- Sportswashing hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen.
- Autoritäre Regimes nutzen den Sport, um das eigene Image zu verbessern.
- Auch Katar steht unter dringendem Verdacht, die WM nur für die eigenen Zwecke zu nutzen und keine nachhaltigen Reformen anzustoßen.
Oliver Kahn war diesmal besser vorbereitet. Der Vorstandsboss des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München nahm dem schwierigen und belastenden Katar-Thema die Wucht, indem er es auf 2023 vertagte. "Wir werden das Thema weiter intensiv nach der WM besprechen und für den FC Bayern eine Lösung finden", kündigte Kahn bei der Jahreshauptversammlung der Münchner an.
Schon länger gibt es einen Sturm der Entrüstung gegen das Sponsoring von Qatar Airways, das im kommenden Jahr ausläuft. Der Vorwurf: Der FC Bayern lasse sich für das sogenannte Sportswashing vor den Karren der Katarer spannen. "Einige Fans - und das respektiere ich - sehen unsere Kooperation mit unserem Partner Qatar Airlines sehr kritisch", sagte
Er betonte aber auch: "Es ist in Katar zu Fortschritten gekommen, bei Arbeitsrechten und Menschenrechten." Wer etwas ändern und anstoßen wolle, müsse Menschen begegnen, mit ihnen reden und sich austauschen, statt sie auszugrenzen, sagte Kahn.
FC Bayern: Ist das erfolgreiches Sportswashing?
Hier scheiden sich viele Geister: Ist das bereits erfolgreiches Sportswashing? Nutzt Katar also ein Sponsoring wie beim FC Bayern mit Qatar Airways oder auch die anstehende WM, um das eigene Image aufzupolieren und mehr oder weniger subtil davon abzulenken, was im eigenen Land vor sich geht? Oder findet in Katar tatsächlich ein Wandel statt, den man weiter unterstützen sollte?
"Katar nutzt den Sport seit 30 Jahren strategisch", sagt Sportpolitik-Experte Dr. Jürgen Mittag von der Deutschen Sporthochschule in Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. Die WM in diesem Jahr ist nicht das Ende der Fahnenstange, 2030 zum Beispiel richtet der Wüstenstaat die Asienspiele aus.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnt daher: "Die WM in Katar darf nicht dem "Sportswashing" dienen: Auch aus diesem Grund ist es unverzichtbar, dass sich Fans, Mannschaften, Verbände wie der DFB und auch die FIFA öffentlich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen und Missstände klar benennen", sagt Ellen Wesemüller, Pressesprecherin Amnesty International in Deutschland, unserer Redaktion.
"Reality Check" durch Amnesty International
Interessant dabei: Amnesty hat die Situation in Katar im vergangenen Jahr intensiv untersucht und einen "Reality Check" vorgenommen. Ein wichtiges Ergebnis: Katar hat nach jahrelangem internationalem Druck seit 2017 wichtige Fortschritte gemacht. "Dazu gehören ein Gesetz, das die Arbeitszeiten und -bedingungen für Hausangestellte regelt, Schiedsstellen, die den Zugang zur Justiz erleichtern, ein Fonds zur Zahlung von unbezahlten Löhnen sowie die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns", so Wesemüller. Katar hat zudem zwei wichtige internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert.
Das große Aber: Die unzureichende Umsetzung und Durchsetzung dieser Reformen habe dazu geführt, dass die Auswirkungen auf das Leben vieler Arbeiter leider begrenzt seien, so Wesemüller. Es komme demnach laut dem "Reality Check" weiterhin zu teils massiven Menschenrechtsverstößen gegenüber Arbeitsmigranten. Im Februar veröffentliche Amnesty International einen Bericht, der in der Sicherheitsbranche Zwangsarbeit feststellte. Auch Presse- und Meinungsfreiheit seien weiterhin deutlich eingeschränkt, betonte Wesemüller.
Veränderungen als langfristige Perspektive
Mittag geht davon aus, dass es auch während der WM in zunehmendem Maße - im Vergleich zu früheren Sportgroßereignissen - kritische Äußerungen oder Proteste geben wird. Er betont aber auch, dass es einen Wandel gebe, wenn auch nur "auf einem gewissen Niveau". Es werde jedoch weiterhin zu Veränderungen kommen, ist der Experte überzeugt.
Er nennt das Kafala-System, das ausländische Beschäftigte eng an ihre Arbeitgeber bindet, als Beispiel. "Das wäre nie in dieser Form gebrandmarkt worden, wenn es die WM nicht geben würde. Das bedeutet aber nicht, dass alles gut ist, wenn es um Menschenrechte oder die Rechte von Frauen geht." Mittag macht deutlich: "Man muss diese Entwicklung als langfristige Perspektive sehen."
Kurzfristig schließt sich Amnesty International zum Beispiel unter anderem der Forderung der Gewerkschaften für ein selbstverwaltetes Zentrum für Arbeitsmigranten in Katar an, in dem sie sich unter anderem über ihre Rechte informieren können. "Würde es errichtet, wäre es ein echtes Vermächtnis dieser Spiele", sagt Wesemüller. Auch einen Entschädigungsfonds für verletzte oder getötete Arbeiter fordert Amnesty. Die FIFA schließt einen solchen zumindest nicht aus.
Auf die Finger schauen
Es ist also nicht alles negativ. Das betont auch Amnesty, auch wenn Katar erst 2017, also sieben Jahre nach der Vergabe der WM, überhaupt angefangen hat, sich zu bewegen. "Die Reformen sind in der Region einmalig und könnten eine echte und dauerhafte Wirkung haben – allerdings nur, wenn sie vollständig umgesetzt und durchgesetzt werden", sagt Wesemüller. Es sei enorm wichtig, "dass diese Reformen jetzt greifen, damit sie auch nach der Weltmeisterschaft Bestand haben." Bedeutet: Man muss Katar weiter auf die Finger schauen, macht auch Wesemüller deutlich: "Nach der Weltmeisterschaft wird eine genaue Überprüfung erforderlich sein, um sicherzustellen, dass es keine Rückschritte gibt". Sonst wäre die WM 2022 tatsächlich ein Paradebeispiel für Sportswashing.
Verwendete Quellen:
- Amnesty International: Amnesty Report zu Katar
- Amnesty International: Bestandsaufnahme 2021: Ein Jahr bis zum Anpfiff der FIFA-Weltmeisterschaft 2022: Der Stand der Rechte von Arbeitsmigranten in Katar
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