Beim 0:0 am Montagabend gegen die Ukraine bekam Deutschland einen Vorgeschmack, was Bundestrainer Julian Nagelsmann und seiner Nationalmannschaft in der EM-Vorrunde bevorsteht: ein Bollwerk aus Abwehrspielern, die 90 Minuten lang Schwerstarbeit abverlangen.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Insofern war das Ukraine-Länderspiel die beste Vorbereitung auf Schottland (14. Juni) und Ungarn (19. Juni). Man muss Wege und Lücken finden, um einen "tiefen kompakten Block" (Nagelsmann) zu überwinden. Zwei gute Phasen im Spiel, jeweils 20 Minuten lang, reichten am Montagabend jedenfalls nicht.

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Der unerwartete Dämpfer tut vielleicht auch gut. Kein Fan kann mit dem Anspruch ins Turnier gehen, dass jeder Gegner wie zeitweise Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) an die Wand gespielt wird. Große Gegner spielen mit und öffnen Räume. Kleine Gegner wollen nicht mitspielen, sondern zerstören.

Ohne Toni Kroos geht's nicht

Gegen solche Mannschaften muss man das Florett beherrschen und nicht den Säbel. Man hat es ja bei zwei Weltmeisterschaften erlebt: Mexiko, Südkorea, Japan - Deutschland ist nicht an strahlenden Fußballnationen gescheitert, sondern an denen aus der Kategorie Dukannstmichmal. Und die muss man entschlüsseln.

Darum ist die erste und wichtigste von drei Erkenntnissen aus der Nullnummer: Ohne Toni Kroos geht's nicht. Im zentralen Mittelfeld legte er am Montag noch eine Pause ein, weil er sich von den Feierlichkeiten zum Champions-League-Triumph erholen musste. Am Dienstag wissen wir: Er ist unersetzbar.

Weder Robert Andrich noch Pascal Groß schafft die notwendige Balance zwischen Sicherheitsgefühl und Überraschungsmoment. Sie sind Adjutanten und keine Gestalter. Das ist auch nicht schlimm, man braucht sie ja trotzdem. Aber Pässe wie Kroos spielt halt keiner von ihnen.

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Die zweite Erkenntnis ist: Das Publikum wird sich auf Geduldspiele einstellen müssen. Beim 0:0 in Nürnberg sah das ausverkaufte Haus zwar ausreichend Torchancen, aber keine Tore. Pfiffe wären in dieser Situation pures Gift für eine Mannschaft, die sich zusammen, aber noch nicht zurecht gefunden hat.

Mit der dritten Erkenntnis kann man gut leben: Leroy Sané, noch verletzt, wird sich mit der Reservistenrolle anfreunden müssen. Bei der EM-Generalprobe am Freitag gegen Griechenland wird er womöglich erstmals seit der Rotsperre spielen dürfen. Aber Nagelsmann ließ durchblicken, wie er mit ihm plant.

Nagelsmann betreibt Erwartungsmanagement

Zuerst lobte er über den grünen Klee seinen Kapitän und Zehner Ilkay Gündogan. Dann mahnte er bei Leroy Sané zur Vorsicht, dass niemand mit einem lädierten Schambein 90 Minuten spielen kann, doch er das Spiel - wenn er reinkommt - maßgeblich beeinflussen kann. Nagelsmann betreibt Erwartungsmanagement.

Damit steht die Nagelsmann-Achse im Großen und Ganzen. Manuel Neuer im Tor, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah in der Innenverteidigung, rechts Joshua Kimmich, links Maximilian Mittelstädt. Im Mittelfeld Toni Kroos entweder mit Robert Andrich oder mit Pascal Groß.

Die Abteilung Attacke: ganz vorne, je nach Gegner, Kai Havertz oder Niclas Füllkrug, rechts und links Jamal Musiala und Florian Wirtz, dahinter Ilkay Gündogan. Es ist lange her, dass die Achsen so früh vor einem Turnier standen. Haltbarkeit: mindestens bis zur EM-Generalprobe am Freitagabend.

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