Mit Aaah und Oooh: Duncan Laurence gewinnt für die Niederlande den Eurovision Song Contest 2019 in Israel. Deutschland wurde hingegen nur Drittletzter mit einer ganz besonders bitteren Pille: Von den Jurys noch mit 32 Punkten bedacht, gab es von den europäischen Zuschauern mit 0 Punkten eine heftige Ohrfeige. Der Abend in Tel Aviv im Überblick.

Christian Vock
Eine Kritik

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"Dare to dream!“, "Trau dich, zu träumen!“. Unter dem etwas zu postkartenhaften Motto startete zum dritten Mal nach 1979 und 1999 der Eurovision Song Contest in Israel, denn, vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere daran: Netta siegte 2018 für Israel in Lissabon.

Die hatte auch gleich den ersten Kurzauftritt und gab dann die Bühne frei für die Künstler des Abends, die in der Reihenfolge ihrer Auftritte und zu Kirmes-Beats in die Halle liefen. Und los ging die wilde Fahrt.

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Der Sieger des Abends:

Eine Liebesballade hat es traditionell eher schwer beim ESC. Dennoch lag Duncan Laurence mit seinem "Arcade“ bereits im Vorfeld bei den Buchmachern vorne. Dass es am Ende in Tel Aviv trotzdem spannend wurde, lag mit Sicherheit auch an der geänderten Bekanntgabe der Ergebnisse, so dass die Führung sehr häufig wechselte. Am Ende lag Laurence nur 27 Punkte vor Italien, der Abstand zu Platz drei war dann aber schon deutlich.

Die Verlierer des Abends:

Die gute Nachricht zuerst: Niemand bekam insgesamt null Punkte und damit Deutschland auch nicht, was ja von nicht wenigen ein wenig pessimistisch befürchtet wurde. Die schlechte Nachricht: In dem zweigeteilten Voting verteilten die Länder-Jurys noch 32 Punkte an Deutschland. Bei der Publikumsentscheidung gab Europa dann aber keinen einzigen Punkt, was Moderatorin Bar Refaeli bei der Verkündung mit einem "I am sorry“ quittierte. Noch schlimmer lief es nur für Weißrussland und Großbritannien, die hinter Deutschland landeten

Die Show:

Eher konventionell. In der Pause zwischen den Auftritten und der Verkündung der Ergebnisse traten verschiedene Gewinner und Zweitplatzierte der vergangenen Jahre mit ihren jeweiligen Titeln auf. Das mag man mit gutem Recht wenig originell finden, als aber am Ende alle zusammen mit der israelischen Gewinnerin von 1979, Gali Atari, deren damaligen Song "Hallelujah“ sangen, gab es einen kurzen, heimelig-nostalgischen Grand-Prix-Eurovision-de-la-Chanson-Moment.

Der Auftritt von Madonna:

"Bisschen Diva gönn ich mir“, mag sich Madonna während ihrer Zeit in Tel Aviv wohl gedacht haben. Kommentator Peter Urban jedenfalls erzählte, dass bei den Proben von Madonna immer alle die Halle verlassen mussten.

"You're all winners“, "Ihr seid alle Gewinner“: Mit diesem eher intuitiven Tipp leitete Madonna ihren Auftritt beim ESC ein, um ihr neues Album "Madame X“ zu bewerben. Bei weltweit etwa 200 Millionen Fernsehzuschauern sicher nicht die schlechteste Plattform.

Gleichzeitig auch eine Win-win-Situation für den Megastar und die Veranstalter, denn mit ihrem neuen Markenzeichen, der Augenklappe, fügte sich Madonna auch optisch in die Bad-Taste-Atmosphäre des ESC ein. Mit dem Unterschied, dass wirklich alle Teilnehmer des ESC besser gesungen haben als der große Star.

Der "Bisschen-drüber-Moment“ des Abends:

Da gab es gleich drei: Fechtende Ballerinas, ein Riesentischtennisball, eine Blumenkunstdeko und Vogeltänzerinnen – Griechenland ließ sich wirklich nicht lumpen. Um den Overkill perfekt zu machen fehlten noch Einhörner und jonglierende Katzenbabys. Schade.

Katzenbabys hatten auch Hatari aus Island nicht – dafür dürfte man mit der Beschreibung ihres Auftritts als Nagelnietenlatexfetischrammsteinelektropoptheater noch nicht einmal nah dran sein. Den Vogel abgeschossen hatte aber Kate Miller-Heidke aus Australien. Sie durfte ihren Auftritt auf einer hin und her schwingenden 5-Meter-Stange vor einem Weltall-Hintergrund absolvieren.

Die Moderation:

Die Herren in gediegenem Schwarz, Ex-Model Bar Refaeli in einem hochgeschlitzten Silberfunkelkleid und Lucy Ayoub in einer wenig schmeichelhaften, hautfarbenen Robe – mehr als über die Outfits der Moderatorinnen und Moderatoren gibt es eigentlich nicht zu berichten. Besonders originell oder witzig war die Moderation von Bar Refaeli, Erez Tal, Assi Azar und Lucy Ayoub nämlich leider nicht.

Der deutsche Auftritt:

Michael Schulte schaffte es im vergangenen Jahr auf den vierten Platz und den beiden Damen von S!sters gelang das gleiche Kunststück – allerdings nur bei der Auftrittsreihenfolge. In der Gesamtwertung war hingegen nur ein 24. Platz drin.

Dabei war der Auftritt von Carlotta Truman und Laurita Spinelli für sich genommen gar nicht so schlecht. Im Vergleich zu den anderen Ländern sorgte der gemächliche Schnitt des Auftritts allerdings für wenig Dynamik in einem ohnehin eher getragenen Lied. Das ziemlich alltäglich wirkende Outfit von Spinelli und Truman trug sicher auch nicht zum Wiedererkennungswert bei.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Auftritt zwischen all dem Bombast, dem Pathos und den schnellen Beats der meisten anderen Künstler ein wenig unterging. Ob einem das Lied nun gefällt oder nicht: In der Inszenierung blieb der Auftritt von S!sters unter seinen Möglichkeiten. Musikalisch jedenfalls war es sicher nicht die schlechteste Nummer.

Das Fazit:

Visuell kreativ bis ziemlich drüber, musikalisch aber eher gewöhnlich – so präsentierte sich der 64. Eurovision aus Tel Aviv. Mit Duncan Laurences "Arcade“ entschied sich insbesondere das europäische Publikum für den harmlosesten, weil massentauglichsten Song. Der Italiener Mahmood hatte mit seinem Rap-Song "Soldi“ wesentlich mehr Ecken und Kanten und erzielte mit dem zweiten Platz einen verdienten Achtungserfolg.

Mit seinen vielfältigen und vielfachen Aufrufen gegen Ausgrenzung und Intoleranz war der ESC 2019 aber gerade in Zeiten, in denen wieder Hass, Nationalismus und Rassismus ihr Unwesen in Europa treiben, ein umso wichtigeres Zeichen. Und so passten dann am Ende sogar Madonnas Zeilen ihres neuen Songs "Future“: "Not everyone is coming to the future. Not everyone is learning from the past.“

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