Die Schweiz fliegt mit dem 1:5 gegen Spanien hochkant aus der Weltmeisterschaft. Gegen den spanischen Angriffswirbel ist die Nati schlicht überfordert, bringt ihren Plan überhaupt nicht durch. Das WM-Fazit fällt auch deshalb durchwachsen aus.
Weil weniger manchmal mehr ist, strich Spaniens Trainer Jorge Vilda neulich einen kompletten Trainingstag und setzte stattdessen einen "family and friends day" an. Seine Spielerinnen sollten nicht schon wieder auf dem Platz gefordert sein, sondern den Kopf frei bekommen nach der vernichtenden 0:4-Schmach gegen Japan im letzten Gruppenspiel.
Das hat offenbar ganz gut funktioniert. Jedenfalls fegten die Spanierinnen im Achtelfinale der Weltmeisterschaft nur so über die Schweiz hinweg, am Ende das 1:5 (1:4) aus Sicht der Nati noch ein schmeichelhaftes Ergebnis. Gegen die Machtdemonstration der Furja Roja gab es kein Gegenmittel, am Ende war sogar ein echtes Debakel möglich.
Und Spanien konnte damit endlich sein Trauma bei K.o.-Spielen bei großen Turnieren beenden und erstmals eine Partie im "do or die"-Modus für sich entscheiden.
WM 2023: Spaniens Maßnahmen greifen perfekt
Die Spanierinnen warteten mit einigen ungewöhnlichen Maßnahmen auf. Trainer Vilda wechselte fast die halbe Mannschaft aus und verordnete seinem Team eine etwas angepasste Spielidee: Neben dem üblichen Ballbesitzfußball ging es im letzten Drittel so schnell und direkt wie möglich vor das gegnerische Tor.
Weniger Klein-klein und mehr Zielstrebigkeit äußerten sich in vergleichsweise vielen Flanken – die aber allesamt gefährlich waren und oft genug auch zum Erfolg führten. Allen vier Treffern der ersten Halbzeit gingen Hereingaben von der Seite voraus. Das ist eher untypisch für spanische Mannschaften, gegen die Schweiz war das aber das entscheidende Stilmittel.
Spanien war gedanklich und mit den Beinen immer einen Tick schneller und frischer, erdrückte den Gegner mit seinem starken Gegenpressing förmlich und kam im Fünf-Minuten-Takt zu großen Torchancen. 75 Prozent Ballbesitz, 19 zu null Torschüsse, 13 zu eins Flanken und 100 Prozent geglückte Dribblings dokumentierten die spanische Überlegenheit der ersten Halbzeit auch auf den Statistikbögen.
Hat Inka Grings zu spät reagiert?
Das spanische Team hatte sich etwas überlegt, sein Dogma vom ausdauernden Zurechtlegen des Gegners aufgeweicht. Der Schweizer Plan dagegen sah lediglich das vor, was auch schon in den Spielen zuvor funktioniert hatte und was man von den Japanerinnen lernen konnte.
Der Matchplan war konstruiert aus einem strukturierten Defensivverhalten im tiefen Block, um dann den Umschaltmoment zu nutzen oder ballfern zu verlagern. Nur: Weder gab es die dafür vorgesehenen Ballgewinne, noch agierte Inka Grings' Mannschaft in den wenigen Momenten schnell und akkurat genug, um überhaupt einmal über die Mittellinie zu kommen.
Der große Rückstand schon zur Pause trieb Grings förmlich dazu, diese verunglückten Ideen über Bord zu werfen und es mit einem Angriffspressing und deutlich mehr Risiko im Anlaufen zu versuchen. Nur war es dann schon zu spät, um noch einmal in dieses Spiel zurückzufinden. Eine frühere Reaktion und ein paar Anpassungen vonseiten des Trainerteams wäre wohl angebracht gewesen.
So geht Goalie Gaelle Thalmann – insgesamt die beste Schweizer Spielerin in diesem Turnier – nun mit einer herben Klatsche in den Ruhestand. Für die 37-Jährige war es das letzte Spiel ihrer Karriere, in ein paar Wochen wird sie als Sportdirektorin beim FC Lugano die andere Seite des Geschäfts kennenlernen.
Durchwachsene WM-Bilanz der Schweiz
Die Schweiz hat alles in allem ein ordentliches Turnier gespielt. Das sportliche Abschneiden kann sich sehen lassen, immerhin ging es bis in die K.o.-Runde und damit weiter als für einige Favoriten und Großmächte wie Kanada, Brasilien und Deutschland. Das erklärte Ziel war der Einzug ins Achtelfinale und das wurde erreicht.
Allerdings ließen die Darbietungen der Nati doch das eine oder andere Mal auch zu wünschen übrig. Bis auf die Partie gegen WM-Neuling Philippinen verschanzte sich die Mannschaft in die Underdog-Rolle, stellte gegen Norwegen, Neuseeland und zuletzt gegen Spanien die Defensive ganz klar in den Fokus.
Das ist die Basis des Spiels, die Pflicht. Bei der Kür aber zeigte die Mannschaft zu viele Defizite. Bis auf ein paar Finessen von Ramona Bachmann blieb das Schweizer Offensivspiel bräsig und bieder. Nur zwei selbst erzielte Tore aus vier Spielen sind der deutliche Beleg für das große Problemfeld der Mannschaft.
Immerhin weiß Inka Grings spätestens jetzt, wo sie inhaltlich ansetzen muss. Unter die besten 16 Mannschaften der Welt hat es die Schweiz wieder geschafft. Wenn es aber in Zukunft auch noch weiter gehen soll, wenn die Kluft zu den absoluten Top-Teams geschlossen werden soll, dann müssen weitreichende Veränderungen her.
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