Das Flaggschiff HSV ist so ramponiert wie nie zuvor, der Klub befindet sich auf einer beispiellosen Talfahrt. Der Abstieg könnte dabei weitreichende Folgen haben.

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Heribert Bruchhagen hat schon einiges erlebt in fast 40 Jahren Profifußball. Einen Nachmittag wie den am vergangenen Sonntag in Hamburg aber wohl nie. Dabei war Bruchhagen schon in verantwortlicher Position bei extrem emotionalen Klubs wie Schalke 04 und Eintracht Frankfurt aktiv. Die Mitgliederversammlung des Hamburger SV wurde zur öffentlichen Bloßstellung eines zerrütteten Vereins.

Rund um die Wahl des Präsidentenamts zeigte sich ein in sich völlig zerrissener Klub, aufgespalten in mehrere Lager. Bernd Hoffmann machte am Ende der Kampfabstimmung das Rennen mit 50,9 Prozent der Stimmen.

Der neue Präsident war noch keine Minute im Amt, da wurde er von der gegnerischen Fraktion mit wütenden "Hoffmann raus"-Rufen überzogen und es hatte den Anschein, dieser Nachmittag hat nun gar nichts besser, sondern alles nur viel schlimmer gemacht.

Der Hamburger SV torkelt mal wieder dem Untergang entgegen. Das ist kein neues Szenario, in den letzten Jahren musste man schon einige Male Angst haben um diesen einst so stolzen Klub. So prekär und nahezu aussichtlos wie in diesen Tagen hat sich die Lage in 130 Jahren Klubgeschichte aber noch nie dargestellt.

Mit Hoffmanns Berufung als neuen starken Mann des eingetragenen Vereins und damit als Chef von fast 80.000 Mitgliedern gab es sogleich die ersten Spekulationen, wie die wichtigste Sparte des Klubs, die ausgegliederte Fußball AG, neu aufgestellt werden könnte.

Das Pfeifen im Walde

"Groben Unfug" nannte Hoffmann die Gerüchte, die leitenden Angestellten der "Herzkammer" Fußball AG müssten nun um ihre Jobs fürchten. Dabei hatte der neue Präsident klar angedeutet, dass es personelle Änderungen geben wird, er werde "alles auf den Prüfstand stellen. Wir sind in bestimmten Bereichen nicht wettbewerbsfähig aufgestellt", war eine von vielen sehr harten, schonungslosen Aussagen Hoffmanns.

Bruchhagen als Vorstandsvorsitzender und Jens Todt als Sportdirektor stünden trotzdem außer jeder Diskussion, sagte Hoffmann. Wie er seine markigen Worte, ein "Weiter so" werde es auf keinen Fall geben und der Klub brauche dringend eine "Trend-Umkehr", gemeint hat, ließ Hoffmann aber auch unbeantwortet.

Bruchhagen nahm sich insofern selbst in die Pflicht, dass er für einige Versäumnisse der letzten Monate verantwortlich sei. "Ich muss mir selbst ankreiden, dass ich es nicht geschafft habe, diese Veränderungen umzusetzen", sagte er und schwor die Fangemeinde schon auf das ein, was derzeit unvermeidlich erscheint: den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte.

"Auch das Worst-Case-Szenario muss man mittragen, wenn man ein HSV-Fan ist! Frankfurt ist vier Mal abgestiegen, Köln fünf Mal und Schalke drei Mal. Diese Vereine gibt es immer noch. Was ich sagen möchte: Es kann im Sport keine Apokalypse ausgerufen werden, wenn es anders kommt", sagte Bruchhagen. Wobei der drohende Abstieg für den HSV schlimmer wäre als jeder der von Bruchhagen vermerkten Abstiege für Frankfurt, Köln oder Schalke.

Trainereffekt verpufft, Fans wenden sich ab

Der HSV hat seit den fetten Champions-League-Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag versenkt, hat in den letzten zehn Jahren 16 Trainer verschlissen, dazu sechs Sportdirektoren oder sportliche Leiter und drei Vorstandsvorsitzende.

Zum Chaos in den Gremien gesellte sich der sportliche Absturz, der sich in dieser Saison so schlimm und hoffnungslos darstellt wie nie zuvor. Seit zehn Spielen ist die Mannschaft sieglos, hat in diesen zehn Partien nur fünf Tore erzielt, den Trainer gewechselt, das Spielsystem verändert und irrt nun gefühlt noch orientierungsloser durch die Liga als zuvor.

Beim Spiel gegen Bayer Leverkusen, der nächsten Niederlage, bekam der Eindruck der letzten Wochen ein Gesicht, dass sich nun auch noch Teile der Fans von der Mannschaft abwenden und ihre Unterstützung einstellen.

Resignation bei den einen und blanke Wut bei den anderen bahnte sich ihren Lauf, das geschmacklose Spruchband mit der Drohung "Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt" war dabei noch nicht mal der negative Höhepunkt. Nach der Partie wollten einige Randalierer aus der Nordkurve den Platz stürmen, wurden von Ordnern und der Polizei aber gestoppt.

Bernd Hollerbach soll als Trainer den freien Fall aufhalten, bisher hat er aus vier Spielen aber nur magere zwei Punkte geholt und erweckt derzeit nicht den Eindruck, dass er mit seiner Übernahme wirklich eine Kehrtwende eingeläutet hätte. Eher im Gegenteil.

Das Nordderby am Wochenende in Bremen, der nächste Abstiegsknaller eine Woche später gegen Mainz und dann das Auswärtsspiel bei den Bayern sind die nächsten Aufgaben.

Bei mittlerweile schon sechs Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz könnten gerade die beiden Spiele gegen die direkten Kontrahenten als große Chance gesehen werden - oder als allerletzte, um den Abstieg doch noch irgendwie zu vermeiden. Angesichts des momentan grassierenden Fatalismus rund um den HSV glauben aber selbst größte Optimisten nicht an einen oder sogar zwei Siege.

Droht das Schicksal von 1860 München?

Wie es im Abstiegsfall mit dem Klub weitergehen könnte, ist derzeit völlig ungewiss. Der HSV ist nicht nur sportlich, sondern auch finanziell dem Bankrott nahe, bereits im November auf der Jahreshauptversammlung musste der Klub das siebte negative Bilanzergebnis in Folge bekanntgeben, im letzten Geschäftsjahr machte der HSV 13,4 Millionen Euro Verlust. Damit beliefen sich die Verbindlichkeiten auf 105,5 Millionen Euro.

Die Mannschaft, die bis auf Jan-Fiete Arp und zwei, drei andere Spieler ohnehin nicht besonders viel Substanz hat, könnte im Falle eines Abstiegs nicht besonders gewinnbringend veräußert werden.

Wie Klaus-Michael Kühne, der den Klub mit seinen Millionen in den letzten Jahren noch gerade so über Wasser gehalten hat, dann weiter vorgehen würde, steht in den Sternen. Die Lizenzierung für eine mögliche Zweiliga-Saison scheint alles andere als gesichert und selbst wenn: Wie sollte es da dann weitergehen? Was passieren kann, wenn ein Gönner von heute auf morgen alle Zahlungen einstellt, hat das Beispiel TSV 1860 zuletzt sehr deutlich gemacht.

Der Hamburger SV steht vor dem Sturz ins Ungewisse, der Riese aus dem Norden wankt mehr denn je und derzeit scheint es so, als würde er in diesem Mai auch fallen.

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