EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kündigte vor einem Jahr an, die halbjährliche Zeitumstellung abschaffen zu wollen. Warum das Projekt derzeit stockt - und eventuell scheitern könnte.
Die Zahlen sehen auf den ersten Blick beeindruckend aus: 4,6 Millionen Teilnehmer, 84 Prozent davon für die Abschaffung der Zeitumstellung. Als die EU-Kommission am 31. August 2018 die Ergebnisse ihrer erfolgreichsten je durchgeführten öffentlichen Befragung bekannt gibt, ist Behördenchef
"Die Menschen wollen das, wir machen das", sagt er. Flugs präsentiert die Kommission einen offiziellen Gesetzesvorschlag, wonach die halbjährliche Zeitumstellung baldigst abgeschafft werden soll. Ein Jahr später steht die Umsetzung allerdings in den Sternen. Vor allem an einer Stelle gibt es Probleme.
Großer Teil der EU-Staaten weder für noch gegen Zeitumstellung
Ein großer Teil der EU-Staaten habe noch immer keine Position, heißt es aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Es gebe die Sorge, dass die Auswirkungen einer Änderung nicht ausreichend erforscht und analysiert seien.
Dabei schien die Sache ursprünglich einfach: "Millionen haben geantwortet und sind der Auffassung, dass es so sein sollte, dass die Sommerzeit in Zukunft für alle Zeit gilt", sagte Juncker bei der Vorstellung der Befragungsergebnisse. Dass die 4,6 Millionen Teilnehmer weniger als 1 Prozent der EU-Bürger darstellen, dass allein 3 Millionen von ihnen aus Deutschland kommen - geschenkt. Das Europaparlament stimmte mit breiter Mehrheit für die Abschaffung 2021.
Staaten sollen Zeit selber wählen - was zum Problem wird
Die ewige Sommerzeit schlug die Kommission allerdings gar nicht vor. In ihrem Entwurf ist lediglich vorgesehen, dass die halbjährliche Umstellung abgeschafft wird. Die Staaten werden selbst wählen können, ob sie dauerhaft Sommer- oder Winterzeit wollen.
Und genau hier liegt wohl das größte Problem. Derzeit gibt es in Mitteleuropa eine große Zeitzone von Polen bis Spanien, zu der Deutschland und 16 weitere EU-Länder gehören. Einige Staaten - etwa Griechenland - sind eine Stunde voraus, andere - zum Beispiel Portugal - eine Stunde zurück. Ein wichtiges Anliegen etlicher Staaten ist es daher, einen Zeit-"Flickenteppich" zu vermeiden. Dafür müssen sie sich nicht nur jeweils intern, sondern auch untereinander abstimmen - und das braucht Zeit.
EU hat größere Aufgaben als Zeitumstellung
Hinzu kommt, dass die Staaten eigentlich derzeit ganz andere Probleme haben: Am 31. Oktober droht ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU, die stockende Reform des EU-Asylrechts droht die Union weiter zu spalten, bei den heiklen Verhandlungen über den künftigen EU-Finanzrahmen gibt es wenig Fortschritte. Und am 1. November soll auch noch die neue Kommission unter der designierten Präsidentin Ursula von der Leyen die Arbeit aufnehmen. Diese könnte den Vorschlag dann theoretisch auch wieder zurückziehen.
Hinter vorgehaltener Hand wird daher in Brüssel getuschelt, der Vorschlag sei eine verhüllte Retourkutsche von Kommissionschef Juncker. Aus seiner Sicht musste die Behörde in den vergangenen Jahren oftmals als Sündenbock für vermeintliches Versagen der EU herhalten, wenn es eigentlich die Staaten waren, die sich in verschiedenen Fragen untereinander nicht einigen konnten. Als Antwort auf die zunehmende Forderung aus den Staaten nach nationaler Souveränität habe er ihnen daher eine Nuss vorgelegt, die allein keiner von ihnen knacken kann, so die Vermutung.
Finnland will als Ratspräsidentschaft Klimaschutz vorantreiben
Die EU-Kommission selbst kommentiert die Angelegenheit naturgemäß deutlich sachlicher. "Die Kommission hat die Sommerzeit-Frage nach zahlreichen Forderungen von Bürgern und Staaten, einer Resolution des Europaparlaments, einer Zahl an Studien und einer öffentlichen Befragung auf die politische Agenda gehievt", sagt ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Es sei nun an den EU-Staaten, eine gemeinsame Position zu finden.
Genau dies gestaltet sich aber schwierig. Für Finnland, das bis Ende des Jahres den Vorsitz unter den EU-Staaten hat, ist es eine undankbare Aufgabe. Die Finnen haben zudem ganz andere Themen während ihrer Ratspräsidentschaft zur Priorität erklärt, allen voran den Klimaschutz.
Die nächste offizielle Gelegenheit für die EU-Staaten, das Thema abzuschließen, bietet sich beim Treffen der Verkehrsminister im Dezember. Wenn sie das nicht schaffen, könnte es irgendwann auch bei den Staats- und Regierungschefs landen. Davon sei im Moment aber noch keine Rede, heißt es in Brüssel. (dpa/sap) © dpa
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