Die Männer jagen und die Frauen dürfen nichts sagen: Warum Liebeskomödien wie "Tatsächlich... Liebe" oder "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" ein feministischer Albtraum sind, an Weihnachten aber trotzdem funktionieren. Eine Verteidigung.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Tatsächlich ... Liebe" ist der wahrscheinlich umstrittenste Weihnachtsfilm der jüngeren Filmgeschichte. Schon bei der Kinopremiere 2003 nannte der Kritiker der New York Times ihn "einen schwer verdaulichen Weihnachtspudding".

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Auch die Pinguine im Londoner Zoo können ihn nicht leiden. Sie gucken lieber "Buddy, der Weihnachtself" mit Will Ferrell. Es ging um das Unterhaltungsprogramm für die Tiere während des Corona-Lockdowns. Mangels Publikum probierte der Zoo es mit Fernsehern und wählte Filme passend zur Jahreszeit. Aber in Weihnachtsklassikern wie "Tatsächlich ... Liebe" werde zu viel geredet, sagte der Zoowärter neulich in einem Interview, die Pinguine wollten mehr Action, Glitzer, Farbe.

Damit haben sich Pinguine als Kinokritiker disqualifiziert. Der Filmkritiker der New York Times hingegen hat einerseits völlig recht – aber auch keine Ahnung. Weihnachtsfilme dürfen schwer verdaulich sein, völlig überzuckert und Schmalz triefend. So wie "Tatsächlich... Liebe".

An dieser Stelle sollten wir vielleicht darauf hinweisen, dass wir auf Spoiler-Alarme verzichten. Es wird wohl niemand annehmen, dass ein Weihnachtsfilm mit sowohl Hugh Grant als auch Colin Firth und von Regisseur und Drehbuchautor Richard Curtis ("Vier Hochzeiten und ein Todesfall", "Notting Hill", "Bridget Jones") tragisch endet.

"Tatsächlich ... Liebe": Starbesetzt und zum Augen rollen

Die Romantic Comedy spielt in den letzten Wochen vor Weihnachten. Episodenhaft werden die Liebesgeschichten von mehreren Londonern erzählt, die alle irgendwie miteinander verwandt oder befreundet sind und an Heiligabend alle wundersam erleben dürfen, dass Liebe, tatsächlich, überall zu finden ist.

Tatsächlich ist es selbst für hartgesottene Fans schwierig, eine Inhaltsangabe zu lesen, ohne dabei mit den Augen zu rollen. Hugh Grant spielt einen Premierminister, der sich in seine Haushaltshilfe verliebt. Colin Firth spielt einen Schriftsteller, der sich auch in seine Haushälterin verliebt.

Dann gibt es noch Emma Thompson als Schwester des Premiers und Ehefrau des alternden Werbeagenturschnösels Harry, der nichts gegen die unverhohlenen Avancen seiner sexy Sekretärin unternimmt. Und Mark, der gerade Trauzeuge seines besten Freundes war. Alle denken, er kann die Braut nicht ausstehen, dabei ist er unsterblich in sie verliebt. Was kein Wunder ist, man kann gar nicht anders als Keira Knightley anhimmeln, weil sie von einer Kamera gefilmt wird, die auch unsterblich in sie verliebt ist.

Charakterlose Frauen als Hauptgewinn für den Mann

Womit wir beim Hauptproblem von "Tatsächlich... Liebe" wären: Die stummen reizenden Fräulein. Die Männer hier sind Premierminister, Schriftsteller, Geschäftsführer; die Frauen warten als Angestellte oder Ehegattinnen auf ihre Anweisungen oder Aufmerksamkeit. Die furios-feministische amerikanische Webseite "Jezebel.com" hat den Film einmal ziemlich treffend so zusammengefasst: "Je weniger eine Frau spricht, desto liebenswerter ist sie. In diesem Film spricht keine einzige verdammte Frau. In diesem Film 'gewinnt' jeder Mann am Ende eine Frau."

Sehr schön und schrecklich illustriert wird das in der Geschichte zwischen Jamie und Aurélia, dem englischen Schriftsteller und seiner portugiesischen Haushälterin in seinem provenzalischen Ferienhaus. Sie putzt und kocht und rettet sein Manuskript vor dem Untergang - buchstäblich, im See, was vor allem dazu dient, dass man Jamie Aurélia in Unterwäsche sehen kann. Unterhalten können sie sich mangels Sprachkenntnissen nicht, verlieben aber natürlich trotzdem – weil: wahre Liebe, keine Worte ... wir wissen schon.

Außer Emma Thompson darf keine der weiblichen Figuren irgendetwas Relevantes sagen. Aber Thompson ist als Harrys Ehefrau Karen die Mutter Beimer von "Tatsächlich... Liebe": unproblematisch, praktisch, gut. Nur weil sie eben auch Emma Thompson ist, kann sie ihrer Rolle als gehörnte Ehefrau einen Hauch von Tragik und Würde verleihen und Karen aus dem Weihnachtspudding herausheben.

Apropos: Die verführerische Sekretärin wird von Heike Makatsch gespielt, was deutsche Zuschauerinnen einerseits als Kompliment auffassen können. Sie ist die einzige pro-aktive und eben nicht brav abwartende Frauenfigur. Anderseits ist sie auch die einzige unsympathisch gezeichnete Frauenfigur. Immerhin: keine Nazirolle.

Zwischen Sexfantasie und rührendem Romantic-Comedy-Best-Of

Tief unten im Pudding dagegen liegt die Episode um den Botenjungen Colin. Er verteilt in Harrys Werbeagentur Snacks und Nüsse, die in der deutschen Version ovale Pralinen oder so etwas sein müssten, damit er bei den Mitarbeiterinnen seinen unfassbaren Spruch sinngemäß richtig anbringen kann: "Will jemand meine Eier?"

Weil erstaunlicherweise niemand anbeißt, beschließt Colin, Urlaub in Amerika zu machen, dort seien die Frauen nicht so verklemmt und liebten seinen Akzent. Er lässt sich direkt vom Flughafen in eine Bar fahren und trifft auf drei blonde Amerikanerinnen im Schnee.

Was wie der Titel eines Pornofilms aus den Siebzigern klingt, geht auch ungefähr so weiter. Und schließlich so weit, dass er bei seiner Rückkehr nach London nicht nur eine der Gespielinnen im Gepäck hat, sondern außerdem ihre Schwester als Mitbringsel für seinen besten Freund. Die Sexfantasie als Souvenir.

Dieser Erzählstrang aber ist nicht einfach nur das größte Problem von "Tatsächlich... Liebe". Sondern er ist gleichzeitig Beweis seiner Güte: Nicht einmal Colin kann den Film kaputt machen. Weil es zum Beispiel auch John und Judy gibt, die auf einem Filmset die Stand-ins für die Stars sind, damit die Sexszenen richtig ausgeleuchtet werden können. Der schlüpfrige Schenkelklopfer-Spaß ihrer Szenen wird mit leiserem Humor konterkariert, und anrührend der Beginn ihrer Liebesgeschichte erzählt:

Geduldig und splitterfasernackt befolgen John und Judy die Regieanweisungen und vertreiben sich die Zeit mit schüchternem Geplauder während ihrer rhythmischen Bewegungen. Es sei so schön, meint John, zur Abwechslung einmal mit jemandem zu arbeiten, mit dem man sich richtig unterhalten könne. Kaum zu glauben, dass diese und die Colin-Story vom selben Regisseur und Autor stammen.

Oder die Geschichte um den abgehalfterten Rocksänger Billy, der einen alten Hit als Weihnachtsohrwurm neu aufnehmen soll und diese "kitschige Kacke" mit derselben Vehemenz hasst, mit der Verächter von "Tatsächlich... Liebe" auf den Film eindreschen. Bei dem Hit handelt es sich um "Love is All Around Us". Der Song gehörte 1994 zum Soundtrack von Curtis‘ "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" und stand nach dem Film monatelang in den Charts. Billy Mack ist der eingebaute ironische Kommentar, den alle guten romantischen Komödien haben. Die gut dosierte Säure, um den Zucker auszubalancieren.

Und Richard Curtis weiß, was er tut. "Tatsächlich... Liebe" wirkt, als hätte er alle seine eigenen und so manch fremden Romantic Comedies einem Computer verfüttert und dessen Hollywood-Algorithmus ein Best-of ausspucken lassen.

Rezept für einen Weihnachtsklassiker: Superstar-Cameos und Weihnachtsbeleuchtung

Das lässt sich auch über die Besetzungsliste sagen, die aus heutiger Sicht die Luxusvariante einer Cameoparade darstellt. Voller Superstars, die man außerhalb eines Superhelden-Blockbusters niemals mehr so in einem Film zu sehen bekommen würde: Da sind nicht nur Hugh, der Cary Grant der modernen Romcom (es gibt keine schlechte Liebeskomödie, in der Hugh Grant mitspielt), Colin Firth oder Alan Rickman, sondern auch Hollywoodstars am Anfang ihrer Karriere, wie Kiera Knightley, Laura Linney oder Martin Freeman, der hier als Jack in einer seiner ersten Kinorollen zu sehen ist, lange bevor er der Watson zu Benedict Cumberbatchs Fernseh-"Sherlock" oder Bilbo in Peter Jacksons Hobbit-Filmen wurde.

Richard Curtis hatte also eine Story mit allen wichtigen Elementen einer Romantic Comedy, und er hatte die perfekte Besetzung. Aber dann kam das Wichtigste: Er knipste die Weihnachtsbeleuchtung an. Durch sie wird aus einer anachronistischen, hanebüchenen, sexistischen Komödie ein Weihnachtsklassiker. (Zum Vergleich sehe man sich "Crocodile Dundee" an. 1986 ein Blockbuster, in dem die australische Sonne erbarmungslos auf dermaßen haarsträubende Macho-Sprüche scheint, dass sie heutzutage nicht nur aus Feministenohren kleine Dampfwolken aufsteigen lassen.)

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Weihnachtskomödien als Variante des Märchens

Wer sich "Tatsächlich... Liebe" trotz aller berechtigten Kritik nicht verderben lassen will, der muss den Film als Weihnachtsmärchen sehen. Als Ritual erleben, so wie "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel".

Der deutsch-tschechische Film wurde auch erst durch den Schnee zum Klassiker. Aus einem glücklichem Zufall heraus: Regisseur Vaclav Vorlicek brauchte die Berliner DEFA als Koproduzenten. Die machte es zur Bedingung, dass in den Wintermonaten gedreht wurde, weil das Studio da noch nicht ausgelastet war. Im märchenhaft verschneiten Böhmerwald fand sich die dazu passende Außenkulisse - und nach der tschechischen Kinopremiere am 1. November 1973 war Weihnachten fortan der ideale Sendetermin.

Die Titelheldin hier ist ja auch noch lange keine Alice Schwarzer, nur weil sie reiten kann wie der Teufel und lieber mit der Armbrust schießen geht, anstatt Zöpfe zu flechten. Mit den verzauberten Haselnüssen werden keineswegs Wünsche nach einem eigenen Schloss und abwechslungsreichen Job erfüllt, sondern nach Ballkleid und Brautkleid. Wenn es darauf ankommt, will auch dieses Aschenbrödel einen Prinzen und heiraten.

Weihnachtskomödien sind die XXL-Version der Liebeskomödie

Liebeskomödien illustrieren die soziokulturell nicht unbedingt haltbare Vorstellung von der Liebe als einer alles auf den Kopf stellenden Macht mit glücklichem Ende. Sie sind nichts anderes als eine Variante des Märchens: Mit übersichtlichem Gut-Böse-Schema, verlässlicher Vorhersehbarkeit, ziemlich märchenhaften Zufällen, ungleichen Paarungen, mit Cinderella-Komplex (Frau fürchtet die Unabhängigkeit) und Pygmalion-Effekt (Mann "perfektioniert" Frau) und mit der Prinzessin als Hauptgewinn für die Beharrlichkeit des Prinzen.

Romantische Weihnachtskomödien sind gewissermaßen die XXL-Version der Liebeskomödie. Schließlich ist Weihnachten selbst ein ziemlich unzeitgemäßes Vergnügen: Ein von Generation zu Generation weitergereichtes Sammelsurium an Ritualen, die mit dem Rest des Jahres, mit den üblichen Gewohnheiten wenig zu tun haben und gerade deshalb so hingebungsvoll gepflegt werden: Kekse backen, Kerzen anzünden, Kirchen besuchen.

Inszenieren wir nicht alle ein bisschen Nostalgie an Weihnachten? Genießen wir also Weihnachts-Rom-Coms wie "Tatsächlich... Liebe" oder "Drei Haselnüsse", und freuen uns, dass sie mit der Realität nichts zu tun haben.

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