- In der Nacht zum vergangenen Sonntag ist ein Politiker der Arbeiterpartei PT erschossen worden. Der Attentäter hatte Kontakt zum Bolsonaro-Clan.
- Politiker geben dem Präsidenten eine Mitschuld an der Tat.
- Ein Experte hält weitere Angriffe im Wahlkampf für wahrscheinlich.
Gewalteskalation im Präsidentschaftswahlkampf in Brasilien: In der Nacht zum vergangenen Sonntag (10. Juli) ist ein Politiker der Arbeiterpartei PT, der auch der Ex-Präsident und zurzeit aussichtsreichste Kandidat
Marcelo Arruda, der an diesem Abend seinen 50. Geburtstag mit einer Lula-Mottoparty feierte, war von einem Mann namens José Jorge da Rocha Guaranho erschossen worden, nachdem dieser auf der Party erschienen war und "Hier ist Bolsonaro!" gerufen hatte, wie die brasilianische Tageszeitung "O Globo" berichtet. Arruda selbst hatte ebenfalls eine Waffe bei sich und verletzte Guaranho schwer. In ersten Berichten war noch davon die Rede, dass er den Verletzungen erlegen war. Inzwischen wurde der Schwerverletzte in Polizeigewahrsam genommen.
Guaranho, der sich auf Twitter als "Konservativer und großer Christ" beschreibt, soll im Justizvollzug tätig gewesen sein. Sein Profil lässt den Schluss zu, dass er ein überzeugter Anhänger und Unterstützer Bolsonaros sein dürfte. Im Juni 2021 veröffentlichte er auf seiner Seite etwa ein Selfie mit Eduardo Bolsonaro, dem jüngsten Sohn des Präsidenten.
Verbindung von Bolsonaro-Sohn zu Steve Bannon
Eduardo gilt als der ideologischste unter den Söhnen des Präsidenten. Er hat sich in der Vergangenheit mehrere Male mit Stephen "Steve" Bannon getroffen. Jener Mann, der mit seinem ultrarechten Nachrichtenportal "Breitbart" 2016
Bannon hatte sich in Europa wiederholt mit rechtspopulistischen und rechtsradikalen Politikerinnen wie
Die brasilianische Öffentlichkeit reagierte schockiert auf die Nachrichten von dem Mord. Fernando Haddad, 2018 Gegenkandidat von Jair Bolsonaro und nun Kandidat der Arbeiterpartei PT für das Amt des Gouverneurs im Bundesstaat São Paulo: "Das ist nicht das Brasilien, das wir kennen und lieben", schrieb er auf Twitter.
Ebenfalls auf Twitter verurteilte die frühere Umweltministerin Marina Silva die Tat: "Eine Folge des von Bolsonaro heraufbeschworenen Kriegs 'Gut gegen Böse', der auf allen Seiten Schmerz, Angst und Trauer hervorruft. Wir müssen dieser Gewaltpolitik ein Ende setzen."
Der bekannte brasilianische Kolumnist Ricardo Noblat formulierte es so: "Bolsonaro tötet. Durch Gedanken, Worte, Taten und Unterlassungen tötet Bolsonaro, wenn er seine Anhänger zu Gewalt ermutigt. Er tötet, wenn er jeden verteidigt, der sich bewaffnen will, er tötet, wenn er die Folter verherrlicht, er tötet, wenn er Vorurteile verbreitet."
Brasilien-Experte: "Tat war logische Konsequenz"
Zu einer ganz ähnlichen Bewertung der Tat kommt auch der Berliner Journalist Niklas Franzen, der zeitweilig auch in São Paulo lebt. Vor wenigen Wochen hat er das Buch "Brasilien über Alles – Bolsonaro und die rechte Revolte" veröffentlicht, in dem er die Politik Bolsonaros und ihre Folgen analysiert. "Das ist in keinster Weise überraschend, eher die logische Konsequenz der Politik Bolsonaros", sagt Franzen."Bolsonaro hat bei vielen Gelegenheiten zum Mord an Linken aufgerufen. Er hat also genau das gefordert, was nun passiert ist."
Rückblick in den Wahlkampf 2018: Damals sorgte ein Wahlkampfvideo für Empörung und Verstörung. Zu sehen war Bolsonaro auf einer Bühne, im Hintergrund ist Jubel zu hören. Er reckt einen Mikrofonständer wie ein Sturmgewehr in die Luft und ruft: "Lasst uns hier in Acre die PT-Anhänger erschießen" (wörtlich: "Vamos fuzilar a petralhada aqui no Acre"). Danach bricht frenetischer Jubel aus.
"Bolsonaro macht im Grunde alles, dass genau solche Taten geschehen", sagt Niklas Franzen. "Darum war das jetzt logisch."
Bereits im Jahr 2018 Schüsse auf Tourbus von Kandidat Lula
Am 27. März 2018, damals wollte Lula noch für das Präsidentenamt kandidieren, wird der Wahlkampfbus von Unbekannten beschossen. Einige Projektile durchschlugen die Karosserie des Gefährts, verletzt wurde aber niemand. Auch dieser Vorfall ereignete sich, wie der Mord nun, im Bundesstaat Paraná.
Vor wenigen Tagen erst warf ein Unbekannter bei einem Wahlkampfauftritt Lulas in Rio de Janeiro einen Feuerwerkskörper und sorgte damit für Unruhe bei der Veranstaltung. Glücklicherweise wurde auch dabei niemand verletzt.
Die Beispiele aber zeigen: Der Wahlkampf, der bereits beim letzten Mal 2018 vor allem verbal äußerst aggressiv vonseiten Bolsonaros geführt worden war, könnte in diesem Jahr gänzlich aus dem Ruder laufen. "Es ist damit zu rechnen, dass es im Zuge des Wahlkampfs weitere Anschläge aus dem rechten Lager geben könnte. Man muss sich auf Gewalt im Wahlkampf einstellen", sagt der Journalist Niklas Franzen.
Bolsonaro reagiert: Gewalttäter sollen Linke unterstützen
Der öffentliche Druck auf Bolsonaro nach dem Mord an Arruda war enorm. So groß sogar, dass er sich dazu veranlasst sah, sich zu der Tat zu äußern. Statt sich zur Tat direkt zu äußern, wiederholte er einen Post aus dem Jahre 2018: "Wir verzichten auf jegliche Unterstützung durch diejenigen, die Gewalt gegen Gegner ausüben. Ich bitte diese Art von Menschen konsequenterweise die Seite zu wechseln und die Linke zu unterstützen, die eine unbestreitbare Geschichte gewalttätiger Episoden hat."
Damit spielt der Präsident auf ein Attentat an, das am 7. September 2018 in Juiz de Fora im Bundesstaat Minas Gerais auf ihn verübt wurde. Damals war ein Unbekannter in einer Menschenmenge aufgetaucht und hatte Bolsonaro ein Messer in den Bauch gerammt. Für das Opfer war der Anschlag zunächst eine Tragödie, der Stich hatte offenbar nur knapp eine wichtige Hauptschlagader verfehlt. Dennoch sollte sich der Vorfall für Bolsonaro rückblickend als Glück entpuppen.
Attentat half Bolsonaro im Wahlkampf
Denn bis zu jenem Zeitpunkt hatte er im Rennen um das Präsidentenamt als Außenseiter gegolten. Die Demoskopen hatten ihm bis zu jenem Zeitpunkt eine Niederlage in jedweder Konstellation der Stichwahl prognostiziert. Mit dem Attentat stieg Bolsonaros Popularität plötzlich an. Täglich posteten seine Söhne Fotos vom Patienten. Ob mit Schläuchen versehen auf dem Krankenbett, später mit Krücken auf dem Krankenhausflur – das Wahlkampfteam um seinen zweiten Sohn, Carlos Bolsonaro, spielte das Thema virtuos in den sozialen Netzwerken. Die Brasilianer, die herzergreifende Geschichten lieben, fanden gefallen an dieser Telenovela. Der Rest ist Geschichte.
Der Fall wurde aufgeklärt. Ein offenbar geistig verwirrter Mann namens Adélio Bispo hatte als Einzeltäter den Anschlag verübt, wie die Bundespolizei später ermittelte. Ein Ergebnis, das den Anhängern Bolsonaros gar nicht gefiel. Bis heute hält sich das aus dem rechten Lager gestreute Gerücht, Bispo hätte vor dem Angriff Verbindungen zur linken Partei PSOL gehabt. Ermittlungen bestätigten diese Vermutungen aber nicht.
Verwendete Quellen:
- Twitter: Jair M. Bolsonaro
- Twitter: Marina Silva (frühere Umweltministerin)
- Youtube: Wahlkampfvideo Bolsonaro
- O Globo: Assassino de militante do PT tem 'script bolsonarista' nas redes sociais
- Twitter: Marina Silva (frühere Umweltministerin)
- Globo: g1: Tiros contra caravana de Lula foram um ataque planejado, diz delegado
- dw.com: Bomba caseira é detonada em ato de Lula no Rio
- cultura.uol.com.br: Polícia Civil corrige informação e diz que agente que matou petista está internado em estado grave
Luiz Inácio Lula da Silva als Gegenpol zur aggressiven Kriegsrhetorik Bolsonaros
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