Tierquäler, Psychopathen und nette Überraschungsgäste: Gelingt dem Münchner "Tatort" ein schwieriger Spagat?
"Bei den Dreharbeiten zu diesem Film kamen keine Tiere zu Schaden." Im Fall des Münchner "Tatort: Schau mich an" wird die Information vor Beginn des Films eingeblendet, nicht erst, wie sonst üblich, im Abspann. Sie erfüllt somit einen doppelten Zweck: Versicherung und Triggerwarnung zugleich. Trotzdem seltsam, dass so etwas extra versichert werden muss. Geht es um misshandelte Kinder, Frauen oder andere typische – menschliche – Krimi-Opfer, geht niemand davon aus, dass den Darstellerinnen tatsächlich etwas angetan wurde.
Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie es im "Tatort" die Figur Lisa Berger den Kommissaren erklärt. Im Netz sei alles möglich und zugänglich, so die Sozialarbeiterin: Waffenhandel, Folter und Sexualverbrechen an Frauen, Kindern, Säuglingen. Darüber rege sich kaum jemand auf. "Doch eins dürfen Sie nicht machen: Tiere quälen oder töten. Das nimmt Ihnen die Community wirklich übel."
Ivo Batic (
Serienkiller "üben" an Tieren
Es ist ein Mord, den Lisa Berger, selbst Mitglied der von ihr erwähnten Community, gewissermaßen vorausgesagt hat. Denn im vergangenen Jahr waren Videos eines Maskierten aufgetaucht, der vor laufender Kamera Welpen quälte und tötete.
Aufmerksame Tierschützer im Netz hatten den Mann in Wien lokalisiert und die dortige Mordkommission darauf aufmerksam gemacht mit dem Hinweis, dass Serienkiller bekanntermaßen oft an Tieren "üben" würden. Jetzt hilft Wien den Münchner Kommissaren: Oberstleutnant
Wir wissen nicht, welche Überlegung hinter dem kurzen Gastauftritt des Wiener "Tatort"-Kollegen steht. Aber es war eine gute Idee. Angesichts des Schreckens, von dem in "Schau mich an" ständig die Rede ist, wirkt das Wiedersehen mit freundlichen alten Bekannten besonders beruhigend.
Zum Beispiel auch mit dem Dackel aus "Hackl". Seit der Folge um den Grantler Johannes Hackl kümmert sich Leitmayr notgedrungen um den Hund, und dieses Mal ist er Leitmayrs ständiger Begleiter. Und dann taucht sogar Fußballer Joshua Kimmich kurz wieder auf, der Kalli bereits in "Hackl" mit seinen Fitnesstipps betört hatte.
Regisseur und Drehbuchautor Christoph Stark ist es ein wichtiges Anliegen, den Schrecken in seinem "Tatort" in Maßen zu halten. Es geht in "Schau mich an" um psychisch kranke Seelen, gestörte Hirne, Geltungs- und Vergeltungssucht und Voyeurismus der übelsten Sorte. Allerdings sind es genau diese Attribute, von denen sich ein Fernsehpublikum ja gerne faszinieren lässt.
"Tatort"-Regisseur lässt sich von wahrem Fall inspirieren
Christoph Stark ist sich bewusst, "Teil der Maschinerie" zu sein, wie er in einem Statement zu seinem Film gesagt hat. Zumal er sich für seine Geschichte von einem wahren Fall inspirieren ließ: Der Kanadier Luka Magnotta wurde nach Hinweisen aus der Internet-Community 2012 in Berlin gefasst, nachdem er erst Videos mit misshandelten Katzen veröffentlicht und später einen Studenten getötet hatte. Netflix verwandelte den Fall des psychisch kranken Kanadiers 2019 in eine Dokuserie.
"Schau mich an" aber achtet sorgsam darauf, nicht selbst zum sensationslüsternen und voyeuristischen Gemetzel zu geraten: Wir sehen die Maden auf dem Koffer krabbeln, aber wir sehen seinen Inhalt nicht. Wir sehen die Folterwerkzeuge, aber wenig das Opfer. Wir sehen die niedlichen Welpen, aber wenig von dem, was ihnen angetan wird.
Die Zurückhaltung gerät dem "Tatort" zum Vorteil, weil die Vorstellungskraft beim Publikum liegt und umso stärker wirken kann. Sie wird aber auch zum Problem: "Schau mich an" will die Ungeheuerlichkeit verdeutlichen, was für furchtbare Verbrechen im Netz quasi frei herumliegen, will die Verbrechen aber nicht zeigen.
Also muss indirekt erzählt werden: Experten sprechen, Kommissare nicken. Oder sie betrachten, stellvertretend fürs Fernsehpublikum, schlimme Videos. Wie immer bremst das Sendungsbewusstsein die Sendung.
Nachahmungstäter verkompliziert die Suche
Anfangs gelingt es "Schau mich an", trotzdem für Spannung zu sorgen. Ist die Ausgangslage erst einmal geklärt und das Publikum mit dem Psychopathen-Einmaleins versorgt, gewinnen die Ermittlungen zunehmend an Dynamik. Ein Nachahmungstäter verkompliziert die Suche und eine wirklich überraschende Wendung enthüllt: Dass da ein kranker Typ erst Hunde und dann Frauen quält, ist noch gar nichts. Die Geschichte von "Schau mich an" ist noch viel entsetzlicher als gedacht.
Und als dann auch noch einer der Kommissare in große Gefahr gerät, liegen die Nerven blank: Derzeit steigen ja reihenweise "Tatort"-Ermittlerinnen und Ermittler aus. Der Bayerische Rundfunk hat im Januar verkündet, dass 100 Folgen "Tatort" für Batic & Leitmayr genug seien. Dies ist ihr 95. Fall. Wird das Münchner Team jetzt schon dezimiert?
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Zum Glück läuft ein Kommissar allerdings auch zur Hochform auf. Überhaupt sind es hier die Ermittler, die glänzen dürfen: Regisseur Stark lässt die Männer sachlich und mit nie kalt oder aufgesetzt wirkender Professionalität ihre Arbeit machen – auch das trägt zum nüchternen Erzählton von "Schau mich an" bei.
Warum hält sich unsere Begeisterung für diesen "Tatort" letztlich trotzdem in Grenzen? Weil der Film doch wieder in den Erklärbär-Modus fällt. Brav werden die Schlimme-Kindheit-Kapitel aus den Psychopathen-Lehrbüchern aufgeschlagen und Fakten zum Thema "Der Serienkiller in unserer Gesellschaft" präsentiert. Soll das Publikum jetzt doch ein bisschen Mitleid haben?
"Schau mich an" war dermaßen darauf bedacht, Distanz zu wahren, dass jede (wenn auch zwiespältige) Annäherung gar nicht erst entstehen konnte. Weshalb das Ende wirkt, als sollten mit aufgesetzt wirkenden Erklärungen aus Pappfiguren schnell noch komplexe Monster kreiert werden. So eine lieblose Behandlung aber haben vielleicht Psychopathen verdient, nicht aber Krimizuschauerinnen.
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