Der Video-Assistent wird in Leverkusen zum "Lebensretter" des Unparteiischen, in den Abstiegsduellen hingegen lösen die Schiedsrichter auch komplizierte Aufgaben, ohne den VAR zu beanspruchen. Nur in Dortmund gibt es eine Kontroverse über ein schwierig zu bewertendes Handspiel.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Bei all der Kritik, mit die Video-Assistenten immer wieder – aber längst nicht immer zu Recht – konfrontiert sind, bot das Spiel zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem FC Bayern München (2:1) am 25. Spieltag der Bundesliga einen deutlichen und etwas kuriosen Kontrast.

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Zweimal nahm Schiedsrichter Tobias Stieler eine "Schwalbe" von Amine Adli im Strafraum der Bayern wahr und verwarnte ihn deshalb jeweils, beide Male griff VAR Sören Storks jedoch völlig zu Recht ein, weil Adli klar gefoult worden war.

Stieler nahm folgerichtig in beiden Fällen nach einem On-Field-Review die Gelbe Karte zurück, bat Adli per Handschlag um Entschuldigung und gewährte den Leverkusenern einen Strafstoß, den Exequiel Palacios sicher verwandelte.

Ohne VAR hätten die Hausherren die Partie also womöglich mit 0:1 verloren, Amine Adli hätte mit Gelb-Rot das Feld verlassen müssen, und dem Unparteiischen wäre eine Welle der Empörung entgegengeschlagen.

Der VAR als "Lebensretter"

So aber waren am Ende alle einverstanden, die Leverkusener sowieso, der Referee ebenfalls – "Lebensretter" nannte er seinen Kollegen im Interview des Senders DAZN sogar –, und auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann hielt fest: "Es war korrekt, es waren zwei Elfmeter und demnach im Sinne der Fairness."

Die Kontakte von Benjamin Pavard und Dayot Upamecano gegen Adli habe er auf dem Feld nicht wahrgenommen, und das "atypische Fallmuster" des Leverkuseners habe aus seiner Sicht für eine "Schwalbe" gesprochen, erläuterte Tobias Stieler, warum es zu den falschen Entscheidungen gekommen war.

Umso dankbarer war er für die Hilfe aus Köln: "Das war heute ein Paradebeispiel für die perfekte Zusammenarbeit mit dem Videoassistenten." Der bereits verwarnte Pavard hätte für sein Foul an Adli – mit dem er einen aussichtsreichen Angriff unterband und bei dem er nicht versucht hatte, den Ball zu spielen – allerdings Gelb-Rot bekommen müssen.

Sippel: "Strafbares Handspiel von Dahoud"

Wenn es doch nur immer so klar und offensichtlich wäre, dass ein klarer und offensichtlicher Fehler vorliegt, wie bei den beiden Entscheidungen in Leverkusen! In der Begegnung Borussia Dortmund – 1. FC Köln (6:1) ging es nach 27 Minuten jedenfalls nicht so eindeutig zu.

Da lenkte der Dortmunder Mahmoud Dahoud den Ball im eigenen Strafraum mit dem rechten Arm ins Toraus, Schiedsrichter Daniel Siebert entschied sich gegen einen Handelfmeter. Dabei blieb es nach der Überprüfung durch VAR Pascal Müller.

Wie so oft bei Handspielen gab es auch hier Argumente für und gegen die getroffene Entscheidung. Peter Sippel, der sportliche Leiter der Bundesliga-Referees, bezeichnete den ausgebliebenen Elfmeterpfiff als Fehler: "Die Hand ist doch sehr weit oben, und er blockt damit den Ball, daher ist es für uns ein strafbares Handspiel", sagte er in der Sendung "Doppelpass".

International ist die Auslegung bei Handspielen streng

Geltend machen könnte man aber auch, dass Dahoud in einer normalen Laufbewegung war und seinen Arm somit nicht unnatürlich erhoben hatte. Außerdem war der Ball unmittelbar vor dem Handspiel aus geringer Distanz von Jonas Hector abgelenkt worden und dadurch etwas anders auf Dahoud zugekommen, als dieser es erwarten konnte. Ohne diese Änderung der Flugbahn wäre es womöglich nicht zum Handspiel gekommen.

Für den VAR sei Sieberts Entscheidung nicht klar und offensichtlich falsch gewesen, erklärte Sippel den Grund, warum es nicht zum On-Field-Review kam. Tatsächlich war der Fall nicht ganz eindeutig. Sippel wies allerdings auch darauf hin, dass die Regelauslegung beim Handspiel international recht streng sei und man sich in der Bundesliga an diesen Vorgaben orientieren müsse, denn "sonst haben wir eine zu große Diskrepanz".

In UEFA-Wettbewerben etwa werden Handspiele fast immer bestraft, wenn die Hand oder der Arm ein Stück vom Körper abgespreizt oder über Schulterhöhe gehalten wird, selbst wenn der Körper dadurch nicht auf unnatürliche Weise vergrößert wird. Gemessen daran war Dahouds Handspiel ahndungswürdig.

Willenborg löst gleich vier knifflige Fälle ohne Hilfe des VAR

In den anderen Partien des 25. Spieltags – auch in jenen der abstiegsbedrohten Teams – blieben den Unparteiischen und ihren Video-Assistenten solche besonders diffizilen Szenen erspart. Und den Schiedsrichtern gelang es durchweg, ohne Hilfe des VAR die spielrelevanten Situationen korrekt zu bewerten.

Besonders erwähnenswert war das im Kellerduell zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und Hertha BSC (3:1), in dem der ausgezeichnet leitende Referee Frank Willenborg gleich in vier entscheidenden Szenen auf Anhieb richtig lag.

In der 22. Minute bewertete er das Handspiel von Tolga Cigerci im eigenen Strafraum zu Recht als strafbar – der Berliner hatte beide Arme über den Kopf gehalten und damit den Ball berührt. Es gab hier genauso zu Recht einen Strafstoß für die Gastgeber wie eine Viertelstunde später, als Filip Uremović seinen Gegenspieler Ihlas Bebou zu Fall brachte.

Das Handspiel des Hoffenheimers Robert Skov kurz vor dem eigenen Tor wiederum stufte Willenborg nach 49 Minuten richtigerweise als nicht ahndungswürdig ein, denn Skov hatte versucht, das Handspiel durch das Wegziehen seines Armes zu vermeiden, als der Ball aus kurzer Distanz von seinem Torwart Oliver Baumann auf ihn zukam. Ebenfalls korrekt war der Feldverweis gegen Munas Dabbur in der 71. Minute nach einem Tritt mit den Stollen in die Wade von Dodi Lukebakio.

Auch in Augsburg und Stuttgart liegen die Referees richtig

Auch Willenborgs Kollege Daniel Schlager entschied im Spiel des FC Augsburg gegen den FC Schalke 04 (1:1) in wesentlichen Szenen richtig: Der Tritt von Ermedin Demirović mit weit erhobenem Fuß gegen den Kopf von Tom Krauß im Zweikampf um den Ball nach 53 Minuten erfolgte zwar gewiss nicht absichtlich, aber das spielte eine Rolle, zumal Demirović seinen Gegenspieler im Blick hatte.

Absolut berechtigt war auch der Strafstoß für die Schalker in der Nachspielzeit. Schlager hatte sehr gut erkannt, dass Jeffrey Gouweleeuw im Augsburger Strafraum gegen Simon Terodde einen Moment zu spät kam und nur das Bein des Schalkers traf, der seinerseits zuvor den Ball gespielt hatte.

In der Partie des VfB Stuttgart gegen den VfL Wolfsburg (0:1) entschloss sich Schiedsrichter Felix Brych unterdessen wenige Minuten vor Schluss, das Handspiel des Wolfsburgers Sebastiaan Bornauw im eigenen Strafraum nach einem Schuss von Enzo Millot nicht als strafbar zu bewerten. Auch diese Entscheidung war völlig korrekt, denn Bornauw hatte seinen Oberarm am Körper angelegt und seinen Unterarm nach hinten gezogen, um ein Handspiel zu verhindern.

Insgesamt war es für die Referees und ihre Helfer im Kölner Video-Assist-Center ein erfolgreicher Spieltag ohne größere Diskussionen – und dafür mit VAR-Eingriffen, die allseits gelobt wurden. Das passiert auch nicht jedes Wochenende.

Alex Feuerherdt lebt in Köln und ist dort seit vielen Jahren verantwortlich für die Aus- und Fortbildung der Unparteiischen. Außerdem wird der 52-Jährige als Schiedsrichter-Beobachter in Spielklassen des DFB eingesetzt und arbeitet für den Verband auch als Schiedsrichter-Coach.
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