• Der emotionale Rücktritt des Gladbach-Managers Max Eberl hat das Thema mentale Erkrankungen im Profifußball wieder in den Fokus gerückt.
  • Dabei ist die Liste der Trainer, Manager und Spieler, die aufgrund ihrer mentalen Verfassung zumindest zeitweise aussteigen mussten, schon im Vorfeld lang gewesen.
  • Zu ihnen zählt auch Ex-Torhüter Markus Miller, der heute als Trainer beim Karlsruher SC arbeitet. Im Interview spricht er über seine Erfahrung. Sportpsychologe René Paasch erklärt außerdem, was sich ändern muss.

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Mit den Worten "Ich muss raus und muss auf den Menschen Max Eberl aufpassen", beendete der Erfolgsmanager Max Eberl in der vergangenen Woche unter Tränen seine Ära bei Erstligist Borussia Mönchengladbach. Er habe seit Wochen vernünftige Gespräche mit dem Verein geführt, so der 48-Jährige bei einer Pressekonferenz, aber was dann "innerhalb von 24 Stunden daraus gemacht wird, diese Spekulationen sind genau das, was mich krank macht".

Er sei "erschöpft und müde" und könne nicht mehr arbeiten, sagte der Ex-Gladbach-Funktionär. Der Fall Eberl ist kein Einzelfall. Schon vor ihm haben sich Profis – Spieler, Trainer, Manager – aufgrund ihrer mentalen Verfassung aus dem Geschäft zurückgezogen.

Lange Liste: Mental krank im Fußball

Als Ralf Rangnick 2011 als Trainer von Schalke 04 zurücktrat, nannte er erste Burnout-Symptome und zu großen Druck auf der Trainerbank als Gründe, Defensiv-Spieler Martin Amedick begab sich 2021 wegen eines temporären Erschöpfungssyndroms in fachärztliche Behandlung. Auch Sebastian Deisler ließ sich zur Behandlung seiner Depression stationär einweisen, ebenso der damalige Energie-Cottbus Spieler Martin Fenin.

"Im System Fußball stehen die Akteure dauerhaft unter Druck, weil sie immer Ergebnisse liefern, dauerhaft funktionieren und sich immer an Tabellenständen messen müssen", sagt Sportpsychologe René Paasch. Probleme bereite in der Folge auch oft die Beziehungsgestaltung, "wenn man keinen gemeinsamen Weg findet und es zwischenmenschliche Konflikte gibt", so Paasch.

Vom System "schnell aufgefressen"

Die typischen mentalen Krankheitsbilder im Fußballprofigeschäft seien Depressionen und Burn-Out. "Oft heißt es: Die Schwachen bekommen Depressionen und die Starken Burn-Out", so der Experte. Stärke dominiere im System, Schwäche werde nicht geduldet. "Wenn man nicht gelernt hat, sich in dem System zurechtzufinden und eigene Widerstände aufgebaut hat, wird man davon schnell aufgefressen", so Paasch.

Manche suchten sich ungesunde Ventile, wenn sie auf der Kopf-Ebene mit dem Druck nicht umgehen könnten. "Das kann zum Beispiel Alkohol- oder Drogenkonsum sein. Oft findet man auch, dass man seine Unzufriedenheit auf andere projiziert, um seinen eigenen Schmerz zu kompensieren", erklärt der Psychologe.

Vier Millionen Depressive

All das findet sich aber nicht nur im Profigeschäft Fußball, auch in anderen Berufen häufen sich mentale Krankheiten. In Deutschland sind rund vier Millionen Menschen depressiv. US-Forscher konnten nachweisen, dass der Beruf massiven Einfluss darauf hat, ob jemand an einer Depression erkrankt.

Die Wissenschaftler untersuchten insgesamt 55 unterschiedliche Gewerbe und stellten fest: Im Top-Stress-Ranking belegten Berufsgruppen wie Juristen, Lehrer, Journalisten, Immobilienmakler und Reisebegleiter die oberen Plätze. Bei Personaldienstleitern liegt die Depressionsrate beispielsweise bei knapp über 14 Prozent, ähnlich hoch ist sie bei Sozialarbeitern.

Jobs mit hohen Depressionsraten

In Deutschland zeigten vier Prozent der deutschen Manager in einer Befragung zur psychischen Gesundheit der Hochschule Heidelberg Merkmale einer ausgeprägten depressiven Störung. Weitere 13 Prozent fielen in die Kategorie "leichte Depressionen".

"Wenn man eigene und fremde Erwartungen nicht erfüllt, kann das zu innerlicher Unruhe führen – man verbraucht viel mehr Energie", erklärt Sportpsychologe Paasch. Ein Mensch fühle sich dann irgendwann gelähmt, habe keine Ziele mehr.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Häufig folge auf eine Widerstandsphase, in der man beispielsweise gegen Ergebnisse und Tabellenstände ankämpfe, eine Erschöpfungsphase. "Man versucht dann immer noch Energie aufzuwenden, um wieder daraus zu kommen – bis man irgendwann nicht mehr kann. Dann erfolgt eine Resignationsphase, in der man sagt: "Ich kann nicht mehr, ich muss hier raus und brauche Zeit für mich als Person"", analysiert Paasch.

Der Sportpsychologe geht davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. "Je mehr wir aber darüber sprechen, desto mehr Menschen sagen: "Mir geht es genauso"", ist er sich sicher. Einer von ihnen ist Markus Miller. Im Jahr 2011 erklärte der damalige Hannover 96-Torhüter auf einer Pressekonferenz, dass er sich wegen mentaler Erschöpfung stationär in einer Klinik behandeln lasse. Heute ist er Torwarttrainer beim Karlsruher SC.

Ex-Profi Miller: "Fehler sind menschlich"

"Ich habe nach dem Motto "höher, schneller, weiter" gelebt und gearbeitet", erinnert sich Miller. Besonders als Torhüter stehe man im Fokus, keine Fehler zu machen. "Fehler sind aber menschlich", erinnert der Ex-Profi. "Fußball ist zudem ein Bereich, in dem man wie wohl bei keiner anderen Sportart in Deutschland in der Öffentlichkeit steht", sagt Miller.

Er glaubt aber, dass sich seine überzogenen Erwartungen an sich selbst auch in anderen Berufen negativ hätten auswirken können. "Fußball muss nicht der Auslöser sein, dass man krank wird, es kommt auch immer auf die eigene Persönlichkeit, das Private und das konkrete Umfeld an", meint Miller. Die Erwartungshaltungen im Profigeschäft verstärkten diese Faktoren aber.

Experte: "Da nützt kein Geld der Welt"

Auch Paasch hält den Fokus auf Leistung im System Fußball für zu eng. "Der Weg zur Leistung bedeutet, dass man Menschen menschlich behandeln muss. Wenn dieses Fundament fehlt, nützt kein Geld der Welt, um die maximale Leistung aus einem Spieler rauszuholen", sagt er.

Vereine hätten das mentale Coaching nicht ausreichend auf dem Schirm. "Die Haltung ist meist: "Wenn du jemanden brauchst, dann hol dir wen, der betreut dich"", weiß der Experte. Nur der kleinere Teil der Bundesliga-Teams habe einen festinstallierten Psychologen – nur etwa ein Drittel in den ersten drei Ligen. "Die anderen haben vielleicht Kontakte und Visitenkarten zu verteilen, aber es muss jemand sein, der das ganze Team kennt und nah an der Mannschaft dran ist", findet Paasch.

Vorbereitung auf "Haifischbecken"

Schon in den Nachwuchsleistungszentren brauche es eine frühe Vor- und Nachbereitung auf dieses Haifischbecken. "Dabei kann aber ein Psychologe nicht 10 Mannschaften und Trainer betreuen und gleichzeitig Elterncoaching machen. Nachhaltigkeit kann dadurch nicht entstehen", betont der Experte. Durchschnittlich bleibt ein Bundesliga-Trainer weniger als zwei Jahre im Amt. "Da fehlt Kontinuität und Planbarkeit, gerade für Familien", so Paasch.

Das Ziel dürfe nicht nur Leistungsoptimierung sein. Nur, wo ein Mensch sich wertgeschätzt und angenommen fühle, sei Potentialentfaltung möglich. "Es ist deshalb fahrlässig, den Kopf nicht zu trainieren", sagt er. Im Schnitt brauche etwa ein Drittel einer Mannschaft psychologische Betreuung.

Aufklärungsarbeit wichtig

"Der Verein hat eine Pflicht, nicht nur zu schauen, wie man Jungs mit viel Geld verkaufen kann. Die Leidenschaft, gegen den Ball zu treten, kann durch den Druck und Stress verloren gehen", warnt Paasch. Auch von den Medien brauche es mehr Diskretion. "Wenn das Privatleben eines Profis breitgetragen wird oder Fans sich anonymisiert zu allem äußern, tragen sie auch eine Verantwortung", findet der Experte.

Miller hält besonders Aufklärungsarbeit für wichtig. "Es muss besser verstanden werden, was mentale Erkrankungen sind und wie sie sich unterscheiden. Es sollte normal sein, dass man sich auch in diesem Bereich Auszeiten nehmen darf – wie auch bei einem Kreuzbandriss", sagt er.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. René Paasch ist Sportpsychologe und bietet sportpsychologische Beratung und Betreuung im Breiten- und Spitzensport sowie Coaching im betrieblichen Umfeld und Gesundheitsförderung an. Er verfügt über eine UEFA B-Lizenz, mehrjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Profi- und Amateurvereinen und hat bereits zahlreiche Fußballer betreut.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit René Paasch
  • Interview mit Markus Miller
  • Bocksch, R. (2022): Die Dauer eines Trainerlebens
  • Wirtschaftswoche: Diese Berufe machen depressiv
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