Borussia Dortmund schlingert weiter durch die Saison, immer mehr gerät der Trainer in die Kritik. Aber ist Thomas Tuchel alleine verantwortlich für das stete Auf und Ab beim BVB?
Lob und Tadel zugleich kommen vom Alt-Meister. "
Das sagt
"Er ist forsch, das belebt das Bundesliga-Geschäft. Aber es ist nicht immer zum Vorteil seiner Arbeit. Irgendwann muss er sich die Hörner abstoßen."
Borussia Dortmunds bisherigen Saisonverlauf zu begreifen, ist eine der schwierigeren Aufgaben für Fans und Beobachter. Die vorige Woche - mit einem aufwühlenden Auftritt des Trainers beim Spiel gegen RB Leipzig und dem hart umkämpften Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale - sahen viele als emotionalen Durchbruch für Thomas Tuchel in Dortmund. Doch dann folgte in Darmstadt ein erneuter Tiefpunkt.
Das 1:2 beim abgeschlagenen Schlusslicht war mehr als eine Niederlage. Es ließ alle im BVB-Tross ratlos zurück. Auf der Pressekonferenz klang Tuchel kryptisch wie nie. Normalerweise nörgelt und grummelt Tuchel nach Niederlagen, dann regt sich was beim 43-Jährigen. In Darmstadt wirkte er dagegen erstaunlich ruhig, in seinen Ausführungen sogar etwas zerstreut.
Einige prägnante Sätze konnten aber dennoch notiert werden, wie jener, der eine völlig neue Sicht der Dinge auf den BVB dieser Tage zusammenfasste. "Vielleicht müssen wir uns eingestehen, dass wir in dieser Saison so sind", sagte Tuchel da und meinte das stete Auf und Ab, die Inkonstanz seiner jungen Truppe.
Was aber noch viel interessanter war, war der Nachsatz, den der Trainer wenige Sekunden später noch loswerden wollte. Vielleicht könne das erschreckende Auftreten der Mannschaft in Darmstadt ja helfen, diese Sichtweise flächendeckend zu verankern.
"Es muss ein Umdenken stattfinden"
"Es muss ein Umdenken stattfinden. Wir sind nicht nur das, was wir gegen Leipzig und Bayern zeigen. Sondern auch das, was wir gegen Darmstadt zeigen", so Tuchel. "Es wäre hilfreich, wenn das mal durchsickern würde. Ich dachte, das ist intern schon angekommen."
Es geht um die Erwartungshaltung der Spieler und sehr wahrscheinlich auch der Vorgesetzten, also Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke. In der abgelaufenen Saison spielte der BVB unter Tuchel hervorragenden Fußball, funktionierte bis auf ganz wenige Ausnahmen wie ein Uhrwerk und wäre ohne die Über-Bayern problemlos deutscher Meister geworden.
Das weckt natürlich allerhöchste Erwartungen, auch wenn die Mannschaft gleich drei wertvolle Stützen in der Sommerpause verloren hat. Nur wollten und wollen das in Dortmund offenbar immer noch nicht alle wahrhaben. Diese Saison, mit einer auf wichtigen Positionen verjüngten Mannschaft, die keine klare hierarchische Struktur aufweist und immer wieder an sich selbst scheitert, ist eine Saison des Übergangs.
Tuchel nennt jetzt das Kind ohne Umschweife beim Namen und spricht davon, die Erwartungshaltung zu senken. Das war nicht immer so, der Trainer selbst hatte einen anderen Anspruch. Nun muss er ernüchtert feststellen, dass diese Saison die wohl schwerste seiner Karriere wird.
Ungeduldig und unzufrieden
Der Frust in Dortmund richtet sich zunehmend gegen den Trainer. Doch Tuchel geht einen mutigen Weg - dieser zielt auf mehr ab als auf den den kurzfristigen Erfolg. Seine Aufgabe besteht darin, die vielen neuen jungen Spieler an ein Niveau heranzuführen, das dem BVB mittel- und langfristig helfen kann.
Deshalb die Rochaden beim Personal, das Vertrauen in die blutjungen Emre Mor und Dzenic Burnic, die in Darmstadt plötzlich spielen durften, aber wie der Rest der Mannschaft farblos untergingen. Im Vorfeld der Partie hatte Tuchel ein Mentalitätsspiel ausgerufen, beim Letzten und wenige Tage vor dem Highlight in der Champions League gegen Benfica Lissabon. Seine Mannschaft hat die Signale offenbar überhört oder schlicht nicht verstanden.
Die Ungeduld des Trainers und seine Unzufriedenheit sind vielleicht Mosaiksteinchen des Problems. In Darmstadt legte er sich früh in der ersten Halbzeit mit dem Schiedsrichtergespann an und wäre fast auf die Tribüne verbannt worden. Er wollte die Mannschaft damit aufrütteln und jene Energie reintragen, die auf dem Platz fehlte, sagte Tuchel nach dem Spiel.
Tuchel kontra Watzke
Ganz so einfach war es dann aber wohl nicht. Tuchel wirkt im Moment besonders angespannt, und die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Saisonziele nerven den Trainer schon seit Wochen - oder spätestens seitdem Klub-Boss Watzke sich dazu berufen fühlte, die "Anpassungsprobleme" der Zugänge für "überwunden" zu erklären. "Ein halbes Jahr müsste dafür ausreichen."
Tuchel hat sich mit seinem Zerwürfnis mit Chefscout Sven Mislintat selbst in die Schusslinie gebracht. Bei der Mannschaft hat er zudem mit seiner teils unverhohlenen Kritik nach schwachen Spielen für wenig Begeisterung gesorgt.
Aber Tuchel ist der Trainer dieser Mannschaft und per se der wichtigste Angestellte im gesamten Verein. Sein Vertrag beim BVB läuft noch bis zum Sommer 2018. Gespräche über eine mögliche Verlängerung wurden auf die Sommerpause verschoben.
Momentan wäre dafür wohl ohnehin kein besonders günstiger Zeitpunkt. Zu den sportlichen Problemen gesellen sich diverse Nebenkriegsschauplätze im und um den Verein. Ein Sieg beim Highlight-Spiel gegen Benfica könnte schnelle Linderung verschaffen. Aber das nächste Unheil droht dann schon am kommenden Samstag: Dann empfängt der BVB Abstiegskandidat Wolfsburg im Alltag Bundesliga.
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