In Bonn wurde zwei Wochen lang die nächste UN-Klimakonferenz in Paris vorbereitet. Mit bei den oft zähen Verhandlungen war die deutsche Verhandlerin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Heike Henn. "Die Weltgemeinschaft muss sich bei der nächsten Weltklimakonferenz auf einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern einigen", sagt sie im Interview mit unserer Redaktion. Umweltschutzorganisationen konnten keine nennenswerten Fortschritte erkennen.
Frau Henn, die Vorbereitungen für die nächste Klimakonferenz sind heute vorbei. Was ist Ihr Fazit?
Heike Henn: Die Verhandlungen waren auf technischer Ebene, das ist manchmal etwas schwierig zu erklären. Aber dieser Austausch zwischen allen Staaten ist enorm wichtig und wir konnten in einigen Bereichen Fortschritte erzielen. Die Klimaunterhändler konnten sich in letzter Minute auf die offizielle Agenda verständigen, sodass die Zwischenverhandlungen auch offizielle Ergebnisse haben können. Trotz allem Optimismus, den ich immer an den Tag lege, brauchen wir aber noch einen deutlichen Schub und Bereitschaft zu Kooperation für die Weltklimakonferenz in Dubai. Die Weltgemeinschaft muss sich bei der nächsten Weltklimakonferenz insbesondere auf einen Ausstieg aus fossilen Energieträgern einigen. Effektive Minderung von Treibhausgasemissionen ist das beste Mittel gegen die Folgen des Klimawandels.
Was waren Ihre Aufgaben in Bonn?
Wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind immer dann zuständig und gefragt, wenn die Klimathemen Entwicklungsländer betreffen. Die Entwicklungsländer haben am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, sind aber stark von ihren Auswirkungen betroffen. Jeder kennt die erschreckenden Bilder von Überschwemmungen in Bangladesch oder von der Dürre in Somalia.
Bei den Klimaverhandlungen sind wir Teil des EU-Verhandlungsteams. Konkret arbeiten wir aus dem Entwicklungsministerium beispielsweise daran, dass auch die Entwicklungsländer ihre Energieversorgung aus erneuerbaren Energien sichern können und nicht auf fossile Energien angewiesen sind. Auch unterstützen wir sie dabei, besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtzukommen. Das wird unter dem Schlagwort "Anpassung" diskutiert. Denn das werden alle Länder unvermeidlich tun müssen, und ganz stark auch die Entwicklungsländer.
Heike Henn: "Der persönliche Austausch entscheidet oft mit über den Erfolg von Verhandlungen"
Wofür waren Sie noch zuständig?
Ein weiteres großes Thema, für das wir zuständig sind, ist "Loss and Damage". Das steht für Schäden und Verluste durch den Klimawandel, beispielsweise durch extremere Wetterereignisse, den Meeresspiegelanstieg oder die Häufung von Dürren. Persönlich sitze ich in der offiziellen Kommission für diese Thematik. Wir erarbeiten für die nächste Weltklimakonferenz Unterstützungsmechanismen inklusive eines Fonds zu Klimaschäden. Denn die schlimmsten Schäden erleiden nicht die historischen Hauptverursacher, zu denen auch Deutschland zählt, sondern arme und vulnerable Länder im Globalen Süden. Ich möchte hier Brücken bauen, weil ich eine Verantwortung Deutschlands sehe und wir auch mit konkreten Programmen wie dem Globalen Schutzschirm gegen Risiken für die vulnerabelsten Länder vorangehen. Dafür habe ich auch viele Gespräche zwischen den offiziellen Formaten geführt. Der persönliche Austausch entscheidet oft mit über den Erfolg von Verhandlungen.
Wie viele Delegierte sitzen dann in einem Raum und beraten sich?
Das kommt ganz auf das Thema an. Es gibt mal 30 Teilnehmer, dann sind es mehrere Hundert, weil dann beispielsweise auch Vertreterinnen und Vertreter aus der Zivilgesellschaft daran teilnehmen können. So etwa bei dem sogenannten Glasgow-Dialog geschehen, wo es um bestehende Vereinbarungen zur Finanzierung von Maßnahmen zur Vermeidung, Minimierung und Bewältigung klimabedingter Schäden und Verluste ging.
Insgesamt waren 5.000 Delegierte bei den Vorbereitungen vor Ort. Wie läuft so etwas ab, dass am Ende gemeinsame Ergebnisse erzielt werden können?
Die Zwischenverhandlungen finden regelmäßig im Juni in Bonn statt. Sie sind ein wichtiger Schritt, um die Klimaverhandler- und -verhandlerinnen zusammenzubringen, um vor Ort durch gemeinsames Arbeiten Fortschritte zu erzielen. Welche Themen gibt es konkret als Agenda für den Klimagipfel? Und wie können wir diese mit Entwurfstexten vorbereiten? Das sind zentrale Fragen. Wenn man zusammen in einem Raum ist und sich Stunde um Stunde, bis in die Nächte hinein, austauschen kann, bringt es mehr, als es online zu tun. Wie ich schon sagte, vieles spielt sich zwischen den offiziellen Gesprächen ab.
"Wir liegen weltweit auf allen Ebenen weit hinter den Zielvorgaben"
Was waren weitere Themen?
Bei der COP-28 in Dubai findet im Dezember zum ersten Mal eine globale Bestandsaufnahme statt. Bezogen auf das Pariser Klimaabkommen wird geschaut, wo wir weltweit im Jahr 2023 stehen. Eins ist schon mal klar: Wir liegen weltweit auf allen Ebenen weit hinter den Zielvorgaben – insbesondere beim CO2-Budget für unser 1,5-Grad-Limit.
Sie meinen, das Ziel, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Der CO2-Abdruck pro Kopf liegt in Kenia bei 0,4 Tonnen im Jahr. Eine Person in Deutschland verbraucht 7,9 Tonnen. Das sind fast 20-mal mehr Tonnen CO2 im Jahr. Wie soll das geändert werden?
In Deutschland und der EU haben wir ambitionierte Klimaziele und arbeiten intensiv an ihrer Umsetzung. Deutschland will im Jahr 2045 klimaneutral sein, die EU 2050. Wir müssen aber auch global handeln, Treibhausgase halten sich nicht an Grenzen. Deshalb wollen wir die heutige weltweite Ausbaugeschwindigkeit erneuerbarer Energien verdreifachen, um bis 2030 einen Anteil der Erneuerbaren an der weltweiten Stromproduktion auf gut 65 Prozent zu erreichen. Das sollte bei der nächsten Klimakonferenz beschlossen werden. Ergänzend brauchen wir ein Energie-Effizienzziel. Ebenso soll das Ende fossiler Brennstoffe eingeleitet werden, bislang haben die Klimaverhandlungen keinen Beschluss dazu fassen können.
"Wir brauchen alle Länder – auch die, die Gas und Öl produzieren"
Die Klimakonferenz findet in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) statt, die noch sehr auf fossile Rohstoffe setzen. Wie passt das mit dem Ende des fossilen Zeitalters und dem Ausbau erneuerbarer Energien zusammen?
Das wurde in Bonn viel diskutiert. Die Gastgeberländer wechseln nach Regionen und für die Umsetzung des Pariser Abkommens brauchen wir alle Länder, auch diejenigen, die Gas und Öl produzieren. Wenn die Emirate betonen, einen ambitionierten Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits leisten zu wollen, so nehmen wir sie beim Wort.
Ist das Glas bei den globalen Klimaschutz-Bemühungen halb voll oder halb leer?
Beides, je nach Perspektive. Seit der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 ist viel passiert. Es gibt seitdem nationale Klimapläne und eine Menge an Klimaschutz-Initiativen. Wir sind weg von einem Szenario mit einer 5-Grad heißeren "Chaoswelt", wo menschliches Leben auf dem Planeten völlig verändert würde. Davon sind wir noch 2015 in Paris ausgegangen. Gleichzeitig sind diese Fortschritte noch lange nicht ausreichend. Eine aktuelle Klimastudie hat gerade festgestellt, dass wir nur noch sechs Jahre haben, bis wir Kipppunkte im Weltklima erreichen. Sind diese kritischen Grenzwerte erst mal überschritten, wenn etwa die Polkappen weggeschmolzen sind, drohen verheerende Dominoeffekte. Es ist viel zu tun, denn der Klimawandel wartet nicht – im Gegenteil: Er wird weiter angetrieben.
Nach dem Interview gab es einige Reaktionen von Klimaschützern, die allesamt ernüchternd ausfielen. "Die Bonner Gespräche hätten in der Vorbereitung weiter vorankommen müssen", sagte der Klimaexperte der Hilfsorganisation Oxfam, Jan Kowalzig, der Deutschen Presse-Agentur. Die Umweltschutzorganisation WWF bedauerte, dass Bonn "nicht den nötigen Schwung" gebracht habe: "Stattdessen war die Diskussion geprägt durch einen spürbaren Vertrauensverlust, da die Industrieländer ihre Verpflichtungen nicht erfüllen."
Auch Greenpeace-Chef Martin Kaiser konnte keine nennenswerten Fortschritte erkennen. Die Verhandlungen seien vom Ukraine-Krieg und den Spannungen zwischen den USA und China überschattet worden, sagte Kaiser. "Zu dem erhofften Schub progressiver Länder ist es nicht gekommen." Nun müsse man hoffen, dass das bis zur Weltklimakonferenz noch geschehe. "Aber in Bonn war die Ausgangslage dafür definitiv nicht gut."
Verwendete Quellen:
- Mit Material der Deutschen Presseagentur (dpa)
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