Seit 2006 ist Hannes Jaenicke mit der Doku-Reihe "Im Einsatz für ..." unterwegs. In seinem neuen Film widmet sich der Schauspieler und Naturschützer den Meeresschildkröten. Die vom Aussterben bedrohten Tiere stehen für ihn symbolisch für den "grauenhaften Umgang des Menschen mit der Natur". Da auch der Schiffsverkehr maßgeblich zu diesem Problem beiträgt, würde Jaenicke keine Kreuzfahrt buchen und findet auch die ZDF-Serie "Das Traumschiff" fragwürdig, wie er im Interview verrät.
Herr
Hannes Jaenicke: Es muss sich ganz viel bewegen, insbesondere in den Bereichen Plastikvermüllung, Überfischung und in der Bekämpfung der Klimakrise. Sollten wir diese Probleme nicht schnell und effektiv adressieren, wird es diese Tiere bald nicht mehr geben.
Was gibt Ihnen dennoch Hoffnung?
Zunächst einmal weist der Film "Im Einsatz für Meeresschildkröten" auf einige erfolgreiche Projekte hin, die sich dem Schutz der Meeresschildkröten erfolgreich verschrieben haben. Die kenianischen Fischer in Watamu haben es kapiert, viele Costa Ricaner haben es kapiert, und es gibt sogar viele Hotels, die eigene Schutzprojekte betreiben. Insofern gibt es keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben.
Gab es im Rahmen der Dreharbeiten für Sie ein Aha-Erlebnis, das Sie in Ihrer Hoffnung bestärkt hat?
Total bewegt hat mich das Projekt Archelon in Griechenland, das sich den Coriacea-Schildkröten widmet. Es ist die einzige Spezies, die im Mittelmeer lebt. Dort werden Schildkröten eingeliefert, die von Fischern mit Äxten und Metallstangen attackiert wurden. Bis heute glauben diese Fischer, dass Schildkröten ihre Netze zerstören und ihre Fische klauen. Daher versuchen sie, diese Lebewesen zu erschlagen. Aber die Leute, die in diesem Rettungszentrum arbeiten, sind so gut und engagiert, dass sie es schaffen, die Tiere selbst nach Amputationen wieder auszuwildern. Und die vermehren sich tatsächlich wieder! Meeresschildkröten sind unglaublich widerstandsfähig. Dieses Projekt steht für mich sinnbildlich für den grauenhaften Umgang des Menschen mit der Natur, aber auch für die Menschen, die alles tun, um dies wiedergutzumachen.
"Dass Fisch gesund ist, ist ein Märchen der Fischereiindustrie"
Ist Fisch eigentlich wirklich so gesund, wie viele behaupten?
Dass Fisch gesund ist, ist ein Märchen der Fischereiindustrie. Fast alle Raubfische sind stark mit Metallen und Giftstoffen belastet. Die Metalle wandern in der marinen Nahrungskette von unten nach oben – je größer der Fisch, desto höher die Metallbelastung. Insbesondere die Ökobalance des Mittelmeeres ist mittlerweile fast komplett zerstört. Ich würde jedem raten, seinen Fischkonsum zumindest zu überdenken. Ich selbst esse seit 40 Jahren keinen Fisch mehr. Grundsätzlich kommt der Mensch gut ohne tierische Produkte aus.
Was können wir darüber hinaus für die Umwelt tun? Vermutlich würde es schon helfen, den gesunden Menschenverstand einzuschalten …
Es ist sogar noch einfacher: Wir sollten auf Plastik verzichten. Alles wird in überflüssigem Plastik verpackt. Das können wir jeden Tag in jedem Discounter beobachten. Pro Stunde verballern wir in Deutschland 320.000 To-Go-Becher. Was ist so schwer daran, eine eigene Kaffeetasse dabeizuhaben? Wir verballern in Deutschland pro Jahr 17 Milliarden PET-Flaschen. Was ist so schwer daran, eine eigene Trinkflasche dabeizuhaben? Was die Meeresschildkröten neben der Fischerei am meisten bedroht, ist die Plastikvermüllung. Und die ließe sich sehr leicht bekämpfen.
Der Verbraucher alleine wird es jedoch nicht schaffen. Wer ist Ihrer Ansicht nach gefordert?
Wir brauchen endlich eine intelligente Bepfandungspolitik, das Verbot von Einwegplastik und eine steuerliche Begünstigung von Mehrwegplastik. Bei Papier, Glas und Metall haben wir ja auch Wege gefunden, warum nicht bei Plastik?
Für Meeresschildkröten gibt es eine weitere Gefahr: Die Tiere erkranken zunehmend an Krebs. Ist diese Entwicklung neu?
Diesen sogenannten FP-Virus (Fibropapillomatose; Anm.d.Red.) kennen wir von Gebärmutterhalskrebs bei Frauen. Diese Entdeckung bei Meeresschildkröten ist relativ neu. Daher forschen in Saint Augustine in Florida Onkologen gemeinsam mit Meeresbiologen daran. Dort haben wir auch gedreht. Inzwischen ist auch belegt, dass die intensive Agrarindustrie dafür verantwortlich ist. Sprich: der maßlose Einsatz von Pestiziden, Fungiziden, Herbiziden und Insektiziden, und die Überdüngung der Böden. Das ist offenbar der Auslöser für diese Krebsform. Mittlerweile sind die Meeresschildkröten fast überall auf der Erde von der Krankheit betroffen.
"Frauen ebenso Opfer einer völlig fehlgeleiteten Agrarindustrie"
Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf die Frauen ziehen, die auch von diesem FP-Virus betroffen sind?
Es ist bedenklich und aufschlussreich zugleich. Die Schlussfolgerung der US-Forscher ist, dass diese Frauen ebenso Opfer einer völlig fehlgeleiteten Agrarindustrie sind. Es geht ja nur noch darum, möglichst billig möglichst viele, ungesunde Nahrungsmittel zu produzieren, anstatt weniger und gesünder und zu produzieren und dafür weniger wegzuschmeißen. Fast 50 Prozent der produzierten Lebensmittel landen im Müll.
Wie schwierig ist es für Sie, die Trennung zwischen emotionalen Momenten und der journalistischen Distanz zu meistern, wenn Sie im Einsatz für die Natur unterwegs sind?
Ich muss journalistisch möglichst sachlich und nüchtern bleiben. Meine privaten Befindlichkeiten dürfen in diesen Dokumentationen keine Rolle spielen. Wir arbeiten wissenschaftlich fundiert und deshalb mit anerkannten Forschern und Forscherinnen zusammen. Dr. Christine Figgener etwa ist eine der weltweit führenden Biologinnen zum Thema Meeresschildkröten. Wir machen das nicht als Aktivisten, sondern um den Zuschauern die Augen zu öffnen. Für unseren Umgang mit Ozeanen, Seen, Flüssen, Bächen und Gewässern sind Meeresschildkröten ein perfektes Symbol, weil sie Opfer des Klimawandels, der Plastikvermüllung und der Überfischung sind. All das hat immer mit uns Konsumenten zu tun.
Welchen Anteil hat der Schiffsverkehr? Sie waren für die Dreharbeiten in Kenia, Costa Rica und Griechenland – allesamt Traum-Destinationen, die viele ZDF-Zuschauende aus der Serie "Das Traumschiff" kennen. Was halten Sie von Kreuzfahrten?
Da möchte ich den von mir geschätzten Musiker Jan Delay zitieren. Der hat einmal vorgeschlagen, dass man Kreuzfahrtschiffe zu Flüchtlingsunterkünften umbauen sollte. Ich weiß, dass jährlich rund drei Millionen Deutsche auf Kreuzfahrt gehen. Diese Schiffe werden mittlerweile als grün vermarktet. Ich halte das für eine ziemlich freche Lüge. Es ist nachgewiesen, dass ein großes Kreuzfahrtschiff pro Jahr in etwa den CO2-Ausstoß von sechs Millionen Pkw hat.
Es wäre ein gutes Zeichen, wenn diese Kreuzfahrtschiffe eines Tages wirklich CO2-neutral fahren würden
Demnach wäre die Serie "Das Traumschiff" für Sie kein geeigneter Arbeitsplatz, richtig?
Ich persönlich würde keine Kreuzfahrt buchen. Ich bin begeisterter Segler. Und ich halte es auch für fragwürdig, sie mit einer Serie wie "Das Traumschiff" zu bewerben. Man kann sich fantastisch über das Wasser bewegen, ohne CO2 zu produzieren. Schiffsdiesel ist der dreckigste Treibstoff, den es gibt.
Sehen Sie ein Gewissenskonflikt darin, dass sowohl Ihre Doku-Reihe "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für ..." als auch "Das Traumschiff" im ZDF laufen?
Nein, "Das Traumschiff" ist eine Unterhaltungsserie und hat ihre Daseinsberechtigung. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn diese Kreuzfahrtschiffe eines Tages wirklich CO2-neutral fahren würden, sprich mit nachhaltigen Energieträgern. Das wird irgendwann, ähnlich wie bei Flugzeugen, passieren, doch davon sind wir noch Jahrzehnte entfernt. Trotzdem steht es mir nicht zu, den Sender zu kritisieren. Das ZDF macht auch "Harald Lesch", "37 Grad" oder "Terra X". Auch hat jeder Mensch ein Recht auf Unterhaltung, die – nebenbei gesagt – auch mir als Schauspieler großen Spaß macht.
Und natürlich müssen auch Sie ins Flugzeug steigen, um die Bilder aus der Welt ins deutsche Fernsehen bringen zu können. Wie schädlich ist das Fliegen für die Umwelt und hadern Sie selbst manchmal damit?
Natürlich tue ich das. Studien besagen, dass knapp drei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes vom Flugverkehr kommen. Keine Frage: Beruflich fliege ich zu viel, innerdeutsch fliege ich aber schon seit Jahren nicht mehr. Ich habe eine BahnCard und fahre mit dem Zug. Natürlich muss ich mich entscheiden: Mache ich die Dokus und habe dadurch eine miserable CO2-Bilanz oder verzichte ich auf die Filme? Ich habe mich für Ersteres entschieden, weil ich davon überzeugt bin, dass wir mit unserer Arbeit etwas bewegen können. Außerdem kann man für jeden Flug einen CO2-Ausgleich machen. Ich unterstütze seit Jahren ein Projekt namens "Fans for Nature e.V.", das im großen Stil auf Borneo in Indonesien Regenwaldschutz und Wiederaufforstung betreibt.
Sie haben kürzlich im Rahmen der Verleihung der "Goldenen Sonne" in Ihrer Laudatio für Petra Thomas von "forum anders reisen e.V." über nachhaltiges Reisen gesprochen. Wie können wir nachhaltiger reisen?
Wenn du die Wahl hast zwischen Zug oder Flugzeug, dann fahr Bahn. Kurzstreckenflüge halte ich tatsächlich für Quatsch. Frankreich ist das erste Land, das diese Flüge verboten hat – andere werden folgen. Eine Kreuzfahrt ist bestimmt nicht nachhaltig, ein Segeltörn dagegen schon. Auch Jetten auf die Malediven oder in die Karibik halte ich für fragwürdig. Am Ende muss es aber jeder für sich entscheiden. Das Konzept der Firma "forum anders reisen e.V.", die ich bei der "Goldenen Sonne" prämieren durfte, finde ich großartig. Es geht nicht nur um die Umweltbilanz, sondern auch um den Umgang mit dem Personal und der lokalen Bevölkerung. Auf vielen Kreuzfahrtschiffen werden Filipinos ausgebeutet wie Sklaven. Das sollte man wissen, wenn man eine solche Reise bucht.
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Seit 2006 sind Sie "Im Einsatz für ..." unterwegs. Welches sind Ihre persönlichen Erfolgsgeschichten, auch über die Dokumentationen hinaus?
Bei der "Goldenen Sonne" wurde ich von mehreren Menschen angesprochen, die keinen Lachs mehr essen, seit sie unseren Lachs-Film gesehen haben. Offensichtlich hat unser Film etwas erreicht. Im vergangenen Jahr haben wir einen Film über Schweine und Massentierhaltung gemacht. Neue Statistiken zeigen, dass der deutsche Fleischkonsum relativ rasant zurückgeht. Einen großen Teil meines Lebens habe ich übrigens am Rhein verbracht. Als Kinder hat unsere Mutter uns verboten, auch nur einen Zeh oder Finger ins Wasser zu stecken, weil der Rhein eine solche Giftkloake war. Heute kann man darin wieder baden. Das ist eine Erfolgsgeschichte.
Wie gehen Sie mit Shitstorms und Hasskommentaren in den sozialen Medien um?
Ich verfolge das nur, wenn ich angezeigt werde. Nach der Veröffentlichung meines Buches "Die große Sauerei" gab es seitens der Agrarlobby zahlreiche Versuche, mich vor Gericht zu ziehen. Sämtliche Klagen und Abmahnungen wurden abgewiesen. Morddrohungen oder ähnliches ignoriere ich einfach. Wir sprechen hier von irgendwelchen kleinen, armseligen Seelen, die vom Laptop aus Gift verspritzen. Den Gefallen, darauf zu reagieren, werde ich ihnen nicht tun.
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