- Vor der Weltklimakonferenz fordern Gesundheitsexperten eine massive Beschleunigung der Energiewende.
- Die Klimakrise sei die größte Gesundheitsbedrohung dieser Zeit, sagt der Mediziner Martin Herrmann.
- Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht das ähnlich – und gibt den Menschen Tipps für den eigenen Beitrag zum Klimaschutz.
Der Klimawandel macht krank. So lässt sich die Botschaft zusammenfassen, die
Bisher haben vor allem junge Menschen, Klimaschützer und Nichtregierungsorganisationen auf die Dringlichkeit hingewiesen, gegen die Erderwärmung vorzugehen. Inzwischen werden auch die Warnungen aus der Medizin häufiger und lauter. Die Pressekonferenz am Donnerstag ist ein Zeichen dafür.
Martin Herrmann: Viele haben Zusammenhang noch nicht verstanden
Die Klimakrise sei die größte Gesundheitsbedrohung dieser Zeit – doch die Verknüpfung von Klima und Gesundheit werde in Deutschland "erst seit 2019 wirklich ernst genommen", sagt Martin Herrmann. Der Mediziner ist Vorsitzender der "Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit" (KLUG). Viele Entscheider – in der Politik genau wie in der Gesundheitsbranche – würden diesen Zusammenhang immer noch nicht verstehen, kritisiert Herrmann. Erst in letzter Zeit finde in den Bundesministerien ein Umdenken statt.
Lauterbach betont zwar, er habe zu diesem Thema bereits "ein zusammenfassendes Buch" vorgelegt. Aber auch der SPD-Politiker räumt ein: Noch werde zu wenig geforscht. Die Welt erlebe gerade vier große Krisen: die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine, die Energie- und die Klimakrise. Die Klimakrise sei aber "die wichtigste und größte" davon, so Lauterbach.
Wissenschaftler schlagen Alarm
Das Festhalten an fossilen Energien bedrohe die Gesundheit von Menschen auf der ganzen Welt: Das war auch die Botschaft der Studie "The Lancet Countdown 2022" in der vergangenen Woche. 99 Fachleute aus 51 Institutionen und UN-Organisationen beschreiben darin den Einfluss der Erderwärmung auf die Gesundheit der Menschen:
- Hitzewellen bedrohen die Ernten und damit die Lebensmittelversorgung.
- Die Zahl hitzebedingter Todesfälle ist im Zeitraum von 2017 bis 2021 im Vergleich zu den Jahren 2000 bis 2004 um 68 Prozent gestiegen.
- In den allermeisten Ländern – auch in Deutschland – ist die Bedrohung durch Waldbrände größer geworden.
- Extremwetter sorgt weltweit für Hunderttausende Tote.
- Die Erderwärmung begünstigt die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Ein Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Dengue-Fieber anzustecken, ist weltweit im Vergleich zur Periode 1951 bis 1960 um 12 Prozent gestiegen.
Weltklimakonferenz beginnt
Auch wenn der globale Süden von diesen Gefahren besonders betroffen ist: Deutschland und andere europäische Länder seien keineswegs auf der sicheren Seite, betont Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, auf der Pressekonferenz: "Europa erwärmt sich stärker als jeder andere Ort der Welt." Zudem verursache der Klimawandel im globalen Süden soziale Spannungen, die auch zur Flucht vieler Menschen in Richtung Norden führen. Bisher unternehme kein Land der Welt genug gegen den Klimawandel, sagt Rockström – das gelte auch für Deutschland.
Am Sonntag beginnt im ägyptischen Scharm El-Scheich die diesjährige Weltklimakonferenz. Der oberste Klima-Verantwortliche der Vereinten Nationen, Simon Stiell, hat der internationalen Gemeinschaft zuvor ebenfalls ins Gewissen geredet: Die Staaten würden "nicht einmal ansatzweise im erforderlichen Tempo und Umfang" an der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad arbeiten, wie sie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen ist. Selbst wenn alle Zusagen umgesetzt werden, steuere die Erde auf eine Erwärmung um 2,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu.
Die "Allianz Klimawandel und Gesundheit" fordert mehr Energie aus Wind und Sonne und weniger aus Kohle und Öl: "Wenn fossile Brennstoffe die Hauptursache sind, haben wir die Therapie schon: nämlich eine beschleunigte Energiewende", sagt Martin Herrmann. "Wer nicht für die Energiewende eintritt und sie umsetzt, trägt Verantwortung für die Schäden an Leib und Leben."
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, erinnert auf der Pressekonferenz aber auch an einen nationalen Hitzeschutzplan sowie entsprechende Pläne von Kommunen oder Kliniken. Diese Forderungen habe man schon vor drei Jahren gestellt, sagt Reinhardt: "Heute sind sie leider aktueller denn je."
Lauterbach: Mehr Radfahren, wenig Fleisch essen
In der Corona-Krise hat die Politik den Menschen auch harte Einschnitte in den Alltag zugemutet – in der Bekämpfung des Klimawandels bisher aber nicht. Gesundheitsminister Lauterbach will darin keinen Widerspruch erkennen – auch wenn er die Erderwärmung als größte Krise von allen benennt. Man dürfe Krisen nicht gegeneinander ausspielen, sondern müsse alle gleichzeitig bearbeiten, sagt er – das sei auch während der Coronakrise so gewesen.
In der Klimapolitik setzt auch die aktuelle Bundesregierung vor allem auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien und weniger auf Verbote oder andere Eingriffe in den Alltag. Eine Verantwortung sieht der Politiker allerdings auch bei den Bürgerinnen und Bürgern: Jeder Einzelne kann aus seiner Sicht weniger mit dem Auto und mehr mit dem Fahrrad fahren – und am besten auch den Fleischkonsum senken. Das sei gut für die eigene Gesundheit und zudem ein Beitrag zur CO2-Reduktion, sagt Lauterbach: "Das sind wichtige Schritte, die der Einzelne im Griff hat."
Verwendete Quellen:
- Bundespressekonferenz
- dpa
- Lancet Countdown: Explore the key findings of the 2022 report of the Lancet Countdown
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