Seit ihrem Wechsel zu Bayer Leverkusen im Jahr 2020 ist Sylwia Matysik (26) eine Konstante in der Startaufstellung der Werkself. Die polnische Nationalspielerin hält für Leverkusen die rechte Abwehrseite dicht und gehört in der Saison 2023/24 zu den Spielerinnen mit den meisten gewonnen Tacklings und abgefangenen Bällen.

Ein Interview

Im Interview spricht Sylwia Matysik über Leverkusens Saison und den Zielen mit Polens Nationalteam, mit dem sie als Nächstes gegen Deutschland spielt.

Mehr News zur Bundesliga

Wie denken Sie über die aktuelle Saison mit Bayer Leverkusen?

Vor der Saison war das Ziel für uns recht klar: Wir wollten uns in den Top Fünf der Liga platzieren. Vor uns liegt noch das Spiel gegen Werder Bremen, und das ist möglich, wenn wir dieses Spiel gewinnen und Hoffenheim gegen Bayern München verliert. Ich denke, wir haben ein sehr gutes Team mit großem Potenzial. Einige Spiele haben wir unglücklich verloren oder unentschieden gespielt, obwohl die Leistung der Mannschaft gut war.

Freundschaft mit Nikola Karczewska

Leverkusen ist im Moment die Mannschaft mit den meisten Unentschieden in der Liga. Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Manchmal haben wir zu leicht Tore kassiert, manchmal haben wir zu wenige Torchancen kreiert und manchmal haben wir sie einfach nicht genutzt. Manchmal fehlte es vielleicht an Erfahrung oder Ruhe vor dem Tor. Ich denke auch, dass viele Mannschaften gegen uns sehr tief standen, was uns dazu zwang, den Großteil des Spiels mit positionellem Angriff zu führen. Dann hatten wir nicht so viel Platz und die Gegner konnten kontern.

Sie haben diese Saison mit Nikola Karczewska eine Teamkollegin, die Sie aus der polnischen Nationalmannschaft und auch von einer kurzen gemeinsamen Zeit bei Łęczna schon kannten.

Vor der Saison habe ich mich sehr gefreut, dass Nikola zu uns gewechselt ist. Schon bevor sie hierherkam, waren wir sehr gute Freundinnen. Wir kennen uns seit über acht Jahren, spielen schon seit längerer Zeit zusammen in der polnischen Nationalmannschaft und haben auch eine Saison gemeinsam bei Górnik Łęczna verbracht. Interessanterweise haben wir sogar ein Jahr lang zusammen gewohnt. Jetzt in Leverkusen ist sie wieder meine Nachbarin und wohnt im selben Haus wie ich. Sie ist eine sehr gute Fußballerin, die viel Qualität ins Team bringt. Wir verstehen uns super, unterstützen uns gegenseitig und verbringen viel Zeit miteinander.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie ursprünglich zum Fußball gekommen sind?

Das vergisst man nicht so leicht. Ich komme aus einem kleinen Dorf, in dem meine Altersgenossen hauptsächlich Jungs waren. Und wie das eben so ist, wollten die Jungs nach der Schule nur Fußball spielen. Also war ich in gewisser Weise gezwungen, aber es war vielleicht auch Glück, dass ich mit ihnen vor unserem Haus Fußball gespielt habe. Dann hat sich einer meiner Kumpels bei einem Fußballverein in unserem Dorf angemeldet. Er war dort sehr glücklich, also beschloss ich, mit meinen Eltern zu sprechen, dass ich auch gerne dorthin möchte, auch wenn es eine Jungs-Mannschaft war. Meine Eltern hatten nichts dagegen, also bin ich mit meinem Vater zum ersten Training gefahren, ich war damals zehn oder elf Jahre alt. Die Trainer und die Jungs haben mich sehr nett aufgenommen. Also bin ich dem Team beigetreten und habe als einziges Mädchen in der ganzen Liga mit den Jungs gespielt. Nach einer Weile wurde ich sogar zur Kapitänin ernannt.

Entdeckt von Polens späterer Nationaltrainerin Nina Patalon

Sie sind später in der Jugend zu Medyk Konin gewechselt und haben dort auch Ihre ersten Profi-Spiele gemacht, der Verein hat in der Zeit mehrere Titel gewonnen. Wie war das für Sie als junge Spielerin?

Ich bin mit 13 Jahren zu Medyk Konin gekommen und habe dort fünf Jahre verbracht. Ich habe alle Teams durchlaufen, spielte in der U16 und U19 und habe auch in der ersten Mannschaft. Bei Medyk habe ich meine ersten größeren Erfolge erzielt, wie die polnischen Meisterschaften in der U16 und U19, den polnischen Pokal und die erste polnische Meisterschaft für mich und den Verein, was uns die Qualifikation für die Champions League brachte, wo ich ebenfalls spielen durfte. Diese Erfolge waren für mich als junge Spielerin eine unglaubliche Erfahrung. Ich habe dort in sehr jungen Jahren viel Erfahrung gesammelt. Diese Erfolge haben mich zu noch härterer Arbeit im Training angespornt, denn schon damals wusste ich, dass es mein Ziel war, ins Ausland zu gehen und mich in einer anderen Liga zu versuchen.

Die Anfänge waren nicht einfach für mich. Konin ist 200 Kilometer von meinem Zuhause entfernt. Deshalb habe ich meine Familie sehr vermisst, besonders weil ich im Internat gewohnt habe und am Wochenende Spiele hatten, weshalb ich nur zweimal im Monat nach Hause kommen konnte und meine Familie selten gesehen habe. In jungen Jahren musste ich sehr verantwortungsbewusst sein, was auch dazu beigetragen hat, dass ich schnell gereift bin.

Lesen Sie auch

Wer oder was hat Sie in dieser Zeit besonders geprägt?

Wie ich bereits erwähnt habe, war ich damals sehr jung, man könnte sagen, ich war noch ein Kind, das sehr schnell erwachsen werden und sich neuen Herausforderungen stellen musste. In Konin gab es großartige Bedingungen für die Entwicklung einer jungen Fußballspielerin. Wir hatten eine tolle Möglichkeit, das Lernen mit täglichem Training zu verbinden. Das Leben ohne Eltern war ebenfalls eine Herausforderung für mich, aber ich bin großartigen Teamkolleginnen begegnet, die selbst auch weit weg von zu Hause waren. Deshalb haben wir uns jeden Tag gegenseitig unterstützt und waren uns sehr nahe.

Sie kennen die aktuelle Nationaltrainerin Polens, Nina Patalon, noch als Jugend- und Co-Trainerin aus dieser Zeit im Verein, oder? Was haben sie empfunden, als Sie 2021 zur ersten Frau wurde, die das polnische Nationalteam trainiert?

Dank Nina bin ich nach Konin gekommen und habe die Möglichkeit bekommen, mich weiterzuentwickeln. Nina hat mich auf einem Turnier entdeckt und sich mit meinem Trainer in Verbindung gesetzt, weil sie großes Potenzial in mir sah und mir die Möglichkeit gab, Medyk Konin beizutreten. Sie war dort meine erste Trainerin. Als sie 2021 die erste Frau wurde, die die polnische Nationalmannschaft trainierte, habe ich mich sehr gefreut und war stolz. Es war ein historischer Moment, der zeigte, dass Frauen im Fußball immer mehr Anerkennung und Möglichkeiten bekommen. Es war inspirierend zu sehen, wie sie damit positive Veränderungen im polnischen Fußball bewirkt hat.

Wechsel zu Bayer 04 Leverkusen

Später ging es für Sie erst weiter zu Wroclaw und dann Łęczna, wo Sie viele Titel gewannen und auch in der Champions League spielten. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich habe zwei Jahre lang in Breslau gespielt und dann drei Jahre lang in Łęczna. Der Beginn meiner Zeit in Breslau war nicht besonders erfolgreich. Im dritten Training habe ich eine Verletzung am Sprunggelenk erlitten, die eine Operation erforderte. In der langen Reha-Zeit war viel Geduld gefragt. Trotzdem erinnere ich mich gerne an diese zwei Jahre in Breslau zurück. Nach meinem Comeback habe ich dort meine Schule abgeschlossen und einen bestimmten Lebensabschnitt beendet. Dann bin ich nach Łęczna gezogen, wo es uns gelungen ist, dreimal die polnische Meisterschaft zu gewinnen und zweimal den polnischen Pokal zu holen. Ich habe auch in der Champions League gespielt und mein Studium abgeschlossen. Meine guten Leistungen bei Górnik Łęczna und in der Nationalmannschaft haben mir die Möglichkeit gegeben, von Bayer 04 wahrgenommen zu werden.

Danach folgte dann der Wechsel zu Leverkusen, inzwischen sind Sie seit fast vier Jahren in der Bundesliga. Was war damals ausschlaggebend für die Entscheidung?

Nachdem ich das Angebot bekommen hatte, waren mehrere Faktoren ausschlaggebend für meine Entscheidung. Erstens war die Aussicht, in der Bundesliga zu spielen, sehr attraktiv, da diese Liga als eine der besten in Europa gilt und mir die Möglichkeit bietet, mich weiterzuentwickeln und auf höchstem Niveau zu konkurrieren. Zweitens war die sportliche Perspektive in Leverkusen vielversprechend, da der Verein äußerst professionell aufgestellt ist und alle Möglichkeiten bietet, die Spieler weiterzuentwickeln. Es war schon immer mein Traum, im Ausland zu spielen, und ich bin sehr froh, dass ich nach Leverkusen gekommen bin. Wenn ich die Entscheidung noch einmal treffen müsste, würde ich sie sicherlich genauso treffen.

Wie würden Sie den Fußball in Polen im Vergleich zu Deutschland beschreiben?

Der Fußball in Polen und Deutschland unterscheidet sich in mehreren Aspekten. Die Bundesliga gehört zu den besten Ligen in Europa, in der die besten Spielerinnen auftreten. Dadurch herrscht ein sehr hohes Grundniveau. In der Bundesliga gibt es auch große Vereine und Marken, was viele Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Es gibt auch Unterschiede in den finanziellen Investitionen. Ich bin vor vier Jahren aus Polen weggezogen und in dieser Zeit hat sich auch viel verändert. Die Liga ist professioneller geworden, es gibt immer mehr Sponsoren, die Spiele werden auch im Fernsehen übertragen und es kommen immer mehr Fans im Stadion. In der Liga gibt es viele junge Talente, junge polnische Nationalspielerinnen. Das Liga-Niveau ist allerdings niedriger, weshalb sich quasi jede Spielerin, die ihre Karriere weiterentwickeln möchte, dazu entscheidet, ins Ausland zu wechseln. Es gibt sicherlich viel Potenzial in der polnischen Liga und sie entwickelt sich stetig weiter. Aber das ist ein langer Prozess.

Mit Polen haben Sie dieses Jahr den Aufstieg in die Nations League A geschafft und spielen jetzt in der EM-Qualifikation unter anderem gegen Deutschland. Es gibt noch einige andere polnische Spielerinnen in der Bundesliga. Ist es für Sie alle ein besonderer Reiz in einer Gruppe mit Deutschland zu sein?

Ja, definitiv! Das ist eine besondere Gelegenheit für mich. Ich hatte die Möglichkeit, in allen Altersklassen der polnischen Nationalmannschaft zu spielen und habe mehr als 50 Spiele in der A-Nationalmannschaft absolviert, aber ich habe noch nie gegen die deutsche Nationalmannschaft gespielt. Nach vier Jahren in Deutschland freue ich mich besonders auf diese Spiele, besonders auf das Duell mit meiner Teamkollegin Elisa Senß. Es ist eine großartige Gelegenheit, auf diesem Niveau gegeneinander anzutreten.

Vorfreude auf Spiele gegen Deutschland

Polen hatte sich auch darum beworben, die EM auszurichten. Was hätte das für den Frauenfußball in Polen bedeutet?

Wenn Polen den Zuschlag erhalten hätte, wäre das ein großer Schritt für den Frauenfußball dort gewesen. Die Austragung eines solchen prestigeträchtigen Turniers hätte zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für den Frauenfußball im Land geführt und das Interesse daran weiter gesteigert. Es hätte auch dazu beigetragen, die Infrastruktur für den Frauenfußball zu verbessern, neue Stadien zu bauen und die Ausbildung junger Spielerinnen zu fördern. Darüber hinaus hätte die EM-Austragung eine positive wirtschaftliche Auswirkung gehabt, indem sie Tourismus und wirtschaftliche Entwicklung in den Gastgeberstädten gefördert hätte. Insgesamt hätte der Frauenfußball in Polen wohl einen bedeutenden Schub erhalten.

Was denken Sie, ist für Polen in der EM-Qualifikation nach den beiden Auftaktniederlagen noch möglich?

Im Fußball ist bis zum Ende alles möglich. Uns ist bewusst, dass wir gegen Deutschland nicht die Favoriten sind. Die beiden Niederlagen tun sehr weh, da wir definitiv gegen Island und Österreich hätten punkten können. Deutschland ist klarer Favorit in unserer Gruppe. Unser Ziel bleibt jedoch die EM-Qualifikation. Es wird sehr schwer sein, um die ersten beiden Plätze in unserer Gruppe zu kämpfen, da sich nur zwei Mannschaften direkt qualifizieren. Die Teams auf den dritten und vierten Plätzen spielen in den Playoffs. Wir werden bis zum letzten Spiel kämpfen.

Was möchten Sie persönlich mit Leverkusen oder Polen in Ihrer Karriere unbedingt noch erreichen?

Ich möchte auf jeden Fall noch in der Champions League spielen und mit der polnischen Nationalmannschaft an einem großen Turnier teilnehmen, zum Beispiel an der Europameisterschaft 2025.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.