Wie ein Tsunami fegte Spanien über die deutsche Nationalmannschaft hinweg, es war die höchste Niederlage seit 89 Jahren für eine DFB-Auswahl. Die Kritik an der Entwicklung der Mannschaft nimmt wieder voll Fahrt auf, eine Trainer-Diskussion um Joachim Löw ist unvermeidbar.
Was waren das für turbulente Tage für die deutsche Nationalmannschaft? Es ist schon eine Weile her, dass eine Länderspielpause für so viele Schlagzeilen und Gesprächsstoff gesorgt hat, wahrscheinlich waren die letzten rund anderthalb Wochen die unruhigste Zusammenkunft seit dem Desaster von Russland vor über zwei Jahren.
Täglich flammten neue Feuer auf, die Debatten reichten von Corona über den Liebesentzug der Fans bis hin zu angeblichen Rissen im Binnenverhältnis der Verantwortlichen und überdies wurde ja auch noch Fußball gespielt.
Das sah bis Dienstagabend noch recht passabel aus, obwohl auch in den beiden Spielen gegen Tschechien mit einer wild zusammengewürfelten Mannschaft und die stark ersatzgeschwächte Ukraine schon erhebliche Defizite zu sehen waren.
Aber dann: Ein inakzeptables 0:6 gegen Spanien, das nicht nur einen Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten bedeutete, sondern einen regelrechten Schockzustand zur Folge hatte.
Löw: "Es war alles schlecht"
Die DFB-Auswahl zeigte sich im entscheidenden Gruppenspiel gegen eine ebenfalls im Umbruch befindliche spanische Mannschaft - die zuletzt gegen die Schweiz unentschieden spielte und gegen die Ukraine verlor - als ein lebloser Haufen, der ohne erkennbaren Plan ins Verderben rannte.
Mit sechs Toren Unterschied verlor eine deutsche Mannschaft zuletzt vor sagenhaften 89 Jahren, in Berlin gab es damals ebenfalls ein 0:6 gegen das österreichische Wunderteam. Damals wie heute die zweithöchste Niederlage in der langen Geschichte des DFB.
"Es war alles schlecht und wenn ich das sage, dann meine ich das auch so. Es war alles in jeglicher Beziehung schlecht, ein rabenschwarzer Tag. Da kann man auch nichts Gutes daran finden", sagte
Der Bundestrainer stand noch vor der Partie gewohnt lässig über den Dingen, ließ die Fragen nach dem zumindest unglücklichen Vorstoß von Oliver Bierhoff nonchalant an sich abprallen.
Der Teammanager hatte in einem Interview mit der "FAZ" erklärt, er gehe den von Löw eingeschlagenen Weg "bis zur EM mit. Wir müssen uns alle an Ergebnissen messen lassen und das weiß Jogi auch."
Das wurde allenthalben als verklausuliertes Misstrauensvotum deklariert, dabei ist das Prozedere vor jedem großen Turnier dasselbe: Nur ein erfolgreicher Bundestrainer darf auch danach noch Bundestrainer sein. Löw selbst ist eine der wenigen Ausnahmen dieser Regel - und deshalb seit über zwei Jahren unter strengster Beobachtung.
Unglaubliche Zahlen
Es bleibt das ungute Gefühl, dass der gemeinsam beschrittene Weg in eine Sackgasse mündet. Löw saß erstaunlich teilnahmslos auf der Bank, als seine Mannschaft vom Gegner in ihre Einzelteile zerlegt wurde und auch eine Niederlage im zweistelligen Bereich absolut möglich war.
Die Unterlegenheit der deutschen Mannschaft war fast schon grotesk. Was insofern auch bemerkenswert war, als Deutschland mit diesen Spaniern über mehrere Jahre fußballerisch auf Augenhöhe agierte.
Und dann das: 30 Prozent Ballbesitz, 2:23 Torschüsse, 0:10 Schüsse aufs Tor und ein Gegner, dem 51 Ballkontakte fehlten zur magischen 1.000er-Grenze. 949 Mal klebte der Ball an einem spanischen Fuß, ein Wahnsinn für eine Partie auf diesem Niveau.
"Spanien hat uns vorgemacht, wie man anläuft und attackiert. Wir wollten etwas tiefer stehen und dann umschalten. In der zweiten Halbzeit wollten wir dann höher angreifen, das hat aber auch nicht geklappt. Es ist einiges zu tun, wie man sieht", sagte der sichtlich schmallippige Toni Kroos.
Das Rollenmodell entblößt Löws Idee
Spanien war das erste Rollenmodell von und für Löw und vielleicht auch das einzige überhaupt. An den Spaniern orientierte sich Deutschland und sein Trainer und wurde dann besser als das Original.
Nun klafft da offenbar wieder eine übergroße Lücke, anders lässt sich das Geschehene nicht einordnen. Weil Löws Credo vom Umschaltfußball, von mehr Zielstrebigkeit und Tempo, verfasst nach der Analyse der krachend gescheiterten WM-Mission, zerstob im spanischen Wirbel.
Die Idee, sich vermehrt auf schnelle Umschaltmomente zu verlassen und stattdessen kompakter gegen den Ball zu arbeiten und dafür das gewohnte Positionsspiel zu opfern, wackelt schon wieder sehr bedenklich.
Und mit ihm die Auswahl der dafür notwendigen Spieler. Löw hat sich auf Tempofußball festgelegt und lädt die entsprechenden Typen gerade im Angriff dafür ein. In der Defensive wird mit Neulingen oder Bankdrückern hantiert, weil einige Spieler verletzt sind, ein paar andere aber gar nicht mehr eingeladen werden.
Die Diskussionen um Thomas Müller, Mats Hummels oder Jerome Boateng werden alsbald wieder heftig aufflammen und Löw wird sich erklären müssen wie jeder andere Trainer auch, dessen Konzept nicht aufzugehen droht.
Wann gibt es einen funktionierenden Plan A?
Löw wird auch erklären müssen, wieso er offenbar so wenig Zugriff zu haben scheint auf diese Mannschaft. Was angesichts von nur noch fünf Spielen bis zum EM-Auftakt im kommenden Sommer wohl die dringlichste aller Fragen ist neben jener nach einem tragfähigen Spielsystem.
Löw wechselt immer wieder zwischen Dreier- und Viererkette, probiert aus und experimentiert. Vielleicht wäre es aber an der Zeit, einen funktionierenden Plan zu entwickeln und auf Basis dessen kleinere Veränderungen vorzunehmen - und nicht an zwei Baustellen parallel zu basteln.
"Wir waren auf einem guten Weg. Heute haben wir aber gesehen, dass wir noch nicht so weit sind wie wir gehofft und geglaubt hatten nach den letzten Spielen", sagte Löw. "Das müssen wir jetzt analysieren, die richtigen Schlüsse ziehen und dann wieder zurückschlagen."
Das wird aber noch eine Weile dauern. Das nächste Länderspiel ist erst für den März datiert, die Schmach von Sevilla trägt Löw nun über Monate mit sich herum.
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