Mit Jürgen Klinsmann soll der Hertha der große Wurf gelingen, in naher Zukunft endlich wieder Deutscher Meister zu werden – so zumindest die Wunschvorstellung in der Hauptstadt nach Jahren im Bundesliga-Niemandsland. Die Hoffnung auf Erfolg wächst angesichts des neuen Geldgebers. Die Realität ist aber eine andere.

Eine Analyse

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Zum Bundesliga-Auftakt der laufenden Saison entführte Hertha BSC einen Punkt aus München. Ein Geschenk der Berliner sorgte überhaupt dafür, dass der deutsche Rekordmeister und amtierende Titelträger nicht einen kompletten Fehlstart hinlegte.

Doch von der in München stark aufspielenden Berliner Elf war im Rückspiel am Sonntag nicht mehr viel übrig. Auf gleich sechs Positionen unterschied sich die Startaufstellung zum Spiel Mitte August. Und auch der Trainer war ein anderer: Ante Cović hatte im Laufe der Hinrunde seinen Posten räumen müssen.

Jürgen Klinsmann übernahm Ende November - und löste in der Hauptstadt eine Euphoriewelle seinesgleichen aus. "Weg vom Tabellenkeller, durchatmen. Zweiter Schritt: Nächste Saison die Europa League erreichen. Dritter Schritt: In drei bis fünf Jahren um die Meisterschaft mitspielen und in die Champions League kommen", posaunte der ehemalige deutsche Nationaltrainer den Zukunftsgedanken des Klubs heraus.

Hertha BSC: Abstiegskampf ist die Gegenwart

Stichwort Tabellenkeller: Ebenso wie der Trainer ausgetauscht wurde, sind auch die Ambitionen beim Hauptstadtklub nun gegenüber dem Saisonbeginn völlig andere. Klassenerhalt statt Europa.

Dies wurde einmal mehr am Sonntag deutlich, als die Hertha vor heimischem Publikum mit 0:4 gegen den FC Bayern unterging. Der Abstand auf den Relegationsplatz beträgt nach der deutlichen Niederlage am 18. Spieltag lediglich zwei Punkte. Vom ersten Europa-League-Rang trennen die Berliner hingegen zwölf Zähler.

Für Klinsmann geht es nun erst einmal darum, die Mannschaft bis Saisonende in sichere Fahrwasser der Bundesliga zu führen. An dieser Situation führt derzeit kein Gedanke vorbei.

Das, so dachten sich zumindest die Vereinsbosse, sei aber bereits in den vergangenen Jahren unter Pál Dárdai gelungen - weshalb der Ungar gehen musste und die Mannschaft unter Cović den nächsten sportlichen Schritt hätte machen sollen. Doch die Hertha hat einen Schritt zurückgemacht. Und diese Entwicklung gefällt im Verein und Umfeld keinem, denn die Hertha hat große Ambitionen.

Reges Investoreninteresse an Hertha BSC

Die Verpflichtung von Klinsmann war bei weitem nicht die erste Meldung, die im vergangenen Jahr bundesweit für Gesprächsstoff sorgte. Im Juni wurde bekannt, dass der Unternehmer Lars Windhorst bei Hertha BSC einsteigen würde.

Zunächst erwarb er für 125 Millionen Euro 37,5 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA. Dann stockte er für weitere 99 Millionen Euro auf 49,9 Prozent der Anteile auf.

Nun sind Engagements von Mäzenen und Investoren – in diesem Fall über die Tennor Holding B.V. – immer zweischneidige Angelegenheiten. Manche investieren ihr Geld aus Liebe zu einem Verein oder aus persönlicher Geltungssucht. Sie erwarten nicht unbedingt eine positive finanzielle Bilanz einige Jahre nach ihrem Einstieg.

Im Fall von Windhorst dürfte es jedoch anders sein: Der 43-Jährige möchte Hertha zu einer rentablen Marke im Fußball entwickeln und nicht nur Millionen verbrennen. Es ist zudem nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte der Hertha, dass Investoren von außen beim Verein einsteigen.

2014 kaufte bereits Kohlberg Kravis Roberts & Co. Anteile an der Hertha BSC GmbH. Das eigentlich auf sieben Jahre angelegte Engagement endete jedoch bereits 2018 wieder. Interesse aus der Finanz- und Unternehmenswelt am Verein bestehen dennoch weiterhin. Zu verlockend ist der Standortfaktor Berlin.

Windhorst war es auch, der Klinsmann bei der Hertha installierte - als Aufsichtsratsmitglied allerdings. Den Gedanken an den Trainerposten hatte Klinsmann bei seinem Start in der Berliner Chefetage wahrscheinlich nicht - und dennoch steht er jetzt an der Seitenlinie.

Große Ambitionen in der Metropole Berlin

Den Anhängern des Hauptstadtklubs gefällt's - sie hoffen, nun insbesondere mit Klinsmann, in der überwiegenden Mehrzahl auf den endgültigen sportlichen Durchbruch ihrer Hertha. Berlin ist eine boomende Metropole, die sich gerne als kosmopolitischer Hub im Herzen Europas verkauft.

Da passt es natürlich nicht unbedingt, dass die Stadt in der prestigeträchtigen Champions League überhaupt keine Rolle spielt. London, Madrid, Paris oder Rom sind stets – teilweise sogar mit mehreren Mannschaften – international vertreten. In Berlin hingegen spielen die Eisbären oder Alba eine wichtigere Rolle als der größte Fußballverein.

Da nun bei Hertha bereits der zweite Investor viele Millionen in den Klub pumpt, stellt sich die Frage, warum es trotzdem nur zu einer Rolle im Mittelfeld der Bundesliga reicht?

Vieles hatte lange Zeit mit fehlender Konstanz im Verein selbst zu tun. Dieses Problem wurde allerdings durch die Personalien Dárdai und Michael Preetz verändert. Beide prägten - beziehungsweise im Fall von Geschäftsführer Preetz prägen weiterhin - die sportlichen Geschicke der "Alten Dame". Allerdings könnte auch die Zeit von Preetz mit der Installation von Ex-Hertha-Spieler Arne Friedrich, der nun als Teammanager fungiert, bald abgelaufen sein.

Pál Dárdai bringt Konstanz auf Trainerposition in Berlin

Dárdai übernahm seinerzeit 2014 das Traineramt und brachte Konstanz auf dieser Position, die zuvor ein Schleudersitz war. Zur Erinnerung: Nach der Entlassung von Lucien Favre 2009 hatten Friedhelm Funkel, Markus Babbel, Michael Skibbe, Otto Rehhagel und Jos Luhukay das Amt inne – ein paar Interimstrainer außen vor gelassen.

Dárdai war dafür verantwortlich, dass sich die Hertha sportlich stabilisierte. Aber der Ungar verkörperte gleichzeitig ein großes Problem: Die Vereinslegende hätte mit seiner Art von Fußball die Berliner niemals in hohe sportliche Sphären führen können. Mehrmals spielte Hertha eine hervorragende Hinrunde, brach aber mit Beginn der Rückrunde ein und landete letztlich im Mittelfeld.

Einen wirklichen Grund für eine Entlassung von Dárdai sahen Preetz und Co. allerdings nicht. Dafür hatte er zu viel Kredit im Verein und Umfeld der Hertha. Und dafür waren auch die Platzierungen zwischen Rang sechs und elf doch akzeptabel.

Cović: Ein alter Bekannter statt eines Konzepttrainers

Dass der 43-Jährige am Ende seinen Hut nahm, hatte gerade mit der sportlichen Stagnation zu tun. Hertha möchte schneller wachsen, als dies Dárdai jemals ermöglichen konnte. Aber anstatt einen renommierten Trainer zu verpflichten, der mit seiner Autorität ein sportliches Konzept für die kommenden Jahre hätte etablieren können, entschieden sich die Verantwortlichen für einen weiteren Trainer mit Stallgeruch.

Cović entpuppte sich allerdings nicht als der gewünschte Mann für die sportliche Weiterentwicklung. Er trat im Sommer mit der Ambition an, Hertha stärker auf Ballbesitzfußball auszurichten und damit auch vom Stil her näher an die Spitzenteams der Bundesliga heranzuführen.

Mit Kreativspielern wie Ondrej Duda und Per Skjelbred und starken Allroundern wie Marko Grujić und Vladimir Darida stand ihm gerade im Mittelfeld das passende Personal zu Verfügung. Doch der Trainer konnte nie das Versprechen einlösen, dass Hertha unter ihm dominanter auftreten würde.

Hertha BSC fehlt ein sportliches Konzept

Ob nun gerade Klinsmann, der eher Motivator als Taktiker ist, eine weitreichendere Vision vermitteln kann, bleibt fraglich. Die Verpflichtung des 55-Jährigen scheint wie ein weiterer Akt eines Vereins ohne größere Strategie.

Ja, vielleicht kann Klinsmann mithilfe von Co-Trainer Alexander Nouri etwas entwickeln. Aber vielleicht ist das Duo auch im Sommer schon wieder weg und die Suche nach einem neuen Trainer beginnt von vorne. Ja, vielleicht ist Friedrich der richtige Mann für Transfers und Strukturreformen im Verein. Aber vielleicht ist auch er nur ein weiterer Ex-Spieler des Hauptstadtklubs, der sich neben oder nach Preetz ausprobieren darf.

Klar ist: Geld allein kann mittelfristigen Erfolg nicht erkaufen. Und Hertha hat weder in Deutschland noch international momentan ein derartiges Renommee, dass mit hohen Ablöse- und Gehaltssummen plötzlich die Top-Spieler Europas nach Berlin wechseln.

Weder die in den Medien gehandelten BVB-Stars Mario Götze und Julian Weigl, noch die beim FC Arsenal oder Paris Saint-Germain angestellten Granit Xhaka und Julian Draxler hat es zur Hertha verschlagen. Stattdessen kam mit Santiago Ascacibar ein Zweitligaspieler für elf Millionen Euro vom VfB Stuttgart.

Hertha kann, aber nichts muss

Mit den Windhorst-Millionen kann Hertha in den mittleren Regalabteilungen des Transfermarktes besser shoppen gehen, als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Gerade ein Verein wie die Hertha könnte sich aufgrund des Standortfaktors, aufgrund der neuen Geldquelle und aufgrund eines bereits soliden Kaders darauf konzentrieren, einen Spielstil zu etablieren, den alle Mannschaften von der Jugend bis zum Bundesligateam verfolgen. Und damit eine fußballerische Identität schaffen.

Auf Grundlage dieser Identität kann die sportliche Leitung auch nach neuen Bundesligaspielern und auch Talenten scouten. Aber ohne fußballerisches Konzept und längerfristige Strategie wird das Auf und Ab immer bleiben. Für solch ein Konzept braucht es einen erfahrenen und visionären Trainer, der eine ganz bestimmte Fußballidee verfolgt und vom Verein sowie dem Umfeld die notwendige Zeit erhält.

Das gestiegene Budget für den Kader ist nur ein kleiner Baustein auf dem Weg zu jenem Status, den sich nicht wenige in der Hauptstadt für Hertha wünschen. Noch wichtiger als das Geld sind aber die richtigen Personen an den richtigen Stellen.

Verwendete Quellen:

  • Pressemitteilung zum Einstieg von KKR
  • Pressemitteilung zum Einstieg von Tennor Holding B.V.
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