Thomas von Unwerth leitet seit Juli 2010 die Professur Alternative Fahrzeugantriebe an der Fakultät Maschinenbau der Technischen Universität Chemnitz.
- Professor Christian Mohrdieck ist verantwortlich für die Brennstoffzellenforschung bei der Cellcentric GmbH & Co. KG, einem 50:50 Joint Venture der Daimler Truck und Volvo Group.
- Professor Maximilian Fichtner ist beim Helmholtz-Instituts Ulm zuständig für Elektrochemische Energiespeicherung.
- Jürgen Resch ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.
Verwendete Quellen:
- Website des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung: Wasserstoff statt Elektrifizierung? Chancen und Risiken für Klimaziele
- nature.com: Potential and risks of hydrogen-based e-fuels in climate change mitigation
- bmwi.de: Die nationale Wasserstoffstrategie
- Website des ADAC: Wasserstoff als Kraftstoff für PKW
- tagesschau.de: Tanken statt laden: Das bessere E-Auto?
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