Diese Woche ermittelt Borowski kurz vor dem alljährlichen Heavy-Metal-Festival in Wacken. Das Opfer: Ein Baby. Leider fehlt dem "Tatort" die nötige Dringlichkeit.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Kennst du das", fragt Kommissar Borowski, "du siehst etwas, das ist fast perfekt. Und trotzdem kannst du dich des Eindrucks nicht erwehren, es stimmt etwas nicht." Was denn zum Beispiel, will Kollegin Şahin wissen. Borowski präzisiert: "Ein Pokal, eine Liebe, eine Leberwurst." Das ist der beste Satz in diesem "Tatort", der das 20-jährige Dienstjubiläum von Axel Milberg als Kieler Kommissar Klaus Borowski markiert.

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Es ist ein echter Borowski-Satz, in dem sich die ganze Arbeitsweise des einstigen, jetzt altersmilden Hitzkopfs offenbart: seine Beobachtungsgabe, sein Einfühlungsvermögen, sein trockener Humor. Alles da in "Borowski und das unschuldige Kind von Wacken" und wie immer ist es ein Vergnügen, dem Kommissar bei seiner Arbeit zuzusehen. Aber es gibt ein "Aber...".

Dieses Mal ermittelt Borowski in Wacken. Ein Neugeborenes wurde tot im Gras auf einer Wiese in Wacken gefunden, wenige Tage, bevor das alljährliche Heavy-Metal-Festival in dem sonst verschlafenen Dorf in Schleswig-Holstein beginnt. Von der Mutter keine Spur. Es gibt Zeugen, die eine unbekannte junge Frau mit einem Baby gesehen haben. Eine davon ist eine alte Dorfbewohnerin, die den Fall sofort für sich löst: Die Satanisten vom Festival haben das Kind geopfert. Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Şahin (Almila Bagriacik) sind sich da nicht so sicher und quartieren sich bei Meike Thomsen (Bärbel Schwarz) ein. Die ist die Bestatterin im Dorf und vermietet nebenbei Fremdenzimmer.

Während Mila Şahin sich um DNA-Spuren und Vermisstenanzeigen kümmert, tut Borowski, was Borowski eben so tut: Schelmisch lächeln, interessiert zuhören, sich zum Kaffee einladen lassen. Die Borowski'sche Flirtinvestigation könnte man das nennen, unter der naturgemäß meist weibliche Betroffene stehen. Es ist eine Zugewandtheit voller Anteilnahme. Als wolle der Kommissar sein Gegenüber spüren lassen, dass er Verständnis für dessen Lebensentscheidungen habe – egal, ob es sich um die Wahl der Wohnzimmercouch oder die Zerstückelung des Ehemanns handelt.

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Die Dorfidylle wird von Ungereimtheiten gestört

Im Wacken-Fall kommt die hochschwangere Sarah Stindt (Anja Schneider) in den Genuss dieser Aufmerksamkeit. Denn der "fast perfekte" anfangs erwähnte Pokal steht beim Ehepaar Stindt im Wohnzimmer: Damit hat Kurt Stindt (Andreas Döhler) einst Sarah für sich gewonnen. Die Leberwurst verkauft Sarah in ihrem Hofladen, die ist gar nicht selbstgemacht, "aber selbst verkostet". Und dass mit der "fast perfekten" Liebe zwischen den beiden zukünftigen Eltern irgendetwas nicht stimmt, das ist dem Fernsehpublikum auch schon aufgefallen.

Die Dorfidylle wird allerdings von weiteren Ungereimtheiten gestört. Da ist zum Beispiel Wacken-Enthusiast, Radiomoderator und Fanshopbetreiber Lenny Jensen (Nicolas Dinkel). Er sitzt am liebsten in seinem abgedunkelten Laden vor dem Mikro und träumt von der Frau fürs Leben, die er im Internet zu finden pflegt. Lennys Mutter (Regine Hentschel) ist ausgerechnet die örtliche Polizistin, die das Kieler Ermittlerpaar bei den Ermittlungen unterstützen soll.

Die Episode hätte härter und aufwühlender sein können

Im Dorf ist eben alles Familiensache, und so verzwickt, wie es werden muss, wenn jeder nicht nur jeden kennt, sondern jeder mit jedem auch irgendwie verbandelt ist und daraus durchaus gelegentlich Profit zu schlagen versucht.

Der Sohn von Zimmervermieterin Meike Thomsen nämlich hat die Unbekannte mit dem Baby auch gesehen und weiß, wo sie hin wollte, erzählt das aber nicht den polizeilichen Mitbewohnern, sondern nur seiner Mutter. Und die wittert gleich eine weitere Erwerbsquelle.

"Borowski und das unschuldige Kind" wirft einen kritischen Blick auf die Romantisierung von Kinderwunsch und Mutterliebe, der allerdings viel härter und aufwühlender sein könnte, wenn sich Drehbuch (Agnes Pluch) und Regie (Ayşe Polat) etwas mehr vom Spielort und vom Hauptkommissar hätten freimachen können.

Das Wacken Open Air lenkt nur ab

Der Fall feiert den Kommissar und versucht verzweifelt, Wacken mit einzubeziehen. Das Verbrechen wird beinahe Nebensache. Dabei geht es um ein totes Baby. Sollte nicht die Ungeheuerlichkeit dieses Fundes im Mittelpunkt stehen? Sollten sich nicht alle Emotionen darauf konzentrieren? Würde so ein Verbrechen nicht eine gewisse Hektik auslösen? Mehr Dringlichkeit hätte dem Krimi gutgetan. Stattdessen erkundet Klaus Borowski in aller Ruhe das Dorf und seine Bewohner.

Was das Wacken Open Air mit dem Fall zu tun hat? Nichts. Es sorgt für Lokalkolorit. Aber es lenkt nur ab. Auch wenn es sich brav im Hintergrund hält, schon, um das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum nicht zu verschrecken. Thomas Jensen, Mitgründer und Mitveranstalter des Festivals, darf kurz sich selber spielen

Die Musik wird mitunter mutig aufgedreht, bleibt aber melodiös genug für ein Fernsehpublikum, das früher den Musikvideos von "Formel Eins" im ARD-Nachmittagsprogramm entgegenfieberte und sich inzwischen aufs Neujahrskonzert im ZDF freut. Fürs Heavy-Ambiente sorgen heavy tätowierte Statisten, die gut gelaunt und demonstrativ friedlich über Wackens Wiesen hüpfen dürfen: Das sind gar keine Satanisten, die wollen nur spielen.

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