Nach dem misslungenen Wahlergebnis wird Parteichef Lars Klingbeil nun auch Fraktionsvorsitzender. Wer ist der Niedersachse, der nun der mächtigste Mann der Sozialdemokratie ist?
"Dieses Ergebnis wird Umbrüche erfordern in der SPD", sagte SPD-Chef
Ziel sei, dass Partei- und Fraktionsvorsitz künftig "in einer Hand liegen", begründete der Parteivorsitzende sein Vorgehen. Zugleich kündigte er einen "Aufarbeitungsprozess" an. Im Zentrum müssten nun "Fragen der Modernisierung und Erneuerung der Sozialdemokratie" stehen. Am Mittwoch hat die neue Bundestagsfraktion Lars Klingbeil zum Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Jusos kritisieren Griff nach Fraktionsvorsitz
Der Niedersachse will offensichtlich als starker Mann der SPD diesen "Aufarbeitungsprozess" moderieren. Manche Sozialdemokraten zeigen sich im Vorfeld darüber irritiert. Juso-Chef Philipp Türmer kritisierte die von Klingbeil maßgeblich verantwortete SPD-Wahlkampagne als "eine einzige Stolperpartie". Jetzt entstehe zudem der fatale Eindruck: "Als erste Reaktion greift einer der Architekten des Misserfolgs nach dem Fraktionsvorsitz", kritisierte Türmer im "Spiegel".
Grund zur Aufarbeitung gibt es für die SPD jedenfalls genug. Nach dem Bruch der schwierigen, durch ständige Streitereien geprägten Ampel-Koalition mit Grünen und FDP Anfang November musste Klingbeil aus einer ungünstigen Ausgangsposition heraus einen kurzen Winter-Wahlkampf organisieren. Eine Neuauflage des Erfolgs von 2021 misslang dabei gründlich. Stattdessen stürzte die Partei am Sonntag auf nur noch 16,4 Prozent ab – ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik.
Klingbeil: Der Konservative unter den Genossen
Klingbeil, der am Tag der Bundestagswahl 47 Jahre alt wurde, zählt innerhalb seiner Partei zum konservativen Seeheimer Kreis – anders als der bisherige SPD-Fraktionschef und Parteilinke Rolf Mützenich, der nicht erneut antreten will. Mit der Wahl Klingbeils in dieses Amt könnten sich also die Gewichte bei den Sozialdemokraten nach rechts verschieben – auch wenn Ko-Parteichefin
Klingbeil hatte den Parteivorsitz im Dezember 2021 als Nachfolger von Norbert Walter-Borjans übernommen, der damals auf eine Wiederwahl verzichtete. Zuvor war Klingbeil seit 2017 SPD-Generalsekretär gewesen. "Menschen und Ressourcen zusammenzubringen, um immer wieder neu um die richtigen Antworten zu ringen" – beschrieb er seine Aufgaben bei seiner Wahl an die Parteispitze an der Seite von Esken.
Als Klingbeil Ende 2017 SPD-Generalsekretär wurde, sollte er eigentlich die Erneuerung der Partei in der Opposition organisieren. Stattdessen führte er nach dem Scheiten der Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis von CDU/CSU, Grünen und FDP damals dann bald Verhandlungen über die Neuauflage der großen Koalition.
Sein größter Erfolg als Generalsekretär war der Bundestagswahlkampf 2021, an dessen Ende die SPD mit Olaf Scholz als Spitzenkandidat wider Erwarten stärkste Kraft wurde. Danach als Parteichef war es seine wichtigste Aufgabe, in der Koalitionsregierung das Profil der SPD weiter erkennbar werden zu lassen.
Klingbeil wurde in Soltau geboren und wuchs im benachbarten Munster auf, einer Kleinstadt mit einem der größten Bundeswehrstandorte Deutschlands. Sein Vater arbeitete als Berufssoldat, seine Mutter als Einzelhandelskauffrau. Klingbeil engagierte sich als Schülersprecher und trat 1996 in die SPD ein.
Ungeachtet seiner Herkunft aus einer Soldatenfamilie verweigerte Klingbeil den Dienst bei der Bundeswehr. Seinen Zivildienst absolvierte er in der Bahnhofsmission Hannover. In der Stadt studierte er auch Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie. Nebenher arbeitete Klingbeil im Wahlkreisbüro des damaligen SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder und machte Kommunalpolitik. Nach mehreren USA-Aufenthalten und einem Nachrücker-Gastspiel 2005 gehört Klingbeil seit 2009 dem Bundestag an, wo er zunächst vor allem Digital- und Verteidigungsthemen beackerte.
Klingbeil ist seit 2019 verheiratet. Zu seinen Hobbies gehört unter anderem das Gitarrenspiel – in jüngeren Jahren trat er unter anderem in der Rockband "Sleeping Silence" auf. Sein Outfit hat der SPD-Politiker im Laufe der Zeit deutlich verändert. Bei seiner ersten Wahl in den Bundestag trug er statt des aktuellen Kurzhaarschnitts noch längere Haare und Augenbrauenpiercing. (afp/ bearbeitet durch ras)