Werner Hansch ist einer der bekanntesten Sportreporter Deutschlands. Durch Glücksspiel verlor er seine finanzielle und private Existenz. Im Interview spricht der 84-Jährige über den Zustand der Bundesliga und wie er Glücksspiel-Süchtigen nun hilft.
Herr Hansch, der FC Bayern ist nach einer chaotischen Saison wieder Meister geworden. Dazu hat die DFL unerwartet gegen den Einstieg von Investoren gestimmt. Wo steht die Bundesliga gerade?
Die Bundesliga möchte mehr Einnahmen. Wie könnte es in dieser Frage weitergehen?
Es geht darum, wie man die Bundesliga auch im Ausland vermarkten kann. Da sind wir deutlich hinter anderen nationalen Ligen. Es gab auch den Vorschlag, den nötigen Finanzbedarf durch Eigenkredite zu sichern, statt einen Investor ins Boot zu holen. Dabei stellt man sich ja die Frage, ob dieser zum Beispiel auf die Spielpläne Einfluss nehmen kann. Der Widerstand der Ultras ist deutlich zu spüren, sie haben ein Urmisstrauen gegenüber solchen “Heuschrecken” – salopp gesagt. Das ist nicht unberechtigt.
Was wäre die Folge: Eine Abkehr der Ultrafans vom Fußball?
Fußball ist in erster Linie ein Finanzgeschäft. Jetzt müssen die Vereine schauen, woher sie das Geld bekommen. Das ist eine unangenehme Situation. Jeder muss schauen, wo er sich Finanzquellen eröffnen kann. Auf den Gedanken, alles ein bisschen herunterzufahren, wird niemand kommen.
Sie waren in den Achtzigern schon dabei. Wie sah das damals aus, das Geldverdienen in der Bundesliga?
Wie es in Deutschland lief, war noch relativ human. Hätte sich der FC Bayern München Jahre vorher selbst vermarktet, wäre er schon Lichtjahre über dem Rest der Bundesliga hinaus gewesen. Aber sie haben sich solidarisch zur Gesamtvermarktung bekannt. Die Gesamtvermarktung war ein gutes Modell, steht für mich aber auch zur Prüfung an.
Viele Online-Wettanbieter "waren bis 2021 illegal"
Sie haben in diesem Jahr mit einem Rechtsanwalt ein Start-Up gegründet, das Menschen helfen soll, die sich durch Sportwetten verschuldet haben. Sie selbst waren wettsüchtig – ist es eine Rache an der Branche?
Die Idee zur Gründung eines Start-Ups ging nicht von mir, sondern von Rechtsanwalt Marc Ellerbrock aus. Ein Bekannter von ihm war wirtschaftlich durch Online-Glücksspiel in die Bredouille geraten, woraufhin Marc sich als einer der ersten Juristen überhaupt in diesem Bereich profilieren konnte. Denn es gibt Wege, wie man Glücksspielverluste bis zu zehn Jahre rückwirkend und ohne Kostenrisiko einklagen kann.
Wie?
Viele Online-Kasinos, Online-Sportwetten- und Online-Pokeranbieter waren bis 2021 illegal, da sie über keine gültige Lizenz in Deutschland verfügen. Deshalb hätten sie Einzahlungen von deutschen Spielern niemals annehmen dürfen. Viele Anbieter hatten diese Lizenz nicht. Das ist der juristische Hebel, den wir ansetzen.
Wie haben Sie zusammengefunden?
Marc Ellerbrock ist auf meine Suchtgeschichte gestoßen. Er hat die Idee entwickelt, dass wir seine juristischen Erfahrungen mit meiner Lebensgeschichte als ehemals Süchtiger und Sportreporter verbinden könnten. Ich fand die Idee sehr charmant, deshalb haben wir sie weiterverfolgt. Das war der Startschuss für das Start-Up Zockerhelden.de.
Was ist Ihre Rolle im Unternehmen?
Ellerbrock besitzt die juristische Expertise, ich kümmere mich um die Menschen, die hinter diesen Fällen stehen: Sind sie spielfrei zu diesem Zeitpunkt? Welche Hilfen brauchen sie? Die Gruppe derjenigen Menschen, die Ansprüche haben, ist groß.
Nur: Viele Menschen, die Ansprüche haben könnten, schämen sich. Die Scham ist ein furchtbarer Brocken. Und viele Menschen denken sich, sie können nichts machen gegen diese Blutsauger. Ich nenne sie bewusst so, die Online-Kasinos und Online-Sportwetten- und Online-Pokeranbieter.
Die Menschen dazu zu bringen, sich zu öffnen, dürfte nicht immer einfach sein.
Bei mir hat es unheimlich lange gedauert, bis ich so weit war, dass ich mich geöffnet und eingesehen habe: Ja, ich bin krank, ich bin spielsüchtig. Bei mir war es noch schwieriger, weil ich mich ja öffentlich outen musste. Im TV-Format Promi Big Brother. Es war gleich am zweiten Tag.
Werner Hansch: "Ich habe mich vollkommen geoutet"
Wie war das damals?
Es gibt den großen Bruder, der mit tiefer Stimme gesagt hat: "Werner, komm in die Räuberhöhle!" Das war das Sprechzimmer mit einer schlichten Holzbank und zwei Kameras vor mir. Bald kam die Frage: "Sag mir, warum bist du hier?" Im Handumdrehen musste ich mich entscheiden: Erzähle ich ihm die Wahrheit? Oder erzähle ich ihm irgendeine Chose, die ich erzählt habe, wenn ich mal wieder Geld zum Zocken brauchte? Dann ist ein kleines Wunder passiert. Ich habe mich vollkommen geoutet. Das war ein entscheidender Schritt zurück ins Leben.
Wie ging es ihnen damit? Waren Sie erleichtert?
Sofort! Wir hatten bei Promi Big Brother etwa 1,5 Millionen Zuschauer am Tag und ich musste mit einer Welle moralischen Entrüstung rechnen: Der hat das gemacht? Spielsüchtig ist er! Das musste ich erwarten. Und ich sage Ihnen: zurecht! Nach Promi Big Brother gab es eine überbordende Welle an Zustimmung und Empathie. Das ist ein Grund, weshalb ich die Kraft hatte, mich auf die andere Seite der Front zu stellen. Ich musste weit über 60 Jahre alt werden, um überhaupt in das Höllentor einzusteigen.
Wie kann man Menschen vor Glücksspiel warnen?
Die anfälligsten Menschen für Wetten sind junge Männer. Sie waren da eher die Ausnahme. Wie kann man Menschen generell vor Glücksspiel warnen?
Ich bin kein Arzt, ich bin kein Psychologe, ich habe nur eine Waffe. Das ist die Prävention. Ich kann an meinem Beispiel zeigen, wohin man kommen kann. Es gibt keine andere Sucht, bei der man so schnell die wirtschaftliche Existenz vernichten kann wie bei der Spielsucht.
Hier schwingt natürlich der Nimbus des Sportreporters mit, aber das kann er ruhig. Das ist meine Art, Menschen zu helfen. Ich halte Präventionsvorträge an Schulen, an Unis und in Unternehmen und mache in den Medien auf die Gefahren aufmerksam. Dazu mache ich gemeinsam mit Carsten Kulawik einmal im Monat den Podcast Zockerhelden, in dem wir mit Menschen über die Glücksspielsucht sprechen.
Werbung für Sportwetten gibt es aber nach wie vor groß und sichtbar.
Der Fußball selbst hat sich diesen Blutsaugern schon vor einiger Zeit verschrieben. Und mit ihm die Medien: Die ARD hat ihr sportliches Flaggschiff, die "Sportschau", an einen dieser Blutsauger verkauft. Damit hat der Fußball sein Gewissen verloren.
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