Immer wieder werden Sportler in den sozialen Netzwerken beleidigt und beschimpft, teilweise sogar bedroht. Medienexperte Dr. Daniel Nölleke erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion das Phänomen - und zeigt auf, welche Möglichkeiten es gibt, um dem Hass entgegenzutreten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der ungezügelte Hass gegen Sportler in den sozialen Netzwerken macht oft sprachlos. Die Abgründe, die Hetze, die Feindseligkeit sind auch als bloßer Beobachter kaum auszuhalten. Da werden Beleidigungen und Drohungen zügellos rausgehauen, voller Wut wird verbal um sich geschlagen, zumeist unter die Gürtellinie.

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Rassistische Entgleisungen gehören leider ebenfalls dazu. Zuletzt traf es Borussia Dortmunds Soumaïla Coulibaly, Innenverteidiger, 19 Jahre alt. Nach seinem Fehler, dem das 3:3 des VfB Stuttgart gegen den BVB folgte, ging es auf seinem Instagram-Profil rund – im negativen Sinne. Wiederholen muss man die Verbalinjurien an dieser Stelle nicht. Coulibaly ist nicht der einzige Star, der damit zu kämpfen hat.

Kürzlich erst waren es die Bayern-Stars, die im Rahmen der Kampagne "Gemeinsam gegen Hass im Netz" in einem aufrüttelnden Video gegen sie gerichtete Hass-Nachrichten vortrugen. Auf Instagram machte Benjamin Henrichs von RB Leipzig gegen ihn gerichtete Hass-Nachrichten öffentlich, Kaiserslauterns Torhüter Andreas Luthe schrieb: "Wusste gar nicht, dass Familien den Tod zu wünschen so in Mode geraten ist. Der Trend ist an mir vorbeigegangen...".

Ist Kampf gegen Hass im Netz aussichtslos?

Das sind nur ein paar Beispiele, die das Gefühl vermitteln und sogar verstärken, dass der Hass extrem zugenommen hat, während gleichzeitig die Hemmschwelle immer weiter sinkt. Ist Kampf gegen Hass und Hetze im Netz aussichtslos?

"Social Media ist ein Resonanzboden, wo es eindeutig stärker hochkocht, weil die Masse noch größer als im Stadion ist. Das Phänomen ist ein ähnliches, dass man sich im Netz wie in der Kurve hinter der Masse vermeintlich verstecken kann", sagt Daniel Nölleke vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dieses Phänomen habe sich in den vergangenen Jahren verstärkt, sagt er: "Es gehört fast zur Logik von Social Media, dass über das Ziel hinausgeschossen wird". Die geballte Wut und der tiefe Frust, die offenbar hinter diesen Nachrichten stecken, sind für Beobachter trotzdem kaum nachzuvollziehen.

Morddrohungen sind kein Tabu

Selbst vor Morddrohungen schrecken manche nicht zurück. Nicholas Latifi bekam sie, weil er beim Formel-1-Finale 2021 einen Unfall baute und so Max Verstappen den Titelgewinn ermöglichte. Im vergangenen Jahr hatte Ex-Bayern-Trainer Julian Nagelsmann nach dem Aus in der Champions League öffentlich gemacht, dass er 450 Morddrohungen erhalten habe.

Was ist der Grund für diese Zügellosigkeit? "Es sind oft Menschen, die eine extremere Form einer Meinungsäußerung verfolgen und sich solche Plattformen zunutze machen", sagt Nölleke.

"Dinge, die zuvor sozial geächtet waren, werden in gewisser Weise salonfähig. Man hat das Gefühl, dass man Mitstreiter findet, die das unterstützen, und fühlt sich so vermeintlich sicher." Was in den Leuten vorgehe, sei allerdings schwer zu erforschen, weil diese Menschen dafür nicht wirklich zugänglich seien, so der Medienexperte.

Es gibt auch Solidarität und positive Eingriffe

Es geht heute verrohter zu, "der Eindruck ist ganz eindeutig", sagt Nölleke, der aber auch darauf verweist, dass "auch die Sensibilität größer geworden" sei, "im Sport selbst, dass man versucht, Gegenmaßnahmen zu ergreifen oder Sportler zu schützen. Und dass es auch im Publikum beziehungsweise bei den Nutzern Solidaritätsbekundungen und positive Eingriffe gibt".

Wie bei Coulibaly, als Fans ihm auf seinem Profil zur Seite standen. Auch der BVB bot umgehend seine Unterstützung an.

Wichtig sei es, dass man als Sportler zeige, "dass einen die Hassnachrichten berühren und treffen", so Nölleke, der zudem glaubt, dass ein direkter Austausch auch etwas bringen kann. "Es kann so auf der anderen Seite möglicherweise zu einer Reflexion führen, wenn man sich in so einem Hass-Diskurs vereinzelt einbringt", so der Experte: "Das sind nicht über den Kamm hinweg schlimme Menschen, sondern sie schießen in dem Moment total über das Ziel hinaus und sind sich oft der Wirkung ihrer Worte gar nicht bewusst." Trotzdem ist es ein mühsamer und kräftezehrender Kampf.

Sportler müssen lernen, damit umzugehen

Denn oft herrscht auch die Meinung vor, dass hochbezahlte Sportler Kritik aushalten müssen, wie tief unter der Gürtellinie sie auch ausfällt. Für die Athleten ist es eine Zwickmühle, denn klar ist: Man strebt als Sportler nach Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit, "und Social Media ist eine extrem wichtige Marketingmaschine", betont Nölleke. Man kann es sich als Sportler eigentlich nicht leisten, dort nicht aktiv zu sein. "Deshalb kann man so etwas wie einen Shitstorm kaum vermeiden und muss lernen, damit zu leben und umzugehen", so Nölleke.

Spielerberater Stefan Backs sagt bei der Deutschen Welle, dass viele Spieler ihr Gehalt "als Schmerzensgeld" empfinden. Er weiß, wovon er spricht. Seine Agentur vertritt unter anderem Torhüter Alexander Nübel, der aktuell vom FC Bayern an die AS Monaco verliehen ist. Als Nübel 2020 von Schalke 04 zu Bayern wechselte, ging ein Shitstorm los, der im Grunde bis heute anhält und immer mal wieder hochkocht. "Dieses Phänomen Hass im Netz ist ein unterirdisches Phänomen", sagte Backs: "Man stumpft mit der Zeit ab. Die traurige Wahrheit ist, dass die Spieler lernen, damit umzugehen."

Nölleke bestätigt, dass es irgendwo – so traurig sich das anhört – "Teil des Geschäfts" sei. Abfinden muss sich deshalb aber niemand mit Hass und Hetze, vor allem dürfen Betroffene nicht alleine mit dem Hass bleiben. "Es braucht professionelle Abwehrmechanismen und Abwehrstrukturen in Verbänden und Vereinen, um Sportler darauf vorzubereiten und auch aktiv zu helfen, wie man mit dem Hass umgehen kann", sagt Nölleke.

Polizei und Justiz haben mehr Möglichkeiten

Shitstorm, Hate Speech und Cybermobbing sind akute und riesige Herausforderungen, nicht nur bei Sportlern. Denn die digitale Gewalt hat mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun, sondern ist verletzend – und längst strafbar. Die Bundesregierung hat 2021 ein Gesetzespaket verabschiedet, mit dem "Polizei und Justiz sehr viel entschiedener gegen menschenverachtende Hetze vorgehen" können, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bei der Vorstellung: "Wer hetzt und droht, muss mit Anklagen und Verurteilungen rechnen. Ab sofort drohen bei Beleidigungen im Netz bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe." Bei Mord- und Vergewaltigungsdrohungen sind es bis zu drei Jahre.

Seit rund einem Jahr müssen die sozialen Netzwerke Hassdelikte nicht mehr nur löschen, sondern auch an das Bundeskriminalamt melden. Doch das läuft nur schleppend an. Das BKA rechnete anfangs mit 150.000 neuen Strafverfahren jährlich, gemeldet wurden laut dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" aber nur 7.500, weil Google, Meta, Twitter und TikTok gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes Klage eingereicht und deshalb bisher laut einem BKA-Sprecher "noch keine Meldungen von strafbaren Inhalten an das BKA übermittelt" haben.

Aktiv wurden stattdessen die Meldeplattform Hessen gegen Hetze, die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen und die Meldestelle Respect der Jugendstiftung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg.

Es müsste mehr gemacht werden

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) ist ebenfalls alarmiert und setzt mit den Klubs bereits Maßnahmen zur Unterstützung um. Kampagnen zur Aufklärung oder Initiativen wie "Gemeinsam gegen Hass im Netz" sind andere Optionen für Betroffene, auch die Spielergewerkschaft VDV, die Interessensvertretung der in Deutschland tätigen Fußballprofis, unterstützt mit juristischer Beratung, psychologischer Unterstützung oder Medien-Schulungen.

"Es passiert schon einiges, aber aktuell müsste mehr gemacht werden", so Nölleke. "Ich habe aber den Eindruck, dass es dadurch, dass das Thema und die Folgen wie psychische und sportliche Krisen medial diskutiert und viel häufiger thematisiert werden, mehr Sensibilität im Sport für das Problem und die negative Entwicklung gibt".

Über den Experten:
Dr. Daniel Nölleke ist als Juniorprofessor für "Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit" an der Deutschen Sporthochschule in Köln am Institut für Kommunikations- und Medienforschung tätig.

Verwendete Quellen:

  • dw.com: Hass im Netz - und die Auswirkungen auf Profifußballer
  • bmj.de: Gesetzespaket gegen Hass und Hetze ist in Kraft getreten
  • rnd.de: Hass im Netz: BKA prüfte bisher 7500 Meldungen
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