Halbzeitbilanz als Nebensache? Kanzlerin Merkel und ihr Vize Olaf Scholz stellen das Ergebnis der Regierungsarbeit eher am Rande vor. Dabei ist das Ergebnis alles andere als schlecht: Von 300 Maßnahmen seien "zwei Drittel auf den Weg gebracht oder vollendet" worden. Bei anderen Punkten, wie der Grundrente, liegen die Partner weit auseinander. Besonders brisant und aufschlussreich ist zudem, was nicht drinsteht.

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Kanzlerin und Vizekanzler stellen die Halbzeitbilanz der Bundesregierung eher beiläufig vor. Nicht einmal eine eigens dafür einberufene Pressekonferenz halten sie für nötig.

Angela Merkel und Olaf Scholz nutzen die Übergabe des Jahresgutachtens der "Wirtschaftsweisen" im Kanzleramt, um so nebenbei ein paar Sätze zur Halbzeit zu verlieren. Selbstverständlich sind Koalition und Regierung "arbeitsfähig und arbeitswillig", versichert die Kanzlerin.

Zuerst hat die morgendliche Ministerrunde das nüchterne Werk ohne Tamtam durchgewunken. "Es war Gegenstand im Kabinett und wurde von allen zur Kenntnis genommen", so Regierungssprecher Steffen Seibert.

Nun sagt Merkel: "Von 300 Großmaßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, haben wir zwei Drittel auf den Weg gebracht oder schon vollendet." Scholz ergänzt: "Gleichzeitig wird sichtbar, es ist von dem, was wir uns vorgenommen haben, noch was zu tun."

Halbzeitbilanz schon im Koalitionsvertrag festgelegt

Die Halbzeitbilanz im Koalitionsvertrag festzuschreiben, habe zum schnellen Abarbeiten der Vorhaben beigetragen, so der SPD-Vizekanzler. Spielfreude für die zweite Halbzeit sieht anders aus. Nicht einmal mehr die Sozialdemokraten scheinen glücklich, das Zwischenzeugnis erzwungen zu haben.

Damals schien sie der SPD nötig, um die Zustimmung der Parteibasis zur Weiterführung der ungeliebten großen Koalition zu bekommen. Heute baut sie bei manchen Vorhaben so viel Druck auf, dass schnell die Grundsatzfrage nach dem Fortbestand der Koalition gestellt wird - zuletzt bei der Grundrente.

Nun kommt die Bilanz ausgerechnet, als es gewaltig knirscht. In der CDU sind viele nicht damit zufrieden, dass es eine Grundrente ohne eine umfassende Prüfung der Bedürftigkeit geben soll.

Der Koalition blieb nun nichts anderes übrig, als das Prestigeprojekt der SPD unter "Was wir noch vorhaben" aufzulisten - auf der 50. von 84 Seiten. Von "Bedürftigkeitsprüfung" steht da nichts mehr - nur, dass die Grundrente denen zugutekommen solle, "die sie brauchen".

Vom Zoff, den es reichlich gab - kein Wort

Schafft das Bündnis beim Koalitionsausschuss am Sonntag eine Einigung? Zumindest Merkel will dies - und warb in der Fraktion am Montagabend für einen Kompromiss.

Vom Zoff, den es reichlich gab - kein Wort. Etwa, dass das Bündnis schon einmal im Frühjahr 2018 fast an Horst Seehofers Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern gescheitert wäre.

Und auch die seit Monaten andauernde Selbstbeschäftigung der SPD nach dem Abgang von Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles und der CDU mit ihrer heftig umstrittenen Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer würde eigentlich zu einem vollständigen Bild des Bündnisses gehören. Und würde wohl ein anderes Licht auf die zwei Jahre werfen.

Doch die Halbzeitbilanz ist ja auch als buchhalterische Auflistung angekündigt worden: Was wurde vom Koalitionsvertrag abgearbeitet - was ist offen?

Familie und Bildung

Weit vorne in der Zwischenbilanz der Koalition stehen die Wohltaten. In der Familien- und auch Bildungspolitik hat die Koalition in den ersten zwei Jahren viel Geld verteilt, was nun entsprechend hervorgehoben wird.

Mehr Kindergeld, höhere Kinderfreibeträge, höhere Sozialleistungen für Kinder aus ärmeren Familien, Milliarden für die Kitas, Milliarden für die Schulen, damit sie sich moderne Technik zulegen, Fördergelder für Hochschulen und Forschung, die Bafög-Erhöhung und die Einführung eines Mindestlohns für Azubis. Unter anderem eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz und ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung sind noch geplant.

Soziales und Gesundheit

Vom Recht zur Rückkehr von Teil- auf Vollzeit bis zu mehr Weiterbildung, von der wieder hälftigen Finanzierung der Krankenkassen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer bis zu Verbesserungen für die Krankenpflege. Gleichzeitig zählt die Regierung sogar Dinge auf, die sie eigentlich gar nicht voll verantwortet, etwa die Anhebung des Mindestlohns auf 9,35 Euro bis 2020. Hierfür ist eigentlich eine eigene Kommission zuständig. Anderes hat die Regierung noch vor, etwa den Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen abschaffen.

Was wohl nicht kommt

Ein heikler Punkt ist, ob die aufgezählten Vorhaben für eine zweite Hälfte der Legislaturperiode reichen. Lieblingsprojekte von Teilen der Union finden sich nicht in der Bilanz - wie eine Senkung von Unternehmenssteuern oder die völlige Abschaffung des Soli.

Und Dinge, die der SPD besonders am Herzen liegen, sind auch nicht enthalten - etwa eine Reform der Grundsicherung, sodass am Ende Hartz IV seinen Schrecken für viele verliert. Es gibt eben etliche Punkte, bei denen die Partner weit auseinanderliegen.

Was den Partnern wichtig ist

Die Stärkung von Wachstum und Innovation angesichts der Konjunkturschwäche - deutliche Signale in dieser Richtung sind vor allem für den CDU-Wirtschaftsflügel in den kommenden Monaten zentral. In der SPD erwarten viele deutliche Zeichen für mehr Gerechtigkeit.

Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Carsten Schneider meint, das nun im parlamentarischen Verfahren befindliche Klimaschutzgesetz habe eine größere Bedeutung als er noch zu Anfang der Wahlperiode gedacht hätte. Reicht das der SPD-Basis?

Die SPD-Führung will ab Anfang nächster Woche die Halbzeitbilanz analysieren, sodass der Parteitag am 6. bis 8. Dezember eine klare Empfehlung zur Groko bekommt. "Insofern denke ich, kann man sehr gelassen auch den weiteren Wochen entgegensehen", meint Interimsparteichefin Malu Dreyer.

Die Union beruhigt das nicht. Hier fürchten viele, dass die SPD-Delegierten neue Forderungen aufstellen, die CDU/CSU gehörig gegen den Strich gehen. Schon im Grundrentenstreit hatten harsche Äußerungen aus der CDU vermuten lassen, dass hier manche ein Aus des Bündnisses lieber früher aus später hätten.  © dpa

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