• Die FDP fährt in NRW die zweite Wahlniederlage auf Landesebene in Folge ein und wäre sogar fast aus dem Landtag herausgeflogen.
  • Dies setzt die Liberalen im Bund in der Ampel unter Druck.
  • Die FDP steht vor der Frage, wie sie sich in Berlin besser profilieren kann.
Eine Analyse
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Das Wahlergebnis in NRW war für die FDP der zweite Dämpfer in Folge. Sie wurde mit mehr als sechs Prozent Verlust aus der Landesregierung gewählt und ist nur knapp im Landtag geblieben. Auch eine Woche zuvor, in Schleswig-Holstein, hat die FDP fünf Prozent verloren. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit der Ampel in Berlin?

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Nach den Koalitionsverhandlungen in Berlin im vergangenen Herbst konnte die FDP viele Erfolge feiern. Sie hatte alle ihre wesentlichen Forderungen durchbekommen: keine großen neuen Sozialausgaben, kein Tempolimit und das Finanzministerium ging ebenfalls an die FDP. Ebenso in der Coronapolitik setzte sich die FDP mit ihren Forderungen nach Lockerungen und der Ablehnung einer Impfpflicht durch.

FDP kratzt an eigenem Wahlversprechen

Doch nun laufen der FDP in NRW und Schleswig-Holstein viele Wähler davon. Insbesondere in den höheren Altersgruppen war der Aderlass sehr hoch. Bei den über 60-Jährigen verloren die Liberalen in NRW 9 % ihrer Wähler im Vergleich zur letzten Wahl.

"Der FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp in NRW hatte relativ geringe Beliebtheitswerte. Doch es gab auch bundespolitische Gründe", meint der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Uni Münster zum Wahlausgang. "Viele FDP-Wähler haben den Eindruck, dass sie unter die Räder geraten. Sie sind nicht zufrieden mit der Entwicklung der Ampel in Berlin."

Dies wird auch in Umfragen deutlich, in denen die FDP-Wähler im Vergleich zu den Wählern der Koalitionspartner von SPD und Grünen die Arbeit der eigenen Regierung seit Monaten am schlechtesten bewerten.

Noch im Bundestagswahlkampf war der ausgeglichene Haushalt ein Kernversprechen der FDP. Finanzminister Lindner hat jedoch in der Zwischenzeit bereits viel Geld ausgegeben. Schnell wurde ein "Nachtragshaushalt" für den Kampf gegen den Klimawandel und die Digitalisierung aufgelegt.

In der Opposition hatte die FDP eine solche ausgabefreudige Finanzpolitik noch scharf kritisiert. Auch wenn zunächst ungenutzte Corona-Notkredite dafür verwendet wurden, rückt doch das Ziel des ausgeglichenen Haushalts in immer größere Ferne. Und das "Sondervermögen" für die Bundeswehr soll nun noch dazu kommen.

Der Politologe Thomeczek weist darauf hin, dass "viele FDP-Wähler sich von der Bundesregierung auch noch weitergehende steuerliche Entlastungen erwarten." Doch der Spielraum der Bundesregierung sei derzeit begrenzt, da sie sich darauf konzentriere, die "Effekte der kriegsbedingten Inflation auszugleichen."

So sitzt Finanzminister Lindner in einer Zwickmühle: Er soll den Wünschen seiner Wähler nach Entlastungen nachkommen und muss gleichzeitig deren Erwartungen nach einem ausgeglichenen Haushalt erfüllen.

Auch außerhalb der Finanzpolitik kann die FDP aktuell wenig gewinnen. Im Umgang der Bundesregierung mit dem Ukraine-Krieg macht die FDP zwar keine schlechte Figur. Doch die sichtbarsten Minister sind gegenwärtig Grüne: Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck. Die liberale Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ist zwar Talkshow-Dauergast, doch nicht am Kabinettstisch vertreten.

CDU profitiert von der Schwäche der FDP

Jenseits von Krieg und Inflation liegt aber die größte Baustelle noch woanders. Politikwissenschaftler Thomeczek beschreibt den Umgang mit dem Klimawandel als Hauptherausforderung der nächsten Jahrzehnte. Die FDP muss dabei klarmachen: Der Klimaschutz ist nicht verhandelbar.

Gleichzeitig wollen wir die Wirtschaft bei diesem Umbau unterstützen und auch Anreize setzen, zum Beispiel bei "Grünen Jobs". Dabei liegen auf diesem Gebiet dann aber auch die größten Konfliktlinien zwischen den drei Koalitionspartnern. Denn wenn der FDP dies gelingt, könnte "die Partei auch für wirtschaftsfreundliche Grünen-Wähler eine interessante Alternative sein", bemerkt Thomeczek weiter.

Diese Wahlergebnisse könnten nun dazu führen, dass die FDP im Bund beginnt, sich noch mehr zu profilieren – auf Kosten der beiden Koalitionspartner in Berlin. Die FDP dürfte registriert haben, dass die meisten Wähler, die ihnen in Nordrhein-Westfalen in Schleswig-Holstein den Rücken gekehrt haben, zur CDU gewandert sind.

Für Friedrich Merz und seine CDU könnte es aktuell kaum besser laufen. Denn die Christdemokraten müssen, anders als die FDP, derzeit in ihrer Oppositionsrolle nicht auf Regierungszwänge Rücksicht nehmen. Wenn demnächst auch die Umfragen für die FDP im Bund merklich nach unten gehen, dürfte die Unruhe in der Partei noch erheblich zunehmen.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler der Uni Münster
  • infratest dimap DeutschlandTrend April II 2022
  • infratest dimap Wahlreport Landtagswahl Schleswig-Holstein 2022
  • infratest dimap Wahlreport Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2022
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