Die Algerierin Imane Khelif könnte am Dienstagabend ins Box-Finale einziehen. Doch ihr Erfolg wird überschattet von einer Debatte um ihr Geschlecht. Die Annahme, es gehe um die "Rettung des Frauensports" ist ein Irrtum.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Mara Pfeiffer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Im Januar 2024 ernannte Unicef die Boxerin Imane Khelif zur Botschafterin. Als Vertreterin des Kinderhilfswerks sagte Katarina Johannsen damals: "Wir fühlen uns geehrt, dass Imane die Anfrage angenommen hat, Botschafterin für uns zu sein. Sie ist jetzt schon ein großartiges Vorbild für junge, sportinteressierte Menschen in Algerien."

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Die Sportlerin selbst betonte, welche Ehre die neue Rolle für sie darstelle. Junge Menschen wolle sie dazu aufrufen, ihren Träumen zu folgen. "Lasst euch von Hindernissen nicht stoppen. Mein Traum ist es, eine Goldmedaille zu gewinnen. Wenn ich ihn erreiche, können Mütter und Väter sehen, wie weit ihre Kinder es schaffen können. Besonders will ich Mädchen inspirieren und Kinder, die in Algerien benachteiligt sind."

Hetzkampagne gegen Khelif nach Sieg gegen Carini

Die Zitate wirken ein knappes halbes Jahr nach der Veröffentlichung wie aus einem anderen Leben. Khelif, die beim Boxen im Achtelfinale der Olympischen Spiele die Italienerin Angela Carini besiegt hat, sieht sich seit Tagen einer beispiellosen Hetzkampagne ausgesetzt, deren Kern darin besteht, ihr das Frau-Sein abzusprechen.

Als vermeintlicher Beweis wird angeführt, dass die Algerierin bei der Weltmeisterschaft 2023 von der International Boxing Association (IBA) nicht zugelassen wurde. Angeblich hatte sie einen Geschlechtstest nicht bestanden, auch von erhöhten Testosteronwerten ist die Rede.

Beweise oder zumindest eine Antwort darauf, welcher Test angewendet wurde, bleibt die IBA schuldig, was Zweifel aufkommen lässt an der Intention des Verbandes.

Hinzu kommt, dass die IBA seit 2019 vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht mehr anerkannt ist, das Internationale Sportgericht (TAS) hat den Ausschluss 2023 bestätigt. Vorgeworfen werden dem vom russischen Funktionär Umar Kremlew geführten Verband seine finanzielle Abhängigkeit von Gazprom, unklare Geldflüsse und manipulierte Ringrichter-Urteile.

In der hitzigen Debatte gibt es keine Gewinner

Es ist wichtig, beides festzuhalten, dass es keine Beweise gibt für die Behauptung, Khelif habe womöglich ein Y-Chromosom, und dass die IBA durchaus Interesse daran hat, sich mit dieser Hetzkampagne in ein positives Licht zu rücken.

Inzwischen hat der Verband der unterlegenen Italienerin ein Preisgeld zugesagt. Viele, die in die Hetzkampagne gegen Khelif einstimmen, sagen von sich, sie wollen "den Frauensport schützen". Aber was soll das genau heißen?

Es hat gute Gründe, dass sich das IOC inzwischen von den sogenannten Geschlechtstests verabschiedet hat. Wer fordert, diese erneut einzuführen, sollte sich fragen, was das mit sich bringen würde: Wer entscheidet, wer sich diesen Testungen unterziehen muss? Wer legt fest, für wen eine körperliche Inspektion, ein in sich würdeloses Unterfangen, ausreicht – und bei wem weitere Test angewendet werden? Was sollten Kriterien dafür sein? Und wer bestimmt, welche Personen "weiblich genug" aussehen – und vor allem, welche nicht?

Bei diesem Prozedere kann es nur Verlierer*innen geben, besonders betroffen wären aber jene, die bereits regelmäßig mit ähnlichen Vorurteilen überzogen werden wie Khelif. Das sind zum einen jene Frauen, deren Aussehen mit den Sehgewohnheiten bricht, die sich gängigen Stereotypen und Klischees verweigern. Frauen mit kurzen Haaren, mit Muskeln, einem breiten Kreuz, große Frauen, starke Frauen, Frauen mit Eigenschaften, die gesellschaftlich Männern zugeschrieben werden. Frauen, die nicht feminin, nicht weich sind, die Raum einnehmen.

Was bedeutet es, "Frauensport zu schützen"?

So wie die Behauptung, nicht "weiblich genug" zu sein, schon jetzt mehrheitlich nicht weiße Personen trifft, würden sich diese auch verstärkt der Gewalt durch die Tests ausgesetzt sehen. Die Rückkehr zu derlei Verfahren würde Rassismus und Misogynie Tür und Tor öffnen, würde viel Leid für Mädchen und Frauen bedeuten und sie ganz sicher nicht schützen.

Wer sich damit auseinandersetzt, welche Positionen sich hinter derzeitigen Kampagnen zur vermeintlichen Rettung des Frauensports verbirgt, kommt ohnehin schnell ins Gruseln.

Es geht um ein Leben in Würde

Noch weiter an den Rand gedrängt als ohnehin würden im Sport Menschen, die sich als nicht binär identifizieren, ebenso inter und trans Personen. Schon jetzt weisen Studien eine erhöhte Suizidrate bei trans Jugendlichen auf. Ihnen wird einerseits eine Transition vor der Pubertät verunmöglicht, andererseits gilt genau das später als Grund, um sie vom Sportwettbewerb auszuschließen.

Die Energie, die aufgewendet wird, um zu hassen und zu verunglimpfen, wäre gut investiert, sich damit auseinanderzusetzen. Denn für die Menschen, die da so regelmäßig ausgeschlossen und angefeindet werden, geht es um viel mehr als den Wunsch, an sportlichen Wettbewerben teilnehmen zu können. Es geht um ein Leben in Würde, um das Überleben.

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