Die deutschen Handballer starten am Mittwoch (15. Januar) in die WM. Vorher haben wir uns mit Ex-Weltmeister Dominik Klein über die Schlüssel zum Erfolg, die Stärken des deutschen Kaders, die offenen Baustellen und einen möglichen Shootingstar unterhalten.
Dominik Klein, stellt Olympia-Silber den Status Quo des deutschen Handballs dar oder ist es das Ergebnis, wenn alles optimal läuft?
Dominik Klein: Silber war das Ergebnis, wenn alles optimal läuft und auch ein bisschen Spielglück dazukommt. Aber es bestätigt vor allem den Entwicklungsschritt der Mannschaft. Dieses junge Team hat sich etabliert und steigert sich von Turnier zu Turnier. Die Medaille kam genau zur richtigen Zeit.
Wo steht das DHB-Team im Vergleich mit den anderen Top-Nationen? Kratzt man an den Top vier?
Kratzen trifft es ganz gut. Die Spieler wissen, dass sie jetzt daran gemessen werden, ob sie ihre Leistungen bestätigen können. Nationen wie Frankreich und Dänemark haben ein Selbstverständnis entwickelt, zu Turnieren zu fahren und mit Medaillen zu rechnen. Auch Schweden hat in den letzten vier bis fünf Jahren mit kontinuierlicher Entwicklung diesen Status erreicht. Die deutsche Mannschaft ist auf dem Weg, hier aufzuschließen.
2023 WM-Fünfter, 2024 EM-Vierter, dazu Olympia-Zweiter. Gold wäre jetzt doch eigentlich fällig, oder?
(lacht) Wenn man die Entwicklungsschritte verfolgt, wäre Gold die logische Konsequenz. Aber entscheidend ist es, sich bei der WM kleine Zwischenziele zu setzen: Die Favoritenrolle in der Vorrunde anzunehmen und die maximale Punktausbeute mitzunehmen, um in der Hauptrunde Erster oder Zweiter zu werden. Das große Ziel bleibt das Viertelfinale, und dafür muss die Mannschaft ihre Leistung immer wieder bestätigen.
"In die Weltspitze zu kommen, ist ein schwieriger Schritt"
Das Selbstverständnis hat sich im deutschen Handball aber verändert, der Bundestrainer spricht inzwischen vom Halbfinale …
Auch bei der Mannschaft fällt das Wort Halbfinale immer leichter. Und das darf es auch, denn der Hunger ist da, bei den Großen der Welt dabei zu sein. Aber in die Weltspitze zu kommen, ist eine Sache und ein schwieriger Schritt. Dort zu bleiben, wäre dann der nächste Schritt. Und jetzt sind wir kurz davor, diesen ersten Schritt überhaupt erstmal zu schaffen.
2007 haben Sie den WM-Titel gewonnen. Wie fühlt sich so ein Triumph an?
Das war ein ganz besonderer Moment, vor allem im eigenen Land. Das Größte für mich war, wie wir die Nation dazu gebracht haben, unsere Sportart zu verfolgen und wie wir unsere Werte vorgelebt haben. Das sehen wir auch heute noch: Jedes Jahr im Januar erwachen die Menschen und sagen: 'Was für eine coole Sportart, was für coole Typen.' Das war damals das Schönste: Dass wir das transportieren und für Jugendliche ein Vorbild sein konnten.
Und wie sehr prägt oder verändert dieser Titel eine Karriere?
Ich wollte danach einfach mehr. Ich wollte meine Leistung bestätigen, mich jeden Tag verbessern und jedes Jahr einen weiteren Titel holen. Diese Leistungskultur, die ich im Profisport gelernt habe, trage ich heute in mein Leben. Ich halte Vorträge in Unternehmen und teile meine Erfahrungen. Und klar, einem Weltmeister hört man ein bisschen mehr zu. Aber das, was wirklich zählt, passiert in der Halle: Die Kinder, die ich trainiere, spüren sofort, wenn jemand authentisch ist und auf Augenhöhe kommuniziert. Es geht darum, ihnen vorzuleben, wofür man steht.
Was sind die Schlüssel, um den WM-Titel zu holen?
Die mannschaftliche Geschlossenheit. 2007 waren wir nicht nur die stärkste Mannschaft, wir haben das auch als Einheit gespürt und gelebt. Das sehe ich heute auch bei der aktuellen Mannschaft. Dieser Kern, der sich so gut versteht und schon eine Medaille gewonnen hat, hat Lust auf mehr. Der Schlüssel liegt auch darin, Stück für Stück dem Ziel entgegenzugehen. Wichtig ist es, sich Spiel für Spiel weiterzuentwickeln und im Turnier als Team zu wachsen.
"DHB-Team hat eine stark ausgeprägte selbstkritische Art"
Was auffällt: Die Stimmung im Team ist schon jetzt hervorragend. Wie erhält man sich die Stimmung in einem Turnier?
Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft die Leistung abrufen kann und Bundestrainer
Mit den Tests gegen Brasilien war Gislason unzufrieden. Wo gibt es noch Baustellen?
Ein Problem war vor allem die Effektivität, die Torchancenverwertung. Da braucht die Mannschaft noch mehr Konzentrationsfähigkeit, damit man nicht den gegnerischen Torwart warm wirft. Ein bisschen mehr Zielstrebigkeit im Abschluss, dann finden alle gut in ihr Spiel. Der Bundestrainer hat aber eine Vielzahl von Konstellationen zur Verfügung und dazu 'komplette Spieler' - also Akteure, die Abwehr und Angriff spielen können. Das kann ein entscheidender Faktor sein, weil jeder Spieler von der Bank sofort helfen kann. Und wenn dann noch der Mut von der Bank kommt, kann das den Unterschied ausmachen.
Das deutsche Team hat mit Andreas Wolff, Juri Knorr und Johannes Golla erfahrene Anführer, wird aber auch von jungen Spielern wie Renars Uscins,
Ich würde niemanden speziell hervorheben, denn die mannschaftliche Ausgeglichenheit ist essenziell. Der Kern der Mannschaft ist breiter, und gleichzeitig kommen immer wieder Überraschungsspieler dazu. Es ist spannend zu sehen, wie sich dieses Team aus individuellen Persönlichkeiten zu einer echten Einheit formt.
Uscins ist auf dem Weg nach oben, aber mit dem Aufstieg wachsen auch Ansprüche und Druck. Wie sollte ein Spieler damit umgehen, um nicht erdrückt zu werden?
Der Schlüssel liegt darin, sich in einen guten mentalen Zustand zu bringen. Es hilft, sich zu fragen: "Warum spiele ich Handball, und was darf ich hier eigentlich erleben?" Wenn einem bewusst ist, dass es ein Privileg ist, für die Nationalmannschaft bei einer WM zu spielen und den Adler auf der Brust zu tragen, dann kann sich Druck in Freude umwandeln. Im Vordergrund sollte stehen, diese Einzigartigkeit zu genießen – im Januar auf der großen Bühne zu stehen, die Sportart zu vertreten und Vorbild für Kinder und Jugendliche zu sein.
Mannschaft tun Alternativen zu Knorr gut
Unter Druck stand in der Vergangenheit oft Juri Knorr. Kann ihn die Breite im Kader möglicherweise entscheidend entlasten?
Es gibt inzwischen genug Optionen, auch auf der Spielmacherposition. Trotzdem bleibt Juri mit seiner Dynamik, seiner Kraft und seinem schnellen Arm enorm torgefährlich. Er hat ein super Auge, setzt seine Mitspieler in Szene und ist ein Denker und Lenker auf der Platte. Gleichzeitig tut es der Mannschaft gut, dass es Alternativen gibt, etwa Nils Lichtlein auf der Mitte oder Luca Witzke, der mit seiner körperlichen Präsenz überzeugt. Das gibt der Mannschaft zusätzliche Variabilität.
Wer von den Jungstars könnte bei diesem Turnier den nächsten großen Schritt machen?
Ich bin überzeugt, dass es Justus Fischer sein wird. Durch die verletzungsbedingte Absage von Jannik Kohlbacher wird er deutlich mehr Spielanteile bekommen. Justus bringt einen jugendlichen Frohsinn ins Team, bleibt dabei aber trotzdem ernsthaft und fokussiert.
Auftaktgegner am Mittwoch ist Polen. Worauf kommt es an?
Das erste Spiel gegen Polen wird zeigen, wie ernsthaft und mental stark das Team in das Turnier geht. Es ist wichtig, im Auftaktspiel ein Zeichen zu setzen. Gegen die Schweiz und Tschechien gilt es dann, diese Leistung zu bestätigen und die maximale Punktausbeute zu holen. Das ist die Grundlage, um überhaupt ins Viertelfinale zu kommen.
Wie schätzen Sie die größten Titel-Konkurrenten Dänemark, Frankreich, Norwegen, Spanien und Schweden ein?
Frankreich und Dänemark haben unglaublich starke Kader mit absoluten Topstars. Für die jeweiligen Nationaltrainer ist es schon eine Herausforderung, aus so vielen exzellenten Spielern die besten auszuwählen. Aber genau diese Mischung und der Teamgeist machen diese Mannschaften so erfolgreich. Dänemark ist für mich der Topfavorit.
Deutscher Handball: Die Basis ist entscheidend
Das Abschneiden bei großen Turnieren hilft dem Handball insgesamt. Wie sehen Sie die Lage im "Jahrzehnt des Handballs"?
Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um den deutschen Handball in seiner Entwicklung zu begleiten. Das gilt nicht nur für die Aufmerksamkeit, die wir jetzt bekommen, sondern vor allem auch für die Basis. 2024 hatten wir schon einen Mitgliederhöchststand, und ich bin sicher, dass die Olympischen Spiele diesen Trend noch verstärkt haben. Das Tolle ist, dass jeder auf lokaler Ebene Teil dieser Entwicklung sein kann. Die Basis ist entscheidend.
Sie sind im Bayerischen Handball-Verband tätig. Welche Herausforderungen gibt es an der Basis für den Sport?
Unsere größte Herausforderung sind die Hallenzeiten, besonders in Ballungsräumen und städtischen Gebieten. Ein weiterer Punkt ist der Bedarf an ehrenamtlichen Trainern. Die Begeisterung und das Interesse sind da – sowohl bei den Kindern als auch bei den Mitgliedern. Wenn wir es schaffen, die Infrastruktur zu verbessern, können wir diesen Trend weiter ausbauen und unseren Sport noch stärker etablieren.
Über den Gesprächspartner
- Dominik Klein gewann mit der deutschen Nationalmannschaft 2007 den WM-Titel, auf Vereinsebene wurde der Linksaußen mit dem THW Kiel unter anderem achtmal Meister, sechsmal Pokalsieger und dreimal Champions-League-Sieger. Heute ist der 41-Jährige unter anderem als Handball-Experte in der ARD tätig.
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