Die neue NFL-Saison steht in den Startlöchern. Vor dem Auftakt haben wir mit RTL-Experte Björn Werner über die Favoriten, die "Goat"-Frage, die spannendsten Geschichten der Saison und Probleme des deutschen Sportsystems gesprochen.
Herr Werner, der Saisonstart der NFL steht bevor. Schaffen die Kansas City Chiefs mit dem dritten Titel in Serie Historisches?
Björn Werner: Sie werden auf jeden Fall wieder im Super Bowl stehen. Ich sehe kein Team in der AFC, das sie herausfordern kann. Die Baltimore Ravens werden oben mitspielen, aber in einem direkten Duell kann ich nicht sehen, dass Lamar Jackson Patrick Mahomes schlägt. Ich habe das Gefühl, dass der dritte Titel in Folge möglich ist. Das wäre perfekt für die NFL, eine Geschichte zu schreiben, die noch nie passiert ist. Und nicht einmal
Was gehört generell dazu, in einer so intensiven Saison und angesichts der Besonderheiten der NFL den Titel zu holen?
Erstmal natürlich, dass du gesund bleibst über eine komplette Regular Season. Das ist etwas, das du manchmal nicht kontrollieren kannst. Auf einmal hast du fünf schwere Verletzungen auf wichtigen Positionen, die du nicht mehr kompensieren kannst.
Und was noch?
Du brauchst einen starken Quarterback wie Mahomes. Doch so ein Top-5-Spielmacher, der auf einem so hohen Niveau agiert, ist sehr schwer zu finden. Du brauchst aber auch eine gute Defense. Aber das Krasse ist ja: Beim ersten Super-Bowl-Sieg war die Chiefs-Offense so stark, dass die Defense nur okay sein musste. Aber beim letzten Triumph in diesem Jahr war es die Defense, die die Chiefs überhaupt erst dorthin gebracht hat. Und da erkennt man das Mindset der Hauptakteure dort, der Spieler, von Trainer Andy Reid. Und das ist schon echt faszinierend.
Wie schwierig ist es durch das US-System mit Draft und Gehaltsobergrenze, immer im Super-Bowl-Dunstkreis zu bleiben?
Das ist echt sehr schwer in der NFL. Dafür brauchst du ein verdammt gutes Management. Dass du Schlüsselspieler hältst, aber auch Akteure gehen lässt, wenn sie zu viel Geld haben wollen. Das ist am Ende ein Puzzlespiel des Managements und das machen sie besser als alle anderen. Der Kader ist auf allen Ebenen sehr gut, aber die jungen Spieler sind sofort auf einem fantastischen Niveau. Da geht es dann auch um das Coaching und die Führung. Manchmal denke ich, dass sie irgendeine Formel haben, die die anderen nicht haben. Am Ende ist Patrick Mahomes der beste Spieler der NFL der letzten Jahre. Und wenn der noch weiter auf diesem Niveau spielt, dann sehe ich in den Chiefs die New England Patriots 2.0.
Kann man denn sagen, wie lange ein Super-Bowl-Fenster in der Regel geöffnet ist, von Ausnahmen wie den Patriots mal abgesehen?
Wenn man sich die Historie der NFL anschaut, dann gab es meistens Dynastien, über die wir noch heute sprechen. Jedes Jahrzehnt hatte oft ein dominantes Team. Und meistens ist es so, dass es in zehn Jahren drei Super Bowls gewonnen hat. Und dann kamen die Patriots, die über 20 Jahre die NFL dominiert haben. Für mich gibt es keine krassere Dynastie als die Patriots mit Tom Brady. Schaffen die Chiefs das auch? Darüber können wir in zehn Jahren reden.
Wer ist der beste Quarterback der Geschichte?
Mahomes ist der beste Quarterback der Gegenwart. Ist er auch der "Goat"? Oder bleibt das zumindest vorerst Tom Brady?
Das ist immer noch Tom Brady. Mahomes muss erst einmal die individuellen Rekorde von Brady brechen. Und Brady hat lange in der NFL gespielt. Auch bei den Super Bowls ist Mahomes noch ein Stück weg und das zeigt einfach, wie unfassbar Brady war.
Sind die Chiefs eigentlich das beliebteste Team aktuell?
Das würde ich schon sagen, vor allem auch, weil sie aus dem Mainstream noch Fans von
Rund um die NFL gibt es hier deutlich mehr Modefans, oder?
Ja, das liegt daran, dass wir nicht mit einem NFL-Team aufwachsen, als Kinder nicht in irgendeiner Bettwäsche schlafen, wie wir es aus dem Fußball kennen, wo jeder in eine Fankultur reinwächst. Wir haben viele NFL-Fans, die mehrere Trikots im Schrank haben. Fußball hat gefühlt 100 Jahre Vorsprung. Deswegen braucht das noch ein bisschen.
NFL-Experte Werner nennt seine Super-Bowl-Favoriten
Wer gehört für Sie in der anstehenden Saison neben den Chiefs noch zu den heißen Anwärtern auf den Super Bowl?
Auf jeden Fall wieder die San Francisco 49ers. Ich denke, dass es ein Rematch geben könnte. Die sind fantastisch aufgestellt. Die Ravens gehören auch dazu. Da ist die Frage: Schafft Lamar Jackson den nächsten Schritt? Dann die Detroit Lions, die Philadelphia Eagles, Dallas Cowboys, Green Bay Packers und Miami Dolphins.
Die NFL bietet unzählige spannende Geschichten. Welche würden Sie den Zuschauern empfehlen?
Auf jeden Fall die Chiefs, ob sie es dreimal hintereinander hinbekommen, den Super Bowl zu gewinnen und Geschichte schreiben. Eine große Story ist, was der Nummer-1-Pick aus dem Draft, Caleb Williams, macht. Er hat bei den Chicago Bears ein sehr gutes Team um sich herum. Da bin ich sehr gespannt, was er damit anstellen kann. Dazu Taylor Swift und Travis Kelce. Das war letztes Jahr die Story, das kann eigentlich nicht nochmal die Story werden, wird es aber wahrscheinlich doch wieder. Und dann wären da noch die Miami Dolphins. Tua Tagovailoa hat seinen Vertrag bekommen. Verschwindet der Mediendruck, der immer um ihn herum war? Können sie eine Überraschung werden? Das sind tolle Geschichten.
Was die Offseason immer begleitet, sind Streiks für neue Verträge. Warum wird das in den USA mehr oder weniger hingenommen?
Weil die Verträge oft nicht komplett garantiert sind. Und du hast durch Verletzungen eine sehr kurze Karriere. Wenn du es einmal geschafft hast abzuliefern und es ist an der Zeit abzukassieren, dann musst du das Pokerspiel spielen. Man muss sich vorstellen: Ein Topstar geht in sein letztes Vertragsjahr und sagt: 'Wir können danach reden.' Dann verletzt er sich und verliert dadurch möglicherweise 30 bis 40 Millionen Dollar. Deswegen ziehen die Stars, die es können, das durch. Die restlichen 50 Spieler im Kader können das nicht. Das ist meistens ein Spieler pro Jahr und pro Team, der dieses Timing mit den Komponenten Wichtigkeit, Starspieler und Timing mit dem Vertrag hat.
Gibt es einen Teil des US-Systems, das man in Deutschland übernehmen könnte?
Wir brauchen viel mehr Sportakademien und vor allem brauchen wir eine Politik, die mehr Wert auf den Sport legt. Es ist ein Witz, was in Deutschland mit jeder Sportart außer Fußball passiert. Der wird gefördert, weil es genügend Fans gibt. Aber wir sind keine Sportnation, es wird sonst kaum etwas gefördert. Beispiel Olympia: Athleten, die Deutschland repräsentieren, bekommen für eine Goldmedaille 20.000 Euro. Und den Rest der Zeit müssen sie noch einen normalen Job ausüben. Das ist für mich absurd.
Was müsste sich ändern?
Das fängt bereits in der Grundschule an. Wenn ich die Diskussionen um die Bundesjugendspiele sehe, kann ich mir nur an den Kopf fassen und sagen: Das ist ein Schritt zurück. Wir werden nie eine Sportnation werden wie die USA. Dort wird es immer kombiniert mit einem Stipendium. Ich würde mir wünschen, dass in Deutschland Spitzensportler aus vermeintlich kleineren Sportarten gefördert werden und sich auch auf ihre Sportlerkarriere konzentrieren können.
Ist das ein generelles Mindset-Problem in Deutschland?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe zuletzt einen Ausschnitt aus einer Sportshow gesehen. Da waren drei deutsche Athleten, die bei Olympia Medaillen gewonnen haben. Sie wurden gefragt, was sie sich wünschen würden. Alle drei haben gesagt, dass sie gerne eine stärkere Förderung hätten. Und was passiert in den Kommentaren? 'Sucht euch mal einen richtigen Job' oder 'Die wollen alles in den Hintern gesteckt bekommen'. Das sieht man leider öfter. Ich verstehe das nicht, denn in der Berufswelt ist es doch nicht anders: Wenn du in deinem Fachbereich der Beste bist, ist es normal, dass du besser bezahlt wirst als andere. Da geht es doch immer um Angebot und Nachfrage. Da habe ich das Gefühl, dass im Sport viele Athleten einfach zu kurz kommen.
Apropos Angebot und Nachfrage: Amon-Ra St. Brown hat einen Mega-Vertrag über rund 30 Millionen Dollar pro Jahr abgeschlossen. Wo führt sein Weg noch hin?
Alles ist möglich. Er kann einer der Top-5-Receiver sein, Jahr für Jahr, wenn er gesund und weiter hungrig bleibt. Er hat eine sehr gute Verbindung mit seinem Quarterback Jared Goff, die Lions sind ein Team, das um den Super Bowl spielt – besser kann es für ihn gar nicht laufen.
Der Weg über das College ist Pflicht
Wie sehen Sie die Situation der anderen Deutschen, wer kann sich da nachhaltig durchsetzen?
Es gibt ein paar gute Jungs, Kilian Zierer zum Beispiel. Ihn kenne ich, er hat ein riesiges Potenzial. Ansonsten sind ein paar Jungs im Practice Squad der Teams und am Ende liegt es an ihnen, ob sie sich langfristig durchsetzen oder nicht. Die Chance, dass es einer schafft, ist leider extrem gering. Aber irgendwann wird es wieder jemand schaffen.
Was gehört generell als Deutscher dazu, um den Sprung in die NFL zu schaffen? Ist ein College Pflicht?
Ja, denn das Training, das du in den fünf Jahren an einem großen College bekommst, kannst du in Deutschland nicht nachholen. Das geht einfach nicht. Du musst ans College gehen, du musst dich da durchsetzen können, das Training mitnehmen, diesen Wettbewerb, damit du das Maximum aus dir herausholen kannst. Die Diskrepanz ist riesig, wenn du nicht College-Football gespielt hast.
Im November findet das nächste Spiel auf deutschem Boden statt, die Carolina Panthers treffen in München auf die New York Giants. Der deutsche Markt hat sich längst etabliert. Wie wichtig ist er für die NFL?
Ich höre immer, dass er sehr wichtig ist, und dass Deutschland der größte Wachstumsmarkt außerhalb Nordamerikas ist. Ich bin mal gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt. Es gilt, immer wieder einen draufzusetzen, und das wird immer schwieriger. Wir hatten Patrick Mahomes und Tom Brady hier und auf einmal kommen die Panthers und Giants und alle meckern. Aber auch das Spiel war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.
Wann sehen wir den ersten Super Bowl außerhalb der USA?
Ich hoffe nie. Das würde vom Flair des Events zu viel wegnehmen. Denn am Ende sitzt die größte Fanbase in den USA. Und um welche Uhrzeit willst du das machen, damit die Amerikaner am Ende happy sind, aber auch die Leute vor Ort?
Glauben Sie denn, dass es ein Team außerhalb der USA geben wird, zum Beispiel in Europa?
Darüber wird seit zehn Jahren geredet, London war immer im Gespräch. Ich glaube nicht daran, weil es in dem Zusammenhang noch zu viele Herausforderungen gibt. In Kanada vielleicht, wie in der NBA oder NHL. Aber in Europa sehe ich das nicht.
Über den Gesprächspartner
- Björn Werner wurde 2013 mit dem 24. Pick des NFL-Drafts von den Indianapolis Colts gedraftet. Damit war er der erste Deutsche, der in der ersten Runde ausgewählt wurde. Bei den Colts spielte er bis zu seiner Entlassung im März 2016. Im Januar 2017 gab er seinen Rücktritt bekannt und ist heute unter anderem als NFL-Experte im TV zu sehen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.