In der Opposition die Demokratie verteidigen und zu alter Stärke finden - mit kraftvollen Worten führt Martin Schulz die SPD in eine neue Rolle. Ein SPD-Experte findet das weder unausweichlich, noch unumstößlich. Er sieht die Genossen vor großen Aufgaben - und noch größeren Schwierigkeiten.

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Die Notbremse also. Keine zehn Minuten waren vergangen seit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten für die SPD, da hatten die Vertreter der Parteiführung die Nachricht in jedes verfügbare Mikrofon getragen - die Sozialdemokraten gehen in die Opposition.

In diesem Schritt schwingt eine Botschaft mit: In der Großen Koalition ist für uns nichts zu gewinnen, vor allem nicht mit einer Kanzlerin Angela Merkel.

Das gilt ja schon als eine Art politisches Gesetz in Deutschland. Thüringens FDP-Vorsitzender Thomas Kemmerich warnte seine Partei vor den Sondierungsgesprächen: "Wer sich mit dieser Kanzlerin ins Bett liegt, kommt darin um."

Martin Schulz will die Partei neu aufstellen

Die SPD will nicht mehr an der Seite Merkels stehen und die Partei "neu aufstellen", wie Martin Schulz sagte. Sich selbst schloss er da nicht mit ein, er will im Dezember erneut für den Vorsitz kandidieren.

"Die SPD hofft, dass allein der Gang in die Opposition schon eine Erneuerung bewirkt", erklärt der Göttinger Politikwissenschaftler Matthias Micus im Gespräch mit dieser Redaktion. "Dabei wäre es viel wichtiger, die Grundlagen zu klären: Was will diese Partei wie und für welche Zielgruppe erreichen?"

Micus hält die Notbremse Opposition für ein reines Symbol - und sieht keine Anzeichen für eine wirkliche Erneuerung der Partei.

Auch in der GroKo kann man gewinnen

Ohne Zweifel gibt es gute Argumente für den Gang in die Opposition - wie den Fluch des Juniorpartners. Seit 1990 mussten Juniorpartner 56 mal bei Bundestags- oder Landtagswahlen Einbußen hinnehmen, nur 18 mal konnten sie dazugewinnen.

Die Person Merkel hat diesen Effekt noch verstärkt, meint Matthias Micus: "Sie schafft es, Partner zu vereinnahmen und in der Umarmung halb zu ersticken."

Das musste nicht nur die SPD leidvoll erfahren, sondern auch die FDP bei der Bundestagswahl 2013, die für die damalige Regierungspartei unter der 5-Prozent-Hürde und damit im Desaster endete.

Zu den negativen Begleitumständen einer Regierungsbeteiligung gehört für Micus auch die um sich greifende Elitenverdrossenheit. "Regierungsbeteiligungen gelten als Malus."

Dieses diffuse Gefühl können die Sozialdemokraten kurzfristig nicht beeinflussen, auch gegen den Fluch des Juniorpartners und Merkels Führungsstil können sie wenig ausrichten.

Aber es gibt einen Faktor, den die SPD beeinflussen hätte können: ihr Profil. Schon einmal hat die Partei es geschafft, sich als Juniorpartner in einer Großen Koalition zu profilieren, im Kabinett Kiesinger von 1966 bis 1969, als die SPD mit der Ostpolitik die Grundlage für ihren Erfolg in den 70er Jahren legte.

SPD fehlen einfach die Themen

So ein Projekt konnten die Sozialdemokraten weder von 2005 bis 2009 noch in der vergangenen Legislaturperiode präsentieren. "Eine große Koalition schwächt den Juniorpartner dann, wenn es in der Substanz an alternativen Konzepten fehlt", sagt Matthias Micus.

Schon jetzt hat Schulz angekündigt, er wolle sich "um Inhalte kümmern", allein acht Regionalkonferenzen sind geplant. Micus ist skeptisch, weil er weder an der Basis noch in der Führung Ideen für Alternativen sieht.

"Es gibt in der Sozialdemokratie keine Figuren, keine Flügel, keine Gruppen, die sich an der Führung gerieben und dabei eine neue Linie entwickelt hätten, die jetzt zum Leitkurs gemacht werden könnte".

Im Wahlkampf habe die Partei den Fehler gemacht, auf jedes Thema aufzuspringen - gerade dadurch habe die SPD inhaltsleer gewirkt.

Deswegen müssten die Sozialdemokraten in ihren Diskussionen klären, was "die neue sozialdemokratische Identität" sein könne. "Man muss die Synthese herausarbeiten aus den alten Grundwerten und den neuen Gegebenheiten - und das dann festmachen an zwei, drei Projekten."

Keine personelle Erneuerung in Sicht

Die bislang einzige Veränderung im Personaltableau ist Andrea Nahles, die den Fraktionsvorsitz übernehmen soll.

Die 47-Jährige gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels und hat als Arbeitsministerin einige Kernprojekte wie den Mindestlohn durchgesetzt.

"Nahles arbeitet seit zwei Jahrzehnten in den höchsten Gremien mit", sagt Micus, "sie hat alles mitbeschlossen, die Agenda 2010, die Rente mit 67. Das ist kein Signal für eine Erneuerung." Aber Grund genug für die Vertreter des eher rechten Seeheimer Kreises, vernehmlich zu murren.

Die Namen, die für andere wichtige Positionen diskutiert werden, klingen ebenfalls vertraut - der Generalsekretär Hubertus Heil möchte gern Parlamentarischer Geschäftsführer werden, ebenso wie Carsten Schneider, bislang Fraktionsvize.

Dazu dürften Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, und Katarina Barley, Schwesig-Nachfolgerin im Familienministerium, in Zukunft eine größere Rolle spielen.

Alles bekannte Gesichter, eine Runderneuerung und Verjüngung, sieht aber anders Die einzigen, die laut darauf drängen, sind die Jusos. Doch Gehör finden sie damit nicht.

Kein Putsch gegen Schulz in Sicht

Das liegt auch daran, weil noch Schulz fest im Sattel zu sitzen scheint und es nicht nach Putsch aussieht. Zumindest bis zur Wahl in Niedersachsen. Erst danach werden auch die Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen so richtig beginnen.

Scheitern sie, steht auch die SPD vor einer neuen Situation - als letzte verbliebene Koalitionsoption für Angela Merkel. Matthias Micus glaubt, dass die Sozialdemokraten dann unter Zugzwang stehen.

"Sie werden alles vermeiden, was auf Neuwahlen hinausläuft. Ich glaube, dass viele Wähler ihr Kreuz nur mit Bauchschmerzen gemacht haben. Die Partei ist eigentlich in einem desolateren Zustand, als es die 20,5 Prozent wiedergeben."

Das könnte einige dazu bewegen, die Notbremse Opposition schnell wieder zu lockern - und damit einen Machtkampf in der Partei auszulösen.

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