Die aktuellen TV-Rechteinhaber fordern mehr Nähe von den Bundesligisten. Das könnte zum Beispiel durch eine Öffnung der Kabine der Klubs für die Medien passieren. Oder durch Drehs im Mannschaftsbus. Doch wie faszinierend wäre das, wie spannend und authentisch? Wir haben mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath gesprochen.

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Hansi Flick überraschte sogar seine Spieler. Er war geladen, sauer, emotional. Auf 180. Und präsentierte sich in der Kabine so, wie man ihn draußen im Grunde gar nicht kennt: laut und wutschnaubend. Flick zeigte ganz neue Facetten. "Männer, wir machen die stark. Die sind so blind und wir machen die stark. Das kann nicht sein. Ich glaube, es geht los hier. Wir spielen eine Weltmeisterschaft. Es liegt an euch, Männer, ganz alleine, Charakter zu zeigen. Wenn wir so weitermachen, fahren wir nach Hause. Das kann nicht mehr wahr sein."

Das sagte der Ex-Bundestrainer in der Halbzeit des entscheidenden WM-Spiels gegen Costa Rica, zu sehen in der Amazon-Doku "All or Nothing". Authentisch wirkt das, echt. Und ist bald womöglich nicht mehr nur immer mal wieder in Dokus, sondern Woche für Woche in der Bundesliga zu sehen.

Denn die Rechteinhaber Sky und Dazn wollen mehr Exklusivität, mehr Nähe zu den Protagonisten. Die Pay-TV-Sender möchten, dass sich die Klubs weiter öffnen, Zugänge gewähren, die Kabine freigeben, also das Heiligste der Spieler. "Wenn der Fußball sich entwickeln will, und wenn er vor allem bei jungen Zielgruppen punkten will, dann muss er sich mehr öffnen", sagte Sky-Sportchef Charly Classen der Deutschen Presse-Agentur. "Wir müssen es schaffen, den Sportfan näher an seine Idole zu bringen, müssen die gesamte Bandbreite der Emotionen abbilden", sagte er.

Sender wünschen sich mehr Nähe

Auch Dazn-Geschäftsführerin Alice Mascia wünscht sich von der Deutschen Fußball Liga (DFL) und den Klubs ein Um- und Weiterdenken. Sie glaube, "dass die Entwicklung des Fan-Engagements, insbesondere der jüngeren Generationen, die Branche, einschließlich der Ligen und der Vereine, dazu zwingt, mehr zu wagen im Hinblick auf innovative Ideen und Formate", sagte sie der dpa.

Der Hintergrund ist klar: In wenigen Monaten werden die TV-Rechte für die Jahre 2025 bis 2029 vergeben. Für die letzte Rechte-Periode kassierte die Liga 4,4 Milliarden Euro, also 1,1 Milliarden pro Saison. Das Problem: Viel mehr dürfte es in der neuen Rechte-Runde nicht geben.

"Bei den TV-Rechten sehen wir die Grenze", sagt Sebastian Uhrich vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Sporthochschule in Köln im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Marktsättigung scheint erreicht zu sein, auf dem deutschen Markt kann man mit den TV-Rechten nicht so viel Geld verdienen, wie es einige hoffen." Deshalb müsse sich die Bundesliga auch neu erfinden, um relevant, gut, spannend zu bleiben, sagt der Experte.

DFL hat Anforderungen auf dem Schirm

Tatsächlich hat die DFL die Anforderungen auf dem Schirm. "Im Sinne der 36 Clubs befasst sich die DFL fortlaufend mit der Weiterentwicklung und Stärkung des Medienprodukts", teilt die Liga-Organisation mit. "Mit Blick auf die bevorstehende Ausschreibung der nationalen Medienrechte stehen wir sowohl mit unseren Medienpartnern als auch mit den Clubs im regelmäßigen, intensiven Austausch, um neue Ideen zu diskutieren." Darunter soll auch die neue Kabinen-Exklusivität sein, ebenso wie Einblicke in den Mannschaftsbus.

Doch wie innovativ wären eine Öffnung der Kabine der Klubs oder aber Drehs im Mannschaftsbus? Wie nah wäre der Fan dann wirklich dran, wie authentisch wäre das? Und wie attraktiv? "Die Kommunikationswissenschaft hat über Jahrzehnte und in diversen Studien belegen können, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn Sie wissen, dass Kameras vor Ort sind und sie gefilmt werden", sagte Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Michael Schaffrath im Gespräch mit unserer Redaktion: "Das bedeutet, dass sich viele, vielleicht auch alle Spieler mit Kameras in der Kabine anders verhalten als üblich. Damit würde also nur so eine Art Pseudo-Authentizität entstehen und medial dann übertragen."

Thomas Müller lässig und frisch geduscht in Unterhose, Harry Kane nach einem Dreierpack feixend inmitten der Kabine oder Joshua Kimmich verärgert in der Ecke – das Potenzial der Einblicke scheint riesig. Zumindest auf den ersten Blick. "Alles, was neu ist, hat eine gewisse Faszination. Oft aber nur für eine kurze Zeit", so Schaffrath. Hinzu kommt: Letzten Endes ist die Bundesliga ein Milliarden-Business.

Schnell so vorsichtig wie vorher?

Sprich: Profis dürften mit der Öffnung der Kabinen dort recht schnell so vorsichtig werden wie außerhalb. "Sie würden dann sehr klar mit ihren Beratern absprechen, was man wie in der Kabine noch sagen sollte oder besser nicht mehr von sich gibt", glaubt Schaffrath. "Letztlich würde bei Kamerapräsenz und Live-Übertragungen das, was normalerweise in der Kabine besprochen wird und auch nur dort in einem vertrauten Kreis besprochen werden muss, in andere Settings verlegt."

Dazu stellt sich die Frage, wie attraktiv Einblicke in den Mannschaftsbus sind. "Die meisten Spieler sitzen im Bus, haben Kopfhörer auf und fokussieren sich auf das bevorstehende Spiel. Kameras und Scheinwerferlicht sind für die Spieler in der Phase nur störend", so Schaffrath. Zudem sei die mögliche Bildvarianz sehr gering, so der Experte, "die Aufnahmen werden schnell redundant und damit für den Zuschauer langweilig". Ganz davon abgesehen glaubt Experte Schaffrath nicht, "dass deutsche Profi-Vereine ihre Kabinen für Sender und Plattformen öffnen und damit eine bisherige Tabuzone und auch ein Stück Intimsphäre preisgeben".

Denn es kommt natürlich auch ein Stück weit auf die Außenwirkung an. Wie fatal die sein kann, zeigte sich in erwähnter DFB-Doku, die schonungslos offenlegte, dass Flick die Kabine verloren hatte. Der Bundestrainer machte keine gute Figur, die Spieler auch nicht, und es war erschütternd zu sehen, wie kaputt das Gefüge Nationalmannschaft bei der WM doch war.

"Die Bilder aus der Kabine, aber mehr noch die Ansprachen der Trainer an ihre Spieler waren aus meiner Sicht eher desillusionierend und partiell peinlich. Die eklatante Erfolglosigkeit der Nationalmannschaft war für die Beurlaubung von Hansi Flick ausschlaggebend. Aber die in der Doku offenbarte übersichtliche Rhetorik des Bundestrainers hat meiner Meinung nach mit für seinen Rausschmiss gesorgt", sagte Schaffrath.

Klares Bild in einer Fan-Umfrage

Doch wäre das für Fans nicht Gold wert? Man könnte erwarten, dass bei einer zeitnahen Ausstrahlung ganz neuer Stoff für Diskussionen und Analysen geboten wird, dass Schlagzeilen produziert werden, Kontroversen. Dass die Anhänger die neue Nähe förmlich aufsaugen. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeichnet jedoch ein anderes Bild. Ganze neun Prozent der Befragten fänden Einblicke in die Kabine sehr interessant, 17 Prozent eher interessant. Insgesamt sind es deutliche 39 Prozent, die mehr Nähe im Profifußball eher uninteressant fänden.

Laut Schaffrath sollte die Nationalmannschafts-Doku "für alle Vereine und vor allem für alle Trainer Warnung genug sein, ob man die Kabine für Medien öffnet oder nicht. Kabinenbilder können ganz schnell kontraproduktiv werden."

Und hinzu kommt die für die Beteiligten alles entscheidende Frage: Spült der mögliche Zugang zur Kabine mehr Geld in die Kassen? Gewinnen die Sender durch die Einblicke also mehr Abonnenten? "Nein", stellt Schaffrath klar: "Dauerhaften und nennenswerten Abonnentenzuwachs bringt das nicht." Dem Fußballfan gehe es um die Brisanz einer Partie und die Attraktivität der beiden Mannschaften, so der Experte: "Vielleicht kann man einige Stammkunden mit dem ergänzenden Zusatzangebot ‚Kabinenbilder‘ zum Bleiben motivieren. Aber neue Abonnenten wird man dadurch aus meiner Sicht nicht gewinnen können." Selbst dann nicht, wenn Trainer ganz neue Facetten zeigen.

Über die Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Sebastian Uhrich lehrt am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Sporthochschule in Köln. Unter anderem forscht er zum Thema Sportmarketing, insbesondere zum Sportkonsumentenverhalten.
  • Prof. Dr. Michael Schaffrath leitet den Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation am Department Health and Sport Sciences der Technischen Universität München. Die Forschungsschwerpunkte des Kommunikationswissenschaftlers sind Sportjournalismus, Sport-PR, Sport im Radio, Sportkommentierung im Fernsehen sowie Journalismus und Doping.

Verwendete Quellen:

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