Hach, wie schön. Wieder mal eine Woche der unerwarteten Höhepunkte. Walter Kohl zum Beispiel macht offenbar die PR-Arbeit für das Buch "Ich war BILD", das Kai Diekmann gerade über seine Zeit als Chef beim größten Boulevardmagazin des Landes vorgelegt hat. Anders ist Kohls flächendeckende Bemühung, das Buch so lange wie möglich in den Schlagzeilen zu halten, kaum erklärbar. Und auch der Kai Diekmann der Elektroautos, Elon Musk, überrascht diese Woche.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Unternehmer und Milliardär Elon Musk möchte bei seinem zum Discounter-Preis von mehr als 40 Milliarden Dollar erworbenen Kurznachrichtendienst Twitter nun kürzertreten und beruft mit Linda Yaccarino eine Expertin für Werbeeinnahmen als Nachfolgerin. Prinzipiell keine schlechte Entscheidung: Twitter hat nach Musks inhaltlichem Amoklauf durch die Plattform fast alle Werbekunden verloren und damit seine bis dahin einzige Einnahmequelle. Yaccarino gelang es dagegen, beim Entertainment-Riesen NBCUniversal mehr als 100 Milliarden Euro in Werbebudgets zu generieren. Allerdings unterstützt von 2.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Nach Musks personellem Geisterfahrer-Kahlschlag bei Twitter kann sie am neuen Arbeitsplatz froh sein, wenn sie den Kaffee nicht selbst kochen muss.

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Zusätzlich blöd für Musk: Gerade erst hatte er die stets auf Hass-Level hochechauffierte Blue-Check-Crew auf Twitter zu seiner Gang gemacht, indem er Meinungsfreiheit (als Bonbon an alle rechtspopulistischen Intelligenz-Asketen) als etwas definierte, das nur dann gilt, wenn besagte Meinung nicht aus linken Spektren stammt. Was schwer ist, denn wer so weit rechts steht wie die neue pseudoliberale, döpfnerorientierte, Antiwokeness-Bubble um Musk, "Welt", Reichelt, Reitschuster oder Tichy, für den gilt ja zuweilen sogar Christian Lindner als linksradikal.

Intellektuelle Bankrotterklärung

Die empörungskulturell durchaus interessante intellektuelle Bankrotterklärung dieser fossilen Rückwärts-Musketiere verfangen im von geistiger Insolvenz durchsetzen Hater-Milieu natürlich rasch. In einer Melange aus Querdenkern, AfD-Sympathisanten und Selbstdenkern, in der man für jeden, der sich jemals pro Corona-Impfung äußerte, mindestens den Nürnberger Prozess 2.0 fordert. Und allen, die gendern, Grün wählen oder mit Regenbogenfarben erwischt werden, prophylaktisch den Job canceln will. Spätere Generationen werden viel Zeit damit verbringen, diesen beispiellosen Absturz von einstmals zumindest teilweise hinreichend seriösen Journalisten zu gnadenlosen Populisten zu analysieren.

Exakt diese Zielgruppe aus sendungsbesessenen Faktenallergikern also, die Musk mühevoll auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner eines Freiheitsbegriffs subsumiert hatte, fühlen sich plötzlich von ihrem Retter im Stich gelassen. Linda Yaccarino nämlich hat mit einer gigantischen Kampagne für Covid-Impfungen geworben und ist darüber hinaus Vorstandsvorsitzende des Weltwirtschaftsforums. Die WEF mit ihren jährlichen Treffen in Davos ist eines der größten Feindbilder im antisemitisch durchtränkten Schwurbelkosmos der NWOV (Neue Weltordnung Verschwörungstheoretiker). Jemand mit dieser Vita kommt nicht so gut an bei der Aluhut-Fraktion.

Musks Teilrückzug aus der Twitter-Chefetage ist dieser Tage prominentes Thema auch in deutschen Medien. Beliebteste Headline: "Elon Musk übergibt Unternehmensführung an eine Frau". Natürlich. Denn Geschlecht ist stets wichtiger als Name oder Qualifikation. Aber Vorsicht: Das hat nichts mit Sexismus zu tun. Das sage ich nur, falls jetzt hyperventilierende Teilzeit-Feministinnen Schnappatmung bekommen. Es gilt selbstredend genderübergreifend. Wer erinnert sich beispielsweise nicht an die Headline "Jogi Löw übergibt Bundestraineramt an einen Mann!"

Markus Söder kennt Wärmepumpen für 300.000 Euro

Ganz normal in einem Deutschland, in dem man bereits als "woke" gilt, wenn man von einem bayrischen Ministerpräsidenten fordert, er solle doch seine Aussage, eine Wärmepumpe koste jeden Hausbesitzer 300.000 Euro, bei Gelegenheit mal mit Zahlen belegen. Als "Chefreporterin Linksgrünversifft" mache ich mir dieses Fake-News-Toleranzdilemma natürlich umgehend zunutze und behaupte: Jeder CSU-Minister kostet den Steuerzahler mindestens 1,2 Milliarden Euro vermeidbarer Ausgaben. Wie ich auf diese Zahlen komme und wie ich sie belege? Genauso, wie Markus Söder seine. Von den Besten lernen.

Wenn Söder nämlich ernsthaft glaubt, eine Wärmepumpe koste 300.000 Euro, hat er vermutlich zuletzt mit einem Handwerker geredet, als Franz-Josef Strauss noch Schmiergelder dafür annahm, statt des exzellenten französischen Mirage-Jets den amerikanischen Wittwenmacher Starfighter für die Bundeswehr geordert zu haben, von dem letztendlich knapp ein Drittel (269 von 916) abstürzten.

Stichwort abstürzen: Die OMR ist eine Digitalmesse, auf der man 1.400 Euro für ein Ticket bezahlen kann, um sich dafür von Kai Pflaume begrüßen und anschließend von Robert Geis erklären zu lassen, wie man aus Authentizität Aufmerksamkeit extrahiert. Dort erläuterte der Markus Söder der Parfum-Influencer, Jeremy Fragrance, diese Woche, wie man mit dem richtigen Mindset so reich und so "geil" werden kann, dass man "jeden Tag fünf Weiber bumsen könnte". Mit der Betonung auf "könnte" versteht sich, denn Superstecher Fragrance (bürgerlich übrigens Daniel Sredzinski) ist stabiler Feminist und hält sich mit Fame-Beischlaf daher selbstredend zurück. Und auch Vodafone und Audi sind beruhigt. Immerhin die Hauptsponsoren der OMR ("Ohne Mindset Räudig"), unter deren Logos Sredzinski-Fragrance der teilbegeisterten New Economy Klassenfahrt im Publikum seine Erfolgs-Philosophie darbot.

Aus der Mitte entspringt ein Stuss

Im Windschatten dieser, sagen wir mal freundschaftlich, divergenten Auffassung darüber, ob man Karrieren daran messen solle, wie viele Frauen man pro Tag "bumsen" könne, schaltete sich auch eine Koryphäe der Werbebranche ein. Der als "Guru der Gelassenheit" berühmt gewordene "Lord des Loslassens", Frank Behrendt, ist gemeinhin als "Sohn der Sanftmut", "Wikinger der Weisheit", "Baron der Bedachtsamkeit", "Fürst der Friedfertigkeit" und "Prediger der Persistenz" bekannt. Behrendt war einer der ersten, der Jeremy-Daniels Bums-Attitüde nicht kommentarlos in der Mitte der Gesellschaft ankommen lassen wollte und titulierte den Auftritt des Odeur-Ottos aus Oldenburg als "Gipfel der Hohlbirnigkeit."

Jeder, der mich kennt, weiß: Ich stehe für knallhart objektiven Bildungsjournalismus. Und die Causa Fragrance beschreibt den Bildungsnotstand in Deutschland recht gut. Wie auf Kommando kamen sie aus ihren nach Energydrinks, vergammelter Tiefkühlpizza und Axe riechenden Kellergewölben der Meinungsfreiheit: Die "Zeugen Fragrance". Ein zu Recht unbezahltes Geschwader von Tastatur-Rambos, die auch gerne "fünf Weiber pro Tag bumsen" würden, statt nur ihre Socken. Und auch das nur, wenn Mama nicht zu Hause ist.

Diese für die Qualitätsoffensive an der Banalisierungsfront verantwortliche Argumentations-Avantgarde hatte nämlich ganz genau hingehört. Jedenfalls, bis die OMR ("Ominöse Marketing Rowdies") das Video des Auftritts von Jeremy Fragrance kommentarlos von allen Distributionsmodulen entfernte. Schnell war die Verteidigungslinie klar: Man müsse schon genau hinhören, denn Fragrance hätte ja nicht gesagt, er würde "fünf Weiber bumsen", sondern nur, er "könnte". Aber weil er ein guter Mensch mit überdurchschnittlich grandiosem "Mindset" ist, hält er sich zurück. Das gilt bei Absolventen der Telegram-Universität für Textverständnis wohl inzwischen als Freifahrtschein, einfach alles sagen zu können: wenn man nachschiebt, dass man das natürlich aber nicht macht, wegen hier Dingens: Charakterstärke.

Als wäre nicht das eigentliche Problem, überhaupt über Frauen als "Weiber, die man bumsen kann" zu sprechen. Wenn das jetzt intellektuelles Benchmark Kommunikation werden soll, dann stellen Sie sich mal vor, Annalena Baerbock hätte gesagt "wir könnten den Bürgern und Bürgerinnen jederzeit Flugreisen, Gasheizungen und Fleisch verbieten, aber machen wir nicht, weil wir ein erstklassiges Mindset haben." Was da wohl los wäre in exakt den Medien, die aktuell reflexartig Jeremy Fragrance zur Seite springen. Weil sie einfach automatisiert gegen alles sind, wo eine freundlichere Zukunft, Frauenrechte, Umgangsformen oder angenehmeres Miteinander involviert sind. Nachvollziehbar, wenn man Angst hat, sonst mitten in der Nacht SMS von Mathias Döpfner zu erhalten: "Please stärke Fragrance!" Bis nächste Woche!

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