Fußball ist ein Brennglas der Gesellschaft und kann dadurch nicht unpolitisch sein. Zumindest nicht, wenn man den heutigen Begriff des Politischen verwendet. Kosmopolit, Fußballpionier und Kicker-Erfinder Walther Bensemann fand: Der Fußball sollte nicht politisch sein und äußerte sich doch sehr politisch. Ein Widerspruch in sich? Nein.
Lasst uns mal knapp 100 Jahre zurückreisen. September 1929, London. Es ist Zwischenkriegszeit, kurz vor der Weltwirtschaftskrise und in Deutschland sind alle Gebiete links des Rheines durch Alliierte besetzt. Mitten in dieser Zeit fand erstmals nach dem ersten Weltkrieg ein Fußballspiel zwischen einem deutschen und einem englischen Fußballteam statt, dazu noch eins aus dem besetzten Rheinland: Eine Kölner Auswahl spielte eben hier in London gegen eine dortige Stadtauswahl.
Verständigung auf sportpolitischem Gebiet
Aber nicht nur, dass das Spiel stattfand, sondern auch die anschließenden Stellungnahmen sind politisch: Frederick Wall, der Secretary der FA, versprach, dass nach dem Ende der Besatzungszeit (sie endete am 30. Juni 1930) ein Freundschaftsspiel des englischen Nationalteams im Rheinland stattfinden wird, um den Riss zwischen Deutschland und Großbritannien etwas zu kitten und für Völkerverständigung zu werben.
Ganz bewusst wolle er an die ersten Spiele der englischen Nationalmannschaft in Deutschland 1899 anknüpfen. Damals war es ausgerechnet Walther Bensemann, der es quasi auf eigene Faust schaffte, zum ersten Mal das englische Team nach Deutschland einzuladen. Die Leidenschaft und die Beharrlichkeit des erst 26-jährigen Bensemanns beeindruckten den damals 41-jährigen Wall.
Unbedingter Kampf um den Sieg oder Fairplay und "die vorurteilsfreie Offenheit eines Weltenbürgers"?
London gegen Köln war kein verlagertes Schlachtfeld, im Gegenteil. Oder wie Wall es ausdrückte: "Sie haben uns gezeigt, dass auch Sie in Köln Fußball spielen können, so, wie das Spiel in der Tat gespielt werden soll, im wahrsten Sportsinne." Wall meinte selbstverständlich den britischen Sportsinn: Fairness, Mut, Gerechtigkeit – im Zweifel lieber den anderen gewinnen lassen.
Die Ideale der deutschen Fußballkultur sind ihm dagegen ein Graus: Einsatz bis zur letzten Sekunde und bis zum letzten Mann, ewige Mannschaftstreue, kämpfen, so aussichtslos es auch ist und nur den Sieg vor Augen haben.
Dass in Deutschland die patriotischen, soldatischen Ideale die Fußballkultur prägten, lag an der Entstehungszeit und Sozialisierung des Fußballs in der Gesellschaft. In Deutschland konnte er nur Fuß fassen und ein Massenphänomen werden, weil der DFB und die deutsche Armee kooperierten und Fußball als Wehrsport integriert wurde.
"Sport ist eine Religion, ist vielleicht heute das einzig wahre Mittel, um Völker und Klassen zu verbinden"
Das Warum soll uns aber hier nicht weiter beschäftigen, sondern die Konsequenz: Fußball ist demokratisierend, denn jeder kann dabei sein, egal, wie klug, wie groß oder wie alt er ist. Fußball kann aber auch trennen, durch Identitäten, durch Verhalten, durch Farben. Auf der einen Seite ist das Gemeinsame, das Kosmopolitische, auf der anderen Seite das Nationale, das Trennende.
Kommen wir noch mal zu Walther Bensemann. Er wurde zwar in Berlin geboren, ging aber in einem englischen Internat in der Schweiz zur Schule. Hier lernte er Fußball und die englische Kultur direkt kennen. Sein Leben lang wetterte er gegen den militärischen, nationalen Einfluss im Fußball – und verwendete hier immer den Begriff "Politik".
Wenn Bensemann sagte, Fußball sei nicht politisch, meinte er, dass nationales Gedankengut im Fußball nichts verloren hat – wenn das kein politisches Statement aus heutiger Sicht ist!
"Sport soll nicht trennen, Sport ist da, um zu einigen und alles Gute im Menschen zur höchsten Entfaltung zu bringen."
Was ist als Fazit zu ziehen? Sport war schon zu Bensemanns Lebzeiten vor 100 Jahren politisch, doch der Begriff hat zwischenzeitlich einen Deutungswandel erfahren. Denn durch die Erfahrungen in zwölf Jahren NSDAP-Regierung kam es in der Nachkriegszeit zu einem Begriffswandel von "Politik".
Sein Biograf, Bernd-M. Beyer, nannte ihn zu Recht einen Sportpazifisten und zitiert Bensemann aus einem Artikel in der Sportzeitschrift "Spiel und Sport" von 1900: "Bensemann selbst verband seine Werbung für den Sport mit politischen und ethischen Zielsetzungen. Es gehe darum, den 'klaffenden Gegensatz der Stände‘ zu mildern, es gehe um sozialpolitische Aufgaben, und es gehe um 'das Bemühen, die Begriffe der Freiheit, der Toleranz, der Gerechtigkeit im inneren Sportleben, des Nationalgefühls ohne chauvinistischen Beigeschmack dem Auslande gegenüber zu wahren'."
Wenn das nicht hochpolitisch ist!
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