Ein "Tatort" in der mörderischen Welt der Paketzusteller stimmt besser auf die Adventszeit ein als so manche Weihnachts-Rom-Com.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Köln in der Adventszeit. Froh und friedlich scheint hier niemand. In ihrem heruntergekommenen Schuppen von einem Büro sitzt die Chefin eines Paketlieferdienstes im Qualm ihrer Zigarillos. Stress und niedrige Gewinnmargen haben Sybille Jägers Gesicht gezeichnet. Draußen auf den Straßen ist es dunkel und kalt. Und es regnet.

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Ihre Angestellten tragen Pakete aus, Hunderte am Tag, vor Weihnachten will jeder alles und sofort. Treppen hoch, Treppen runter. Klingeln, keiner da, Zettel in den Briefkasten. Tabletten gegen die Migräne, ein Stück Schokoladennikolaus gegen den Hunger, keine Pause, Treppen hoch, Treppen runter, nächste Adresse.

Paketboten in Weihnachtsmannkostümen

Die Männer und Frauen müssen Weihnachtsmannkostüme tragen, die hat die Chefin billig im Internet bestellt. Das mögen die Kunden, sagt Sybille Jäger (Susanne Bredehöft), das unterscheidet sie von der Konkurrenz. Wer den Polyesterfummel nicht trägt, kriegt keinen Weihnachtsbonus.

Milan (Dennis Svensson) ist einer ihrer besten Männer. Mit seinem engen Freund und Kollegen Boris (Nils Hohenhövel) hat er einen kleinen Wettstreit laufen: Wer die meisten Pakete am Tag schafft, gewinnt. Boris ist der King, letztes Jahr lag sein Rekord bei über 300 Paketen.

Wenn sich eine Haustür öffnet, hat Milan sofort ein freundliches Lächeln auf den Lippen, als wäre er tatsächlich der Weihnachtsmann, der die Geschenke bringt. Wenige Minuten später liegt Milan tot in seinem Lieferwagen, geschlagen, getreten, erstochen. Wie zum Hohn wackelt vor der Windschutzscheibe ein Weihnachtsmann aus Plastik.

So geht "Der anderen Last" los, und so wie in diesen ersten Minuten wird dieser herausragende "Tatort" von Drehbuchautor Paul Salisbury und Regisseurin Nina Wolfrum seine Geschichte erzählen: In berührenden Szenen, die mit wenigen Worten auskommen und sich ganz auf die sorgfältig inszenierten Details und hervorragende Darsteller verlassen.

Als die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ihre Ermittlungen beginnen, erhärtet sich bald ihr Verdacht, dass es sich bei dem Mord nicht um einen simplen Raubüberfall handelt. Es ging gar nicht um die Ware in Milans Lieferwagen.

"Des anderen Last" ist ein wahrer Adventskalender an Geschichten

Irgendetwas scheint nicht zu stimmen in diesem Unternehmen, und so wird Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) als Kurierfrau in die Firma eingeschleust. Nach und nach kommen überraschende Details über die Mitarbeiter ans Licht – und der "Tatort" wird zu mehr als einem klugen Krimi voller falscher Fährten. "Des anderen Last" ist ein wahrer Adventskalender an Geschichten, voller Nebenfiguren, über die man viel erfährt und gerne noch mehr wüsste.

Sandalen-Klaus (Hans-Martin Stier) zum Beispiel, der eigentlich seinen Ruhestand genießen sollte. Aber seine Tochter (Stefanie Philipps) kann seit einem furchtbaren Unfall nicht mehr arbeiten und ist mit ihrem mürrischen Teenager-Sohn (Linus Moog) bei ihm eingezogen. Als Paketzusteller unterstützt Klaus die beiden, obwohl seine Füße so schmerzen, dass er selbst im Winter keine Schuhe tragen kann.

Oder die verschlossene Jenny (Paula Kober), die Natalie Förster einarbeiten soll und das anfangs nur widerwillig tut. Jenny, so erfährt Natalie, war mal Medizinstudentin. Und jeden Tag besucht sie ihren betagten Nachbarn, der seinen Adventskalender alleine einfach nicht aufkriegt, und versüßt ihm seine einsamen Abende mit einem Stückchen Schokolade.

Dieter Schaad erfüllt diese eigentlich winzige Nebenrolle mit so viel Herz und Präsenz, dass man sich gerne selbst zu dem immer so sorgfältig gekleideten Herrn ins Wohnzimmer setzen und seine Lebensgeschichte hören würde. Am besten mit dem kleinen Sohn von Milans Witwe auf dem Schoß: Der WDR scheint das entspannteste Baby des Rheinlands für diese Rolle gefunden zu haben.

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Friedlich sitzt es da in seiner Latzhose und einem roten Wollpullover, guckt interessiert um sich und widmet sich ansonsten seiner Hauptaufgabe: unglaublich niedlich zu sein. Da wird einem schon ganz weihnachtlich ums Herz.

Auch wenn "Des anderen Last" seinen Titel ernst nimmt und voller Mitgefühl und Achtung auf die Bürden blickt, die seine Figuren zu tragen haben – dieser Film ist kein kummervolles Elendsfest, sondern ein melancholischer "Tatort" voller Wärme und Hoffnung. Er stimmt besser auf die Adventszeit ein als so manche Weihnachts-Rom-Com, die an ihrem eigenen Kunstschnee erstickt.

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