Die Schmunzel-Kommissare Thiel und Boerne unter Influencerinnen. Das kann ja heiter werden. Aber geht das auch gut?

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Evita Vogt war Momfluencerin – als "MagicMom" hat sie sich mit Videos über ihre kleinen Kinder und ein sorgfältig inszeniertes Erziehungschaos eine dankbare und lukrative Fangemeinde unter überforderten Eltern geschaffen. Doch jetzt hängt sie im Morgenmantel von der Decke ihrer sonnendurchfluteten High-Tech-Villa. Das Publikum ahnt bereits, was Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) bald vermuten wird: Es war gar kein Selbstmord.

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Die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen ihr nämlich gleich zu Beginn von "MagicMom" beim Kollabieren zusehen: Röchelnd bricht Evita (Louisa Garde) vor dem Kühlschrank zusammen. Ziemlich unwahrscheinlich, dass sie sich in dem Zustand noch ein Stromkabel um den Hals schlingen konnte.

Das Fernsehpublikum ist bei diesem "Tatort" von Regine Bielefeld (Buch) und Michaela Kezele (Regie) dem Ermittlerduo also ein paar Schritte voraus. Und zwar nicht nur, was das Wissen um die Todesart des Opfers angeht. Boerne und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) haben so gar keine Ahnung von sozialen Medien und der Welt der Influencer, dass man sich eigentlich darüber wundern muss, dass die beiden nicht mithilfe von Brieftauben kommunizieren.

Und dann ist da noch die Konkurrenz

Die Ermittlungen führen Thiel und Boerne zu einer Nachbarin (Monika Oschek), die MagicMoms verfilmte Häuslichkeit verwerflich fand, weil man doch aus überbordender Liebe Mutter werde und nicht aus Darstellungssucht. Selbst hätte sie allerdings für ihre Turnvideos schon gerne ein paar Follower mehr.

Und die demonstrative Hilfsbereitschaft der Nachbarin für den Witwer Moritz Vogt (Golo Euler) und seine Kinder macht sie auch nicht vertrauenswürdiger.
Neid und das Gefühl, vernachlässigt zu werden, wären natürlich auch ein Motiv für Moritz Vogt. Und dann ist da noch die Konkurrenz: Groß ist das Erstaunen bei Kommissar und Professor, als sie herausfinden, dass bei einer weiteren Münsteraner Momfluencerin, Sabine "BusyBine" Hertweck (Agnes Decker), gar nicht alles echt ist, was sie den lieben langen Kinderalltag so postet. Spoiler Alert!

Auch zwei Nebenrollen sind überflüssig

"MagicMom" gelingt es nicht, aus Fragen um inszenierte Authentizität, um den Unterschied zwischen echter und falscher Nähe zwischen Influencerinnen und ihrem Publikum, Spannung zu beziehen. Auch die Erwartungshaltung einer Gesellschaft mit ihrer nach wie vor erstaunlich soliden Vorstellungen von Mutterschaft, der sich Momfluencerinnen um ein Vielfaches verstärkt aussetzen, wird nur angerissen – gegen die mal empört, mal mitleidig schnaubende Dampflok Thiel & Boerne haben solche Gedankenflüge keine Chance.

Eher überflüssig sind auch zwei Nebenrollen: der nervige Großneffe von Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) und eine aufgeregte Praktikantin in Boernes Obduktionsraum. Diese Auftritte lassen sich eigentlich nur mit dem Gewinn von irgendwelchen "Tatort"-Preisausschreiben rechtfertigen.

Und so plätschert dieser Münsteraner Fall besonders betulich vor sich hin, weil die Welt der Momfluencerinnen naturgemäß eine weibliche ist und so besonders viel Stoff für das übliche Boerne-und-Thiel-Geplänkel hergibt. Damit die Extradosis unzeitgemäßer Altherrenwitze nicht ganz so ungehindert durch das Abendprogramm klotzt, wird die Stelle eines Sensibilisierungsbeauftragten im Präsidium erfunden, auf die sich sowohl Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer) als auch Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) bewerben, weshalb sie sich nun über ihre ignoranten Vorgesetzten um die Wette empören. Gutmütig und völlig folgenlos natürlich.

Wer sich über das "Gendern" der "woke bubble" aufzuregen pflegt und gerne "man wird doch wohl noch sagen dürfen" sagt, wird sich über "MagicMom" sicher ganz köstlich amüsieren. Alle anderen können diesen Schmunzelkrimi der eher altbackenen Sorte ruhig überspringen.

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