Dass Jan Böhmermann die Zuschauer seines "ZDF Magazin Royale" mit unerwarteten Themen überrascht, ist eher die Regel, als die Ausnahme. So passierte es auch in der aktuellen Folge vom Freitagabend. Dort philosophierte Böhmermann über die Geburtenrate, vergaloppierte sich dabei allerdings ein wenig.
Nach einer unnötig langen Einleitung kommt
Ironisch, weil Böhmermann sofort nachfragt: "Woher kommt dieser Stress mit der Geburtenrate? Warum müssen wir denn mehr Kinder kriegen?" Die vermeintliche Antwort liefert der Satiriker gleich hinterher: "Es herrscht Geburtenraten-Panik. Deutschland braucht angeblich mehr Kinder, weil …", beginnt Böhmermann und zitiert dann aus dem "National Geographic": "Um die Bevölkerungsgröße eines Landes auf einem stabilen Niveau zu halten […], muss die zusammengefasste Geburtenziffer […] bei 2,1 liegen. Das bedeutet, dass jede Frau im Schnitt 2,1 Kinder lebend zur Welt bringen muss – sind es weniger, schrumpft die Bevölkerung."
"2,1 Kinder pro Frau braucht Deutschland. Glaubt Deutschland", hält Böhmermann noch einmal fest und macht dann den Realitätscheck: "2023 lag die Geburtenrate aber bei 1,38 Kindern pro Frau. Sogar seit Jahrzehnten ist die Geburtenrate niedriger als 2,1. Warum ist das so?" Nach der satirischen Aufarbeitung der Gründe kommt Böhmermann zu dem Schluss: "Eine niedrigere Geburtenrate ist nämlich nicht das Ende der Zivilisation." Das klinge aber manchmal so, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Japan, Italien oder den USA.
"Die meisten wollen nicht so viele Kinder und das ist vollkommen okay und das geht den Staat einen Scheiß an."
Jan Böhmermann
Entsprechend gebe es überall Bemühungen, die Geburtenrate zu steigern: "Ungarn hat auch ne prima Idee, um Frauen zum Gebären zu bringen: guter, alter staatlicher Psychoterror", beschreibt Böhmermann die Pflicht in Ungarn, sich vor einer Abtreibung den Herzschlag des Fötus anhören zu müssen. Böhmermanns Fazit: "Je mehr ein Staat versucht, seine Bürgerinnen dazu zu bringen, Kinder zu kriegen, desto unfreier werden die Bürgerinnen in ihrer Entscheidung, ob sie überhaupt Kinder möchten."
Denn, so Böhmermann: "Die meisten wollen nicht so viele Kinder und das ist vollkommen okay und das geht den Staat einen Scheiß an. Trotzdem: Wer in Deutschland viele Kinder bekommt, der wird belohnt vom Staat. Wie so ein Hund, der Pfötchen gibt. Wer zum Beispiel in Bayern Drillinge kriegt, der kann einen ganz besonderen Ehrenpatenonkel beantragen", erklärt Böhmermann und meint damit
Einmischung in die Privatsphäre, Hundedressur, Griff in die Unterhose – Böhmermann ist nicht zimperlich bei seinen Vergleichen, hat aber noch zwei weitere Argumente gegen staatliche Einmischung in die Kinderplanung. "Warum sind denn Kinder was Gutes?", fragt Böhmermann und liefert als Antwort einen Beitrag auf "Focus online", der die Sicherheit des Sozialstaates und das Wirtschaftswachstum als Argumente nennt. Da stellt Böhmermann die Gegenfrage, ob dieses System überhaupt noch so funktioniert wie in den 1950ern, denn heute müssen wenige Junge viele Alte finanzieren. "Wir müssten also eigentlich unser gesamtes Rentensystem reformieren", so Böhmermann.
Rassismus und Rentensystem
Von dort ist es eigentlich ein großer, für Böhmermann an diesem Abend aber nur ein kleiner Schritt vom Rentensystem über das einkommensabhängige Elterngeld hin zu rechtsextremen und völkischen Ansichten. "Die Debatte um die Geburtenrate wird bei Rechtsextremen zur rassistischen und antisemitischen Verschwörungstheorie. Die große Angst vor dem angeblichen Bevölkerungsaustausch." Das ist in der Sache richtig, völkische Ideologien operieren neben ihrem Rassismus und all den anderen menschenverachtenden Denkweisen natürlich immer mit der Angst und im Besonderen der Angst vor dem Verlust der eigenen Bedeutung.
Daher ist es logisch, wenn Böhmermann beim Thema Geburtenrate Zitate von Thilo Sarrazin bis Alexander Gauland und anderen AfD-Mitgliedern bringt, die die Geburtenrate für ihren ideologischen Unsinn missbrauchen. Problematisch wird es aber, wenn Böhmermann deren Rassismus und den Zusammenhang zwischen Geburtenrate und Rentensystem zwar nicht in einem Atemzug nennt, aber doch nach einer Atempause dazu überleitet. Damit wertet er entweder eine sachliche Diskussion ab oder Verschwörungsmärchen auf und beides ist nicht gut.
Aber auch an anderer Stelle wirft Böhmermann diesmal ein bisschen arg viel durcheinander. Denn hinter der erwähnten Pflicht in Ungarn, den Herzschlag des Fötus anzuhören, muss nicht zwangsläufig die Steigerung der Geburtenrate stecken, sondern vielleicht ein sehr konservatives Weltbild, politisches Kalkül, um bei religiösen Wählern zu punkten, Autoritätsfantasien, die Einschüchterung und Gängelung liberaler Menschen oder alles zusammen. Ähnlich schwierig sind die angedeuteten Gründe, warum Menschen Kinder kriegen.
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Kinder wegen Patenonkel Söder?
Völlig unangebracht ist hier der Vergleich mit dem Hund, der Pfötchen gibt, denn es gibt wahrscheinlich niemanden, der Drillinge bekommt, damit Markus Söder der Patenonkel wird und das hat noch nicht einmal etwas mit Söder als Person zu tun. Genauso wenig bekommt jemand sieben Kinder, um den Bundespräsidenten als Paten präsentieren zu können. Das Einzige, was an Böhmermanns Vergleich mit dem Präsidenten, der in der Unterhose mitmischt, stimmt, ist, dass dieser Vergleich unter die Gürtellinie geht.
Im Grunde fragt Böhmermann in dieser Ausgabe ja einfach nur, warum Reproduktion gut ist. Diese Frage ist aber gar nicht so neu, wie es hier scheint, taucht sie doch in ihrer populistischen Form fast jedes Jahr als klassisches Sommerlochthema auf, wenn irgendein konservativer Bundestagshinterbänkler in den großen Ferien fordert, kinderlose Paare sollten mehr Steuern zahlen. In diesem Fall macht es Böhmermann nun eben im März und kommt argumentativ von der anderen Seite. Das kann man natürlich machen, sollte es allerdings ein bisschen besser, weil weniger sprunghaft und vielschichtiger machen, als Böhmermann es getan hat.
Denn abgesehen von den argumentativen Schwächen verplempert der Satiriker viel Zeit mit Witzen um das eigentliche Thema herum, sodass er viele Fragen nicht nur unbeantwortet lässt, sondern gar nicht erst stellt. Etwa nach der Notwendigkeit von Reproduktion, um sich als Spezies weiterzuentwickeln und sich anzupassen. Damit wäre Böhmermann mit Sicherheit besser gefahren als mit seinen unpassenden Vergleichen und dem unzulässigen Themen-Hopping.
Mit anderen Worten: Seiner eigenen Frage, woher der Stress mit der Geburtenrate komme, hätte Böhmermann mit einer weitblickenderen Antwort viel Stress nehmen können.