Der wilde Ritt des FC Bayern gegen Juventus Turin könnte zum entscheidenden Signal im Kampf um die Champions-League-Krone werden. Die Bayern nehmen jede Menge Selbstvertrauen mit und die Gewissheit, dass sie in dieser Saison mit Widerständen offenbar besser umgehen können als in den Jahren davor.

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Wie viele Geschichten kann ein Fußballspiel erzählen? Eine? Zwei? Zehn? Zwei Dutzend? Der Achtelfinal-Wahnsinn des FC Bayern gegen Juventus Turin war ein Spiel für die Geschichtsbücher. Eigentlich war die gesamte Kampagne gegen die Italiener der reine Irrsinn.

2:0 führten die Bayern nach 62 Minuten, lagen 56 Minuten später - beide Partien als eine Einheit gezählt - plötzlich mit 2:4 hinten und siegten am Ende noch 6:4.

Vielleicht sollte man aber lieber über jenen Pep Guardiola sprechen, der mit Thiago und Kingsley Coman den Sieg eingewechselt hat?

Oder über den Trainer, der beide Spieler zunächst nur auf der Bank gelassen, die falsche Taktik und das falsche Personal gewählt und damit die Bayern erst in die Bredouille gebracht hat?

Oder über dessen Pendant Max Allegri, der Sami Khedira und Alvaro Morata vom Feld nahm und ein überragendes Juventus damit seiner beiden entscheidenden Figuren beraubte? Oder vielleicht doch davon, wie viel dieser epische Sieg für die Bayern in der Königsklasse noch wert sein kann?

Große Champions mit großen Problemen

Start-Ziel-Siege auf diesem Niveau, wenn eine Mannschaft den Rest vor sich hertreibt und von der Spitze weg förmlich ungefährdet bis zum Titel schreitet - sie sind rar geworden. Vielmehr gibt es auch für die großen Champions diesen einen Moment, auf dem alles auf der Kippe steht. Das Aus vor Augen, in aussichtsloser Lage.

Real Madrid war vor zwei Jahren dem sportlichen Exitus nahe, im Finale gegen Atlético fehlten nur Sekunden zum Desaster. Chelsea stand zwei Jahre davor gegen Napoli vor dem sicher geglaubten Aus und im Finale dahoam auf vermeintlich verlorenem Posten.

Manchester United war auf John Terrys Ausrutscher beim Elfmeter angewiesen, Inter erwehrte sich 180 Minuten lang einer katalanischen Übermacht und mauerte sich so ins Finale.

Und Barca selbst, die Meister aller Meister? Benötigten einst gegen Chelsea mehrere fatale Fehlentscheidungen des Schiedsrichters und einen Glücksschuss von Andres Iniesta in letzter Sekunde, um dem damaligen Trainer Pep Guardiola den ersten Triumph in der Königsklasse ebnen zu können.

Juventus ist Bayerns Algerien

Für Guardiola in seiner Eigenschaft als Bayern-Trainer war das 4:2 gegen Juventus mehr als ein schnöder Sieg. Viel mehr sogar. Ein Ausscheiden gegen die Italiener hätte Guardiolas Zeit in München bis Mitte Mai schier unerträglich werden lassen.

Es zählt das erfolgreiche Abschneiden in der Königsklasse. Alles andere erscheint inakzeptabel für jenen Trainer, der als bester der Welt gepriesen, aber in München bisher als unvollendet betrachtet wird.

Juventus ist Bayerns Algerien. Das ist eine steile These, aber bei genauerer Betrachtung scheint viel Wahres dabei mit. Die deutsche Nationalmannschaft benötigte bei der WM damals auch eben jenen Wachmacher, der allen die Augen öffnete und der Mannschaft den nötigen Glauben mit auf den Weg gab, auch schwierige Situationen überstehen zu können.

Diesen Schub erhoffen sich nun auch die Bayern und das nicht zu Unrecht. Die beiden Spiele gegen Juventus waren die ersten echten Highlights in einer bislang eher schlummernden Saison, in der die Bayern in der Liga wenig bis kaum gefordert und auch in der Königsklasse bislang problemlos durchmarschiert sind.

Die Juve-Spiele haben den Bayern alles aufgezeigt, jede Höhe und Tiefe, alle Stärken und Schwächen nochmals vor Augen geführt. Und am Ende steht die Gewissheit, das alles überstehen zu können.

Handwerklich bringen die Bayern alles mit, ihr Kader hat eine bemerkenswerte Tiefe und Qualität, sie haben einen fantastischen Trainer. Das alles war jedoch schon vor der Saison kein Geheimnis.

Aber die Bayern hatten - mit Guardiola - in diesem Wettbewerb auch schon erschütternde Niederlagen einstecken müssen. In den großen Spielen, wenn es um Alles oder Nichts ging. 0:4 gegen Real Madrid, 0:3 gegen den FC Barcelona. Und dann ein Zwei-Tore-Rückstand gegen Juventus Turin, das Defensiv-Monstrum aus Italien.

Signale an die Konkurrenz gesendet

Diesen Schub an Selbstvertrauen und an den Glauben an die eigene Stärke gilt es jetzt zu konservieren. Wie die Bayern nach dem Schlusspfiff gefeiert haben, wie sie Franck Ribery durch die Luft geschleudert haben und wie Jerome Boateng, derzeit noch im Krankenstand, jeden einzelnen Spieler gedrückt und geherzt hatte, zeigte schon, wie wichtig dieses Spiel und dieser Sieg war.

Sie haben den ersten negativen Wendepunkt der Saison abgeschmettert.

Die Bayern wissen jetzt, dass sie da sein können, wenn es hart auf hart kommt. Und dass sie mit Widerständen umgehen können, die sie aus dem Liga-Alltag in der Form gar nicht mehr kennen. Dass sie eine Partie auch mal in dem Stil gewinnen können, den immer nur die anderen gegen die Bayern selbst versuchen: nicht auf Augenhöhe, mit weniger klaren Torchancen - und am Ende doch erfolgreich.

Das kann noch eine wichtige Erkenntnis sein für den weiteren Verlauf der Champions-League-Saison. Es kommt jetzt einiges auf die Auslosung am Freitag an, bereits im Viertelfinale wollen die Bayern auf gar keinen Fall auf Barcelona treffen. Nach derzeitigem Stand der Dinge dürfte sich die Vergabe der Krone früher oder später auf ein Duell der beiden besten Mannschaften derzeit zuspitzen.

Barcelona darf als Gegner gerne erst im Finale warten. In einem einzigen Spiel scheinen die Katalanen eher schlagbar als in zwei Vergleichen. Aber auch falls Guardiolas Ex-Klub früher auf die Bayern treffen sollte: Auch bei Barca wird man dieses historische 4:2 der Bayern gegen Juventus registriert haben. Und die Leidenschaft und Mentalität, die diese Bayern-Mannschaft mit dem Rücken zur Wand entwickeln kann.

Womöglich hätte sich der eine oder andere der Kontrahenten ein Bayern-Aus gegen Juventus gewünscht. So aber bleiben die Münchener im Wettbewerb. Und sie dürften jetzt noch einen Tick gefährlicher sein. Oder, wie es Pep Guardiola unmittelbar nach dem Juventus-Spiel ausdrückte: "Wir sind da!"

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