Die CSU in der Krise: Bei der Landtagswahl droht ihr eine herbe Wahlniederlage und sogar der Verlust der absoluten Mehrheit. Wie konnte das passieren – und muss Markus Söder jetzt um sein Amt als Ministerpräsident fürchten?
Wenn am 14. Oktober die Bayern an die Wahlurnen gehen, könnte das den politischen Bedeutungsverlust der CSU einläuten. Aktuellen Umfragen zufolge dümpelt sie zwischen 33 und 35 Prozent. Dem Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap nach könnte sie die absolute Mehrheit deutlich verfehlen – rein rechnerisch wäre sogar eine Viererkoalition gegen die seit Jahrzehnten allein regierende Partei möglich.
Wie erklärt sich das Umfragetief? Und wieso schafft die CSU keine Trendwende? Laut Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München, gibt es dafür zwei wesentliche Gründe:
- Punkt eins: Die CSU habe keine Strategie, wie die gesellschaftliche Zukunft aussehen soll.
- Punkt zwei: Streit sei zu ihrem Markenzeichen geworden.
Fehlende Strategie
Die CSU pflege – wie fast alle etablierten Parteien – eine traditionelle Sprachlosigkeit, was die Gestaltung der Zukunft angeht, sagt der Politologe. "Die Wähler brauchen aber Orientierung. Sie interessieren sich nicht nur für Kitagebühren, sie wollen auch wissen, wie die Gesellschaft in den nächsten Jahren ausgestaltet werden soll."
Das frustriere auf Dauer. In der Vergangenheit seien deshalb viele Wähler den Wahlurnen ferngeblieben. Nun zöge es viele einstige Nichtwähler zur AfD. "Das ist eine Andockmöglichkeit für Frustration", konstatiert Weidenfeld.
Da helfe auch
Markus Söders erstes großes politisches Programm, der 100-Punkte-Plan, sei dafür ein gutes Beispiel. "Die 100 Punkte kann sich keiner merken und sie bieten auch keine Orientierung", so Weidenfeld. Im Gegenteil, die Wähler blieben verwirrt zurück.
Das könnte erklären, weshalb selbst die CSU-Kernthemen innere Sicherheit, Arbeit und Wirtschaft beim Wähler nicht so recht ziehen. Bundesweit steht Bayern hier an erster Stelle. Dem Freistaat geht es wirtschaftlich sogar besser als je zuvor.
Das betont die CSU auch in ihrem "Programm zur Bayernwahl". Dort heißt es unter anderem: "Bayern ist das Kraftzentrum Deutschlands" oder "Die bayerische Erfolgsgeschichte ist untrennbar mit der CSU verbunden" - wie es auch Markus Söder oder Bayerns Innenminister
Söder ohne Fingerspitzengefühl
Denn das CSU-Wahlprogramm habe ein Orientierungsdefizit, sagt Weidenfeld. Dies sei bei der SPD ähnlich. Auch sie verliert in den Umfragen massiv an Boden. Im ZDF-Politbarometer kommt sie nur noch auf 12 Prozent. Früher hätten die Parteien Orientierung geboten: "Wie Willy Brandt mit seiner Entspannungspolitik. Kohls Konzept war: die Schöpfung bewahren", erklärt Weidenfeld.
Und was Ministerpräsident Söder persönlich betrifft - dem fehle es zuweilen an Fingerspitzengefühl. So sei der Kruzifix-Erlass nicht besonders gut vorbereitet und begründet gewesen, sagt Weidenfeld. Einen Behördenzwang für Kruzifixe zu erlassen, ohne die Gesellschaft darauf vorzubereiten, sei für die Menschen in Bayern nicht zu begreifen gewesen. Selbst die Kirchen waren verwirrt.
Mehr noch: "Im katholisch geprägten Bayern halten mittlerweile viele Christen die CSU nicht mehr für eine Option", sagt Weidenfeld.
Auch das von Söder initiierte Raumfahrtprogramm "Bavaria One" sei ein Beispiel. Ein ähnliches Manöver habe George W. Bush kurz vor den US-Wahlen 2004 vollführt, so Weidenfeld. Damals lag der amtierende US-Präsident in den Umfragen hinter seinem Herausforderer John Kerry. Nach der Ankündigung seines milliardenschweren Marsprogramms gewann er die Wahl.
Doch das, was bei Bush funktionierte, sei auf Bayern nicht übertragbar, erklärt Weidenfeld. In den USA sei die Idee des Grenzen-Überwindens höchst populär, nicht so in Bayern. "Da bedarf es mindestens eines Jahres kultureller Entwicklungsarbeit. Das hat Söder aber nicht gemacht, er hat es einfach nur ausgerufen."
CSU mit "querulatorischem Markenprofil"
Weidenfeld sieht aber nicht nur in der Orientierungslosigkeit und dem Aktionismus Söders ein Problem. Vor allem der Dauerstreit in der Partei und mit der CDU schwäche die CSU. "Die CSU hat über die letzten Jahre ein querulatorisches Markenprofil entwickelt", erklärt der Politologe. Dieses Erscheinungsbild habe sich tief beim Wähler eingeprägt. "Die Menschen mögen nicht, dass sich die führenden Köpfe ständig streiten."
Für Weidenfeld ist klar: Das Agieren der CSU auch im Bund ist Grund für den Misserfolg. Doch die Alphatiere der Partei scheint dies herzlich wenig zu interessieren. Zwischen Markus Söder und Horst
So macht Söder die Bundespolitik für die schlechten Umfragewerte verantwortlich. Indirekt kritisiert er Seehofers Verhalten im Zusammenhang mit dessen Flüchtlings-"Masterplan". Bei einer Veranstaltung der "Bild"-Zeitung sagte er: "Ich gebe zu: Das waren nicht gerade unsere allergrößten Sternstunden!"
Der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Seehofer spielt nun den Ball nach München zurück. "Ich habe mich in den letzten sechs Monaten weder in die bayerische Politik noch in die Wahlkampfführung eingemischt", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Das sei das persönliche Vorrecht Söders. "Er ist zuständig für strategische Überlegungen im Wahlkampf."
Kollateralschäden durch Migrationspolitik der Kanzlerin?
Für das drohende Debakel des CSU in Bayern sieht der Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden allerdings eine Teilschuld auch bei Angela Merkel. Dass die Popularitätswerte der CSU schwinden, sei ein "Teil der Kollateralschäden ihrer fehlerhaften Migrationspolitik". Das habe zu einem Erstarken der AfD geführt, sagt der Politologe im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Die Kanzlerin hat mit ihrer Unnachgiebigkeit gegenüber den migrationspolitischen Vorstellungen der CSU mitbewirkt, dass die CSU in Bayern bei der kommenden Landtagswahl gewaltig an die AfD verlieren wird", so Patzelt weiter. "Dieser Schaden wird irreparabel sein, und zwar auch für die Union insgesamt, weil ihr bei Bundestagswahlen stets die CSU die entscheidenden Stimmenvorsprünge errungen hat."
Weidenfeld sieht eine Mitschuld Merkels insofern, dass sie keine geeignete Strategie liefere. "Sie ist eine perfekte Krisenmanagerin. Aber der strategische Wurf ist nicht ihr Ding", sagt der Experte.
Damit der Katastrophenfall von 33 Prozent oder weniger am Wahltag nicht eintritt, müsse die CSU den Wählern vermitteln, dass sie verstanden habe, dass es einer Orientierung bedarf und Streit nicht zum Erfolg führt, sagt Weidenfeld. Nur so könnte sie noch Anhänger mobilisieren, die einen dramatischen Wahlverlust der CSU dann doch nicht hinnehmen wollen.
Was wird aus Seehofer und Söder?
Allem ungeachtet zeigte sich Seehofer am Wochenende dennoch zuversichtlich: Grundsätzlich sei eine absolute Mehrheit noch möglich. Dass sich Seehofer nach der Wahl als Parteichef halten wird, sieht Weidenfeld allerdings nicht: "Er wird gleich danach aufhören müssen." Die Rückendeckung innerhalb der CSU sei für ihn sehr gering.
Für Söder sieht es wohl besser aus. "Momentan gehe ich davon aus, dass Söder seine Zukunft haben wird", sagt Weidenfeld – allerdings nur, wenn das Wahlergebnis nicht noch dramatischer ausfällt, als die jetzigen Umfragen es andeuten.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München
- Gespräch mit Werner Patzelt, seit 1991 Professor an der TU Dresden; Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Vergleichende Politikwissenschaft
- dpa
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