Für ihr Buch "Soundtrack Deutschland" haben sich die Journalisten Martin Benninghoff und Oliver Georgi mit 23 Größen der deutschen Musiklandschaft unterhalten. Mit dabei sind unter anderem Michi Beck und Smudo von den Fantastischen Vier. Sie erzählen über ihre Anfänge im Deutsch-Rap, die Credibility des Stuttgarter Speckgürtels und philosophieren darüber, wie viel "Gucci-Gepose" der deutsche Hip Hop verträgt. Einen exklusiven Ausschnitt des Interviews können Sie schon hier lesen.
Samy Deluxe hat mal gesagt, die Fantastischen Vier seien die Ersten gewesen, die er nach Falco auf Deutsch rappen gehört habe. Spielte jemand wie Falco eine Rolle für euch?
Für all die war Rap immer nur eine Spielart, die man mal ausprobiert hat, wir wollten aber den Oldschool-Rap aus Amerika nach Deutschland bringen. Mit Ausnahme vielleicht von "The Message" war der politische Rap in Amerika vor 1987 an zwei Händen abzuzählen. Das meiste, das auch durch die GI-Kultur zu uns nach Deutschland kam, war Party-Rap.
Das war für uns das Spannende: die musikalische Frage zu ergründen, wie man echten amerikanischen Rap in Deutschland machen kann. Dass man auf der Bühne als Frontman mit einem Mike in der Hand stehen konnte, ohne singen und ein Instrument spielen zu können, hat uns total geflasht.
Nämlich?
Smudo: Sicher die Neue Deutsche Welle, auch soundmäßig. Spliff fand ich immer sehr interessant, Andi (Ypsilon, Anm. d. Autoren) ist als Synthie- und Soundfan immer voll auf Kraftwerk abgefahren. Auch Falco fand ich sehr spannend, wegen seines Schmähs und den dadurch lautmalerisch interessanten Vortrag wie beim "Kommissar", aber auch wegen der Rhythmik.
Auch wenn ich das nie als Rap oder Hip-Hop verstanden habe. Ich finde, dass sich in den Fantas der deutsche MusikSynthie-Nerd-Commodore64-Style mit der amerikanischen GI-Hip-Hop-Partykultur vermählt.
Euren Durchbruch hattet ihr 1992 mit "Die da", einem Song, der noch vieles von den eher klamaukigen Adaptionen der amerikanischen Rapkultur aus eurer Anfangszeit hat. Was hat die Leute an dem Song so begeistert? Die Frechheit? Das Spiel mit der deutschen Sprache, das man so bis dato nicht kannte?
Smudo: Eigentlich kann ich mir den Erfolg von "Die da" nicht richtig erklären. Ich glaube aber, der Song war vom Popverständnis her einfach etwas völlig Neues. Für die Hip-Hop-Welt waren wir mit unserem ersten Album und den vielen Konzerten, die wir danach gespielt hatten, plötzlich irgendwie relevant geworden, ob man uns gefeiert oder abgelehnt hat.
"Die da" und das zweite Album waren der Schritt in den Pop-Crossover und damit in den Mainstream. Platz zwei in den Charts, Pop-Phänomen in Deutschland, plötzlich waren wir voll drin im Neunzigerjahre-Popmusik-Turbo. Es gab zwar noch kein Viva, das kam erst ein Jahr nach "Die da", aber schon MTV, das damals die Jugendkultur bestimmt hat.
Und gleichzeitig immer mehr private Radiostationen, die wie Pilze aus dem Boden schossen.
Smudo: Genau, auch das hat unseren Erfolg beschleunigt. Es gab plötzlich viele kleine Privatradiostationen, die alle irgendwie was anderes machen wollten und Lücken für alternative Songs hatten.
Da kamen wir gerade recht. Gleichzeitig gab es wieder eine allgemeine Hinwendung zur deutschsprachigen Musik, Lucilectric ist so ein Beispiel dafür oder auch Selig. Es war wie eine Welle, auf der wir gesurft sind.
Diese Welle ist bis heute nicht verebbt, im Gegensatz zur Neuen Deutschen Welle, die nach wenigen Jahren wieder vorbei war. Woran liegt das? Habt ihr die Sprache so nachhaltig entmufft?
Smudo: Das ist echt verrückt, finde ich, wie lange das schon anhält.
Michi Beck: Das ist heute aber auch etwas anderes. Klar spielt deutschsprachiger Rap seit unseren Anfängen bis heute in den Charts und in der Jugendkultur vorne mit.
Aber das Image, das derzeit durch Rap transportiert wird, ist ein völlig anderes als bei uns früher. Heute geht es um das Straßen-Getto-Gangster-Feeling, das viele Bands auch authentisch transportieren.
Aber ich würde mal behaupten, die Mehrheit der Gangster-Rapper adaptiert genauso wie wir damals einfach die amerikanische Kultur. Sie spielen die bösen Jungs, so sign-of-the-times-mäßig. Ihre gettomäßige Gangstersprache ist lediglich das Medium für etwas, das sie gerne sein möchten, das war bei uns früher nicht anders.
Die Gangster sind in Wirklichkeit gar nicht so böse, weil alles nur adaptierte Attitüde ist?
Michi Beck: Glaube ich schon! Das wirkliche Vorbild für die Jugendkultur in Deutschland ist nach wie vor Amerika, man will so sein und so klingen wie die da drüben. Ob das – wie zum Beispiel bei Trettmann – Autotune ist, der vor zehn Jahren aus den USA rübergeschwappt ist und jetzt alles beherrscht, oder die Trap-Art zu rappen. Die Trends geben nach wie vor die Amerikaner vor. Das ist ja das Irre, dass der Einfluss von dort immer noch so gigantisch ist.
Wobei der deutschsprachige Gangsta-Rap sich schon deutlich von seinen amerikanischen Vorbildern unterscheidet.
Michi Beck: Er hat eine eigene Farbe, ja, weil er sehr vom türkisch-arabischen Kulturkreis geprägt ist. Aber im Endeffekt ist er immer noch eine Adaption des amerikanischen Rap. Dort ist Rap immer noch die Musik der schwarzen Minderheit, die die Kultur bestimmt.
Smudo: Wahrscheinlich ist einer der Hauptgründe für die Popularität von Rap heute noch derselbe wie bei uns damals: Man kann ihn leicht machen. Die technischen Hürden sind nicht hoch, man muss nicht jahrelang Noten gelernt haben, und jeder kann was dazu sagen. Dadurch ist Rap eine direkte Message aus der Jugendkultur.
Bei einem Rapper ist völlig klar: Das, was der gerade rappt, ist seine Meinung, das stammt von ihm. Wenn Helene Fischer mir erzählt, dass sie die ganze Nacht durchmachen will, bin ich mir nicht sicher, ob sie das persönlich sagt. Das ist der Motor, der Rap so spannend macht. Seine Stilmittel sind längst total Pop, wie übrigens auch im Rock und im Punk. Aber in seiner Basis hat er nichts von seiner Authentizität verloren.
Im Gangsta-Rap spielen Provokation, starke Männer, junge hübsche Mädchen und längst überwunden geglaubte Rollenbilder eine große Rolle. Auch die Zurschaustellung von Konsum wie bei Shirin David. Je mehr Prada, desto mehr kann man zeigen, dass man den sozialen Aufstieg aus den trostlosen Vorstädten geschafft hat. Ihr kamt damals aus einer anderen Welt, aus dem wohlsituierten schwäbischen Bürgertum. Was war eure Botschaft?
Smudo: Die war ganz ähnlich wie die der heutigen Stars: konsumieren, Party machen, Spaß haben (lacht). Aber ja, bei uns gab es noch eine tiefere inhaltliche Ebene darunter: Mach dein eigenes Ding, lass dir nicht reinreden. Die klassische Rock’n’Roll-Haltung.
Michi Beck: Na ja, aber wenn ich unsere ersten Raps anhöre, gibt es da nicht so viele Unterschiede zu heute. Klar, wir waren vielleicht wohlerzogenere Mittelstandboys als viele Gangsta-Rapper. Aber eigentlich haben wir auch Halbstarkenmusik gemacht.
Smudo: Halbstark, das ist gut (lacht).
Michi Beck: Und wie! Was wir da für einen Bullshit erzählt haben, genauso Pseudo-Macho wie die Jungs heute! Aber gleichzeitig immer nach dem Motto: Ich trau mich nicht, Fotze zu sagen, deswegen sag ich doofes Mädel. Alles ziemlich halbgar, die Provokationsvorstellungen wohlerzogener Mittelschichtkids.
Im Ergebnis waren unsere Sachen aber nicht viel anders als die der Jungs heute. Dieses Gepose à la "Yeah, ich kann jede haben", das im Gangster-Rap so eine große Rolle spielt, haben wir auch gemacht.
Selbst viele einst böse Gangsta-Rapper sind mittlerweile ja domestiziert. Auch die werden also irgendwann gesettelt.
Michi Beck: Schaut euch doch mal Sido an! Früher hat der die Bürger verschreckt, und was macht er jetzt? Er tritt bei "The Voice of Germany" auf und spielt bei "Jerks" mit! Selbst Jungs wie Bushido oder Kollegah schwenken langsam um und werden ruhiger. So ist das halt, wenn man älter wird und Erfolg hat.
Könnt ihr als Männer im mittleren Alter noch etwas mit den Fanta-Jungs von "Die da" anfangen?
Michi Beck: Nicht mehr viel, wir waren damals einfach völlig anders drauf. Wir sind heute sicher auch schlauer als die Jungs, die damals im Jugendzentrum aufgetreten sind und einen auf dicke Hose gemacht haben. Die Möglichkeit haben Gangster-Rapper aber auch, zumindest die, die ein bisschen Grips haben.
Es ist doch so: Im Moment stehen die jüngeren Kids von elf bis sechzehn noch auf diese Gangster-Texte. Aber irgendwann werden die auch älter, mit zwanzig können die mit diesen Provokationen vielleicht schon gar nichts mehr anfangen. Deshalb tut man gut daran, sich als Künstler weiterzuentwickeln, selbst als Gangsta-Rapper.
Kann man heute überhaupt noch schockieren, in einer Zeit, in der fast jede Provokation schon einmal ausgesprochen wurde?
Michi Beck: Es ist zumindest viel schwieriger geworden als früher. Wogegen will man heute musikalisch denn noch rebellieren, wenn die eigenen Eltern schon Rapper gewesen sind? Rap ist schon alt, Rock ist noch älter, Techno auch längst eine Altherrenveranstaltung.
Schockieren, mich auflehnen und rebellisch sein, das kann ich nur noch durch allergrößte Tabubrüche: Gewalt, Drogen- und Frauenhandel, Waffen. Ich glaube aber, dass selbst die Kids, die diese Rapper hören, die Texte nicht ernst nehmen. Das ist einfach "the punk of today".
Besteht aber nicht doch ein elementarer Unterschied zwischen vielen Gangsta-Rappern und euch, was die Schicht und die soziale Herkunft angeht? Es macht immerhin einen Unterschied, ob man als unterprivilegierter Migrant aus Berlin-Hellersdorf stammt oder wie ihr aus der Mittelschicht im reichen Stuttgarter Speckgürtel.
Smudo: Ja, vielleicht. Es hat aber auch viel mit dem Grad an Rebellion zu tun, den man sich traut. Im Prinzip ist das Thema doch immer dasselbe: die da unten gegen die da oben, der Befreiungsschlag der Jugend gegen das Establishment.
Wenn man in einer toleranten Familie groß geworden ist wie wir, die nichts dagegen hat, dass man sich selbst verwirklicht und nicht in die Fußstapfen der Eltern treten will, dann kann man sie nur schocken, indem man entweder christlicher Fundamentalist wird (deklamiert): "Solange du die Füße unter meinen Tisch setzt, gehst du nicht als Jungfrau in die Ehe." Oder man benutzt Verschwörungstheorien, Kraftausdrücke, Gewaltfantasien, Sexismus, alles, womit man beim verständnisvollen Establishment anecken kann.
Michi Beck: Natürlich ist Rap auch ein Sprachrohr für unterdrückte Schichten, für Leute, die keine Chance haben. Und auch für echte Gangster und Arschlöcher, da gibt es ganz viele in der Branche. Ich habe aber den Eindruck, der Gangsta-Rap ist langsam wieder auf dem absteigenden Ast. Durch die Corona-Pandemie wird das sicher noch verstärkt.
Inwiefern, was meinst du damit?
Michi Beck: Weil bald niemand mehr dieses Gucci-Fotzen-Gepose braucht, es wird wieder um andere Werte gehen. In den USA hat sich das ja schon verändert, da gibt es wieder viel mehr Conscious-Rap als bei uns in Deutschland. Gangsta-Rap wird langsam ausbluten, davon bin ich überzeugt.
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