16- und 17-Jährige dürfen in diesem Jahr erstmals bei der Europawahl ihre Stimme abgeben. Die Parteien buhlen um die Erstwählerinnen und -wähler. Aber interessieren sich junge Menschen überhaupt für europäische Politik? Und wenn ja, was würden sie ändern? Ein Schulbesuch in Brandenburg.

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Mittwoch, dritte Stunde am Carl-Bechstein-Gymnasium in Erkner in Brandenburg, unweit von Berlin: Der Grundkurs "Politische Bildung" der 11. Klasse von Lehrer Pierre Gracz bekommt Besuch aus unserer Redaktion. Die 30 Schülerinnen und Schüler gehören zu einer besonders umworbenen Gruppe bei der Europawahl am 9. Juni: Laut Bundeswahlleiterin dürfen in diesem Jahr 5,1 Millionen junge Menschen in Deutschland erstmals ihre Stimme abgeben.

Gruppe der Erstwähler wird bei Europawahl 2024 größer

Die Gruppe der Erstwählerinnen und Erstwähler ist damit im Vergleich zur Wahl 2019 um 1,2 Millionen Menschen gewachsen. Denn in diesem Jahr dürfen auch 16- und 17-Jährige bei der Europawahl ihre Stimme abgeben. Eine Premiere. Aber wie groß ist ihr Interesse an dieser Abstimmung? Und welche Themen sind ihnen wichtig?

Zum Einstieg gibt es in Erkner eine kleine Aufgabe: "Was verbindet ihr mit Europa?", lautet die Frage. Die meisten Schülerinnen und Schüler müssen nicht lange nachdenken. Nach und nach gehen sie zur Tafel und schreiben das Wort auf, das ihnen ganz spontan einfällt.

Die Schüler schreiben an die Tafel, was sie jeweils mit Europa verbinden. © Fabian Busch

Manche Antworten klingen eher technisch, andere eher emotional. "Wirtschaftliche Zusammenarbeit" und "Verbraucherschutz" steht danach zum Beispiel am Whiteboard, aber auch: "Heimat", "Friedensgemeinschaft" und zwei Mal: "Kultur".

Politische Informationen in den sozialen Medien? Ja, aber bitte mit Inhalt

Dass demnächst eine Europawahl stattfindet, wissen alle im Raum. Bei der Frage, wer sich für diese Wahl interessiert und schon mit anderen Menschen darüber gesprochen hat, gehen dagegen nur sieben Hände in die Höhe.

Woran liegt das? Junge Menschen zerbrechen sich bekanntlich auch über andere Dinge den Kopf als über Politik. Da geht es ihnen nicht anders als älteren Bevölkerungsgruppen. Zudem ist europäische Politik kompliziert und für viele Menschen im Alltag weit weg – auch wenn ein Großteil deutscher Gesetze und Verordnungen inzwischen ihren Ursprung in Brüssel hat, auch wenn wegfallende Roaming-Gebühren, einheitliche Handy-Ladekabel oder EU-weite Reisefreiheit bei vielen Auslandsreisen zu spüren sind.

Schüler Fabio hat aber noch ein weiteres Problem ausgemacht: Er empfindet die Wahlwerbung der Parteien in den sozialen Medien als nervig, er spricht sogar von medialer Belastung. Das Leben junger Menschen spielt sich bekanntlich zu großen Teilen bei TikTok oder Instagram statt. Die AfD hatte das Feld lange weitgehend für sich. Deswegen versuchen auch die anderen Parteien, dort mehr und mehr präsent zu sein.

Aber ein paar lustige Videos reichen dafür nicht, findet Fabio – oder sie nerven so gar. "Die Art, wie Parteien auf TikTok kommunizieren, wirkt oft aufgesetzt oder leicht lächerlich." Besser seien da Inhalte mit mehr Substanz – zum Beispiel kurz zusammengefasste Parteiprogramme.

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Mehr Zusammenarbeit, weniger Subventionen

Die diesjährigen Erstwähler kennen den Kontinent nur so vereint, wie er heute ist. Als sie geboren wurden, waren dauerhafte Grenzkontrollen zwischen den EU-Staaten lange abgeschafft, der Euro als gemeinsame Währung bereits eingeführt. Ein Schüler sagt, er sei sich trotzdem bewusst: Eine Selbstverständlichkeit ist das alles nicht. "Egal, wie man zu Europa steht – es geht uns im Alltag alle an", meint Klara.

Und was würden die Elftklässler ändern, wenn sie selbst Mitglieder des Europäischen Parlaments wären? Die Jugendlichen hätten da durchaus Ideen. Einige wünschen sich generell eine tiefere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten – bis hin zu einer europäischen Armee. Eine bessere Zusammenarbeit in der Migrationspolitik wird genannt. Oder strengere Datenschutz-Richtlinien für Autos.

Aber auch das Thema Geld treibt die Jugendlichen um: Schulsprecher Ole wünscht sich vor allem eine Änderung der Subventionspolitik in der Landwirtschaft: "Das Sterben der kleinen Bauernhöfe wurde bisher nicht aufgehalten", sagt er. Zwei Schüler würden Subventionen für Elektroautos zurückfahren – und mehr auf alternative Technologien setzen.

Testwahl zum Abschluss

Am Ende proben die Schülerinnen und Schüler noch die Abstimmung: Wen würden sie wählen, wenn schon jetzt Europawahl wäre? Lehrer Pierre Gracz sammelt die Wahlzettel in einer Urne ein, eine Schülerin und ein Schüler zählen aus.

Das Ergebnis ist natürlich überhaupt nicht repräsentativ, nur eine Momentaufnahme aus einem Politik-Grundkurs in Erkner. Ein bisschen überraschend ist es trotzdem: Die klassischen Volksparteien bekommen zumindest in dieser Klasse noch den meisten Zuspruch.

  • SPD: 3 Stimmen
  • CDU: 8 Stimmen
  • Grüne: Eine Stimme
  • FDP: Eine Stimme
  • AfD: 2 Stimmen
  • Linke: 3 Stimmen
  • BSW: keine Stimme

Zwölf Schülerinnen und Schüler haben allerdings gar keinen oder einen leeren Zettel abgegeben. Vielleicht lässt sich die eine oder der andere bis zum 9. Juni noch zum Wählen motivieren – wenn die Parteien die richtige Ansprache finden.

Die zitierten Schülerinnen und Schüler wollten in diesem Beitrag nur mit dem Vornamen genannt werden.

Verwendete Quellen

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