Ist der FC Bayern München auf dem Weg ein "gewöhnlicher" Top-Klub Europas zu werden? Bisher konnten die Fans stets auf den alternativen Weg ihres Vereins stolz sein. Ein paar der letzten tiefgreifenden Entscheidungen sorgen aber für Unruhe und die Frage: Wäre das mit Uli Hoeneß als Präsident auch alles so passiert?

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"Mia san mia", das hört sich so schön bayerisch an. Und das lässt sich so schön umgestalten, etwa in "Mia san boarisch", "Mia san Triple" oder - ganz aktuell - "Mia san China". Der FC Bayern München hat sich vor ein paar Jahren diesen schlichten und doch so einprägsamen Claim basteln lassen, um das in drei kurze Worte zu fassen, was seit Jahrzehnten das Selbstverständnis und die Größe dieses Klubs ausmachen.

Das Motto steht für Treue, Heimatverbundenheit, die Unerschütterlichkeit, mit der der Klub auch schmerzhafte Erfahrungen weggesteckt und in große Triumphe gewandelt hat, fast exemplarisch dargestellt durch die beiden letzten Champions-League-Triumphe 2001 und 2013 nach zuvor epischen Finalniederlagen.

Es steht auch für ein Selbstverständnis an der Grenze zur Arroganz, für den Spagat zwischen bayerischer Basis und globalen Marktansprüchen und vor allem Dingen für einen eigenen Weg. Die Bayern haben sich im Preistreiben der europäischen Konkurrenz stets zurückgehalten, das Mantra von Transfers nur unterhalb der 30-Millionen-Euro-Grenze ist noch keine zehn Jahre alt.

Rekordtransfers nun auch beim FC Bayern

Nun hat der FCB diese einst magische Grenze schon ein paar Mal überschritten. Das muss wohl so sein in einer Zeit, in der neben den üblichen Verdächtigen aus England und Spanien neuerdings auch durchalimentierte Klubs aus Frankreich, Russland, der Ukraine oder sogar China mit Geld nur so um sich werfen, die Preisspirale auf dem Transfermarkt sich immer noch schneller dreht und selbst für gehobenen Durchschnitt Ablösesummen im zweistelligen Bereich völlig normal sind.

Damit haben sich die Fans der Bayern abgefunden. Der moderne Fußball kennt eben nur ein "höher, weiter, besser". Womit aber ein großer Teil der Fan-Basis große Bauchschmerzen hat, ist die schleichende Entfernung ihres Klubs vom seinem innersten Kern. Die letzten Transfers - und solche, die sich seit Tagen schon anbahnen - lassen die Leute unruhig werden.

Der Abgang von Bastian Schweinsteiger war ein Tiefschlag für alle Romantiker, zusätzlich verstärkt durch den Kauf des Brasilianers Douglas Costa von Schachtjor Donezk. Ein (weiterer) Wunschspieler des Trainers, nach Thiago Alcantara, Xabi Alonso oder Juan Bernat. Nachweislich Spieler mit spanischem Pass und ohne diese spezielle Münchener Sozialisation, die Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Müller aufweisen können.

War Schweinsteiger nur der Anfang?

Eben dieser Müller soll jetzt nach Schweinsteiger auch von Manchester United umworben sein. Die genannten Summen aus dem Land der Mondpreise, die kleineren Reibereien des Spielers mit Trainer Pep Guardiola und die Tendenz der letzten Transfers lassen die Bayern-Fans aufschrecken.

Sie waren und sind neben all den Erfolgen immer auch stolz auf den alternativen Weg, den ihr Klub beschritten hat. Auf den gesunden Kompromiss zwischen sportlichen Meriten und einer vernünftigen wirtschaftlichen Basis. Momentan haben einige aber wohl das Gefühl, dass es ein bisschen zu viel um Markenbildung und Promotion geht als um Fußball. Dass die Gewichtung nicht mehr so ganz stimmt und dass ihr Verein jene Pfade zu beschreiten versucht, die bereits von anderen ausgetrampelt sind.

Veränderungen auch beim FC Barcelona

Von den Champions-League-Siegern der letzten zehn Jahre haben die Bayern und der FC Barcelona immer einen anderen Weg gewählt als der Rest. ManUnited, Real Madrid, der FC Chelsea: Sie alle haben ihre Klubphilosophien dem Diktat der Erfolgs- und Gewinnmaximierung um fast jeden Preis untergeordnet, der AC Milan und Stadtrivale Inter sind deswegen derzeit völlig überschuldet in der europäischen Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Barca hat sich mit der Wiederwahl von Präsident Josep Bartomeu für den wirtschaftlichen Fortschritt mit allen Nebenwirkungen entschieden. Der stolze Schlachtruf "Mes que un club" ist schon längst aufgeweicht, Sensationstransfers wie der von Neymar oder Luis Suarez stehen offenbar höher im Kurs als die eigene Ausbildungsstätte "La Masia"; auf der Brust der Spieler wirbt ein Unternehmen aus Katar und erstmals in der Geschichte des Klubs werden die Trikots quer- anstatt längsgestreift in Blau und Rot sein.

Was hätte Hoeneß gemacht?

Die Bayern sind dagegen noch ein kleines Licht im weltweiten Vergleich. Eine "relativ regionale Sache", wie Uli Hoeneß den heimischen Rivalen Borussia Dortmund einst genannt hat. Hoeneß ist bei den Bayern seit ein paar Monaten wieder am Werkeln. Er hilft die Jugendabteilung des Rekordmeisters auf Vordermann zu bringen, damit in ein paar Jahren wieder Spieler wie Schweinsteiger, Lahm, Müller, David Alaba oder Holger Badstuber den Durchbruch nach ganz oben schaffen.

Das ist ein schöner Job für den Teilzeitarbeiter Hoeneß - aber ganz sicher nicht von Dauer oder großer Erfüllung für den Mann, der dem Klub seine DNA förmlich mit eigenen Händen zusammengestrickt und mit Leben erfüllt hat. Das Machtvakuum, das Hoeneß hinterlassen hat seit seiner Verurteilung, war lange Zeit nicht zu erkennen.

Die meisten Beobachter fragen sich derzeit aber, ob es unter dem Manager oder Präsidenten Hoeneß auch zu derlei Interessenverschiebungen gekommen wäre. Ob Hoeneß einen Schweinsteiger hätte einfach so gehen lassen oder einen Toni Kroos. Oder im Streit mit Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nicht viel eher interveniert und geschlichtet hätte.

Gerade jetzt, wo sich der FC Bayern im Wandel befindet und vor allen Dingen der Trainer dabei - oft unverschuldet - in den Fokus der Kritik rückt, gibt es von den vielen Hoeneß-Vertretern kaum mal die viel beschworene klare Kante. Karl-Heinz Rummenigge erledigt seine Aufgaben pflichtbewusst, aber in seiner ihm eigenen Art sachlich-nüchtern. Matthias Sammer hält sich erstaunlich zurück, Jan-Christian Dreesen fehlt die fußballerische Kompetenz.

Das Ergebnis ist ein kleiner Schlingerkurs, der für Unruhe an der Basis sorgt. Die Fans möchten gerne, dass das "Mia san mia" auch weiterhin gelebt wird und nicht zu einem Anhängsel aus der Marketingabteilung des Klubs verkommt. Wobei es streng genommen gar nicht dort erfunden wurde. Österreichs Kaiser Franz Joseph schickte seine Truppen damit in die Schlacht. Das war vor 150 Jahren.

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