Zwei Fragen drängen sich vor dem Champions-League-Halbfinale des FC Barcelona gegen den FC Bayern München auf: Wie viel Pep Guardiola steckt noch in Barca? Und kann der Bayern-Trainer seiner Mannschaft mit Insider-Wissen helfen? Die schlechte Nachricht für Bayern: Vieles hat sich seit dem Weggang Guardiolas in Barcelona geändert. Die gute: Einiges ändert sich beim katalanischen Topklub aber auch nie.
Am Dienstag hat
Pep Guardiola kehrt zurück nach Barcelona. Die Geschichte erzählt von Herzschmerz und Sehnsucht und natürlich jenen Gefühlen, die auch einem Profi wie Guardiola nach über einem Vierteljahrhundert im Geschäft noch völlig neu sind.
Pep Guardiola kennt jeden Grashalm
30 Jahre seines Lebens hat er dem FC Barcelona gedient. Im Camp Nou kennt er jeden Grashalm und kann jeden Angestellten vom Parkplatzwächter bis zum Präsidenten per Handschlag begrüßen. Mit Barca hat er als Trainer in vier Jahren 14 große Titel errungen; die Mannschaft, die ihn am Mittwochabend im Halbfinal-Hinspiel erwarten wird, ist in gewisser Hinsicht immer noch seine Mannschaft.
Der Stamm der Allesgewinner von damals ist geblieben, ihre grundsätzliche Art des Fußballs auch. Die Barca-DNA ist zwei Jahrzehnte nach Johan Cruyff noch auf Angriffsfußball ausgerichtet, aufs Feld gezaubert von den üblichen Protagonisten. Guardiola ist der Erfinder dieser Mannschaft. Aber er ist nicht mehr ihr Übervater.
Luis Enrique hat diesen Job übernommen. Oder besser: Er versucht sich daran. Enrique war vor ein paar Wochen fast schon wieder weg vom Fenster, als er sich mit einigen Stars überworfen und die Ergebnisse nicht gestimmt hatten. Jetzt ist für Barca sogar das Triple drin. Mit Guardiola hat Luis Enrique nicht nur zusammengespielt, die beiden haben auch die Trainerlizenz zusammen absolviert.
Wettbewerbsvorteil für den FC Bayern München
Das alles bedeutet einen ordentlichen Wettbewerbsvorteil für Guardiola und die Bayern. Er kennt sich in beiden Welten aus, er kennt alle wichtigen Figuren des Aufeinandertreffens. "Pep hat diesem Team seinen Stempel aufgedrückt. Er ist der beste Trainer und mein Freund und wird genau wissen, was wir tun werden, er kennt mich auch als Trainer", wies Enrique am Dienstag auf diese Einbahnstraße des Wissens explizit hin.
Damit kokettiert der 44-Jährige natürlich auch. Er weiß, dass sein Kumpel jeden Spielzug seiner Mannschaft analysiert und ausgewertet hat und dass er Lösungen haben wird. Nur hat Guardiola trotz all der vermeintlichen Vorteile ein Problem: Bis auf eine Handvoll Spiele gegen die heimischen Wettbewerber Real Madrid oder Atletico gibt es keine stichfesten Vergleichsmomente auf höchstem Niveau.
Die Stars des FC Barcelona kommen in die Jahre
Barca hat seinen offensiven Spielstil unter Enrique in den vergangenen Monaten modifiziert. Der Ballbesitzfußball ist kein Dogma mehr, er ist allenfalls noch Mittel zu Zweck. Die Kaderstruktur hat ein paar entscheidende Änderungen vorangetrieben, Ikonen wie Dani Alves, Xavi oder Andres Iniesta kommen in die Jahre.
Barcelona kann jetzt auch dem Gegner den Ball überlassen, um dann schnell in die Offensive umzuschalten. Konterfußball, manchmal sogar mit raumgreifenden langen Zuspielen in die Spitze. Das hat mit Guardiolas Stil nicht mehr viel zu tun. Es ist aber ein Teil des neuen FC Barcelona im Frühjahr 2015. Diese Änderungen wird Guardiola hautnah erst am Mittwochabend kennenlernen, das Hinspiel wird quasi zum Feldversuch für die Entscheidung in der Allianz Arena knapp eine Woche später.
Noch steckt gewiss eine ganze Menge Pep in der Mannschaft des FC Barcelona. Aber fast drei Jahre und drei Trainer später hat sich auch einiges verändert. Der Rhythmus des Barca-Spiels ist anders, unsteter, überraschender. "El Tridente", der Dreizack aus Lionel Messi, Neymar und Luis Suarez ist eine völlig neue Bedrohung, die Mannschaft verteidigt ökonomischer als früher. Pep kennt diese neuen Mechanismen - er ist aber nicht (mehr) ihr Schöpfer, sondern bisher lediglich faszinierter Beobachter. Wie er seine Lösungen auf diese neuen Gegebenheiten projiziert, wird eine der entscheidenden Fragen sein.
Und doch gibt es auch eine Sache, die sich überhaupt nicht verändert hat: die grundsätzliche Mentalität des Klubs. Sie ändert sich seit fast vier Jahrzehnten nicht. Losgelöst von den vielen handwerklichen und spieltaktischen Fragen bleibt die fundamentale Weltanschauung als Kern des FC Barcelona: "Mes que un club". Die Losung "Mehr als ein Klub" gilt auch drei Jahre nach Pep Guardiolas Weggang. Diese Geisteshaltung bleibt. Wohl für immer.
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