- Überraschend hat sich Spaniens Ministerpräsident kürzlich dafür ausgesprochen, die Westsahara als Teil Marokkos anzuerkennen.
- In der Region kämpft die Polisario-Front seit langer Zeit für Unabhängigkeit.
- Marokko ist es aber offenbar gelungen, die Stimmung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, obwohl eine Eingliederung der Westsahara völkerrechtswidrig wäre, wie Experten sagen.
Der Westsahara-Konflikt ist einer der langlebigsten, aber auch einer der am wenigsten beachteten Konflikte der Welt. Nur wenige kennen diese Region südlich von Marokko, an der Atlantikküste, die mit einer Fläche von 266.000 Quadratkilometern immerhin doppelt so groß ist wie Griechenland. Es ist eine dünn besiedelte Gegend mit nur rund 600.000 Einwohnern, aber eine, die immer schon Begehrlichkeiten geweckt hat.
Wie viele Länder Afrikas war die Westsahara lange eine Kolonie einer europäischen Seemacht, nämlich Spaniens. Erst nach dem Tod des spanischen Diktators Franco wurde die Westsahara von ihrem Status als Kolonie befreit - um direkt wieder unter fremde Herrschaft zu fallen. Denn 1975 schlossen Spanien, Marokko und Mauretanien ein Dreierabkommen, den Vertrag von Madrid, der die Westsahara den beiden nordafrikanischen Ländern überließ.
Doch die Westsahara wehrte sich in Gestalt der Polisario-Front, die Mauretanien besiegte und 1991 einen Waffenstillstand mit Marokko schloss, der die Westsahara aber teilte: in einen "freien" Teil und in einen (größeren) von Marokko besetzen Teil.
Nach wie vor kämpft die Polisario-Front für die Unabhängigkeit der Demokratisch Arabischen Republik Sahara (DARS), die einige Dutzend Staaten, vor allem in Afrika, anerkannt haben. Der besetzte Teil ist durch die "Mauer der Schande", einen rund 2.700 Kilometer langen, mit Hightech und Minen gesicherten Wall vom freien Teil getrennt. "Die Menschenrechtslage im besetzten Gebiet ist katastrophal", sagt der Politologe und Friedensforscher Werner Ruf im Gespräch mit unserer Redaktion.
Völkerrechtswidrige Besatzung
Dass die Besatzung völkerrechtswidrig ist, steht für Ruf und viele andere Experten außer Frage. "Ein ehemaliges Kolonialgebiet müsste eigentlich durch eine Volksabstimmung über seine Zukunft entscheiden dürfen. Das haben auch Gerichte wie der Europäische Gerichtshof bestätigt." Eine solche Volksabstimmung war auch geplant. Es kam aber nie dazu, weil Marokko sich weigerte und schließlich 2007 einen "Autonomieplan" für die Westsahara vorlegte, der bislang weder umgesetzt noch zu den Akten gelegt wurde.
Nun könnte sich aber etwas tun. Denn der ehemalige Kolonialherr der Westsahara, Spanien, hat sich dieser Tage plötzlich auf die Seite Marokkos geschlagen und sich dafür ausgesprochen, die Westsahara als Teil Marokkos anzuerkennen. Genauer gesagt: der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Bis zu Sánchez' Entscheid hatte Spanien den vom UN-Sicherheitsrat geführten Prozess unterstützt, dessen Kern die Durchführung einer Volksabstimmung der sahrauischen Bevölkerung war. Sánchez' Botschaft an den König von Marokko, Mohammed VI., wurde vom Koalitionspartner Unidas Podemos heftig kritisiert, aber auch von anderen Parteien und Teilen der Zivilgesellschaft.
"Die Anerkennung durch den spanischen Ministerpräsidenten ist in Spanien selbst strittig. Denn eigentlich müssten solche Beschlüsse vom Parlament gefasst werden", sagt Werner Ruf. Dennoch ist die Anerkennung ein Erfolg für Marokko - wenn auch nicht der erste in den vergangenen Jahren. So war etwa Donald Trump in seiner Zeit als US-Präsident ebenfalls der Ansicht, dass die Westsahara zu Marokko gehöre. Und auch aus Sicht der Bundesregierung könne "der von Marokko 2007 vorgeschlagene Autonomieplan (…) einen wichtigen Beitrag leisten, um einer Lösung näherzukommen". Werner Ruf sagt deswegen: "Tatsächlich stand Spanien mit seiner neutralen Haltung in dieser Frage zuletzt eher allein da."
Das Interesse der Europäer an Marokko
Vor diesem Hintergrund überrascht die spanische Wendung nicht. Auch nicht, wenn man weiß, dass Marokko Druck auf die EU ausüben kann, und welche Geschäftsinteressen einige EU-Länder in der Region haben. In dem von Marokko besetzten Gebiet der Westsahara arbeiten auch deutsche Firmen wie Siemens und Heidelberg Cement. Die Region sei ein großer Düngemittel-Produzent, an der Küste gebe es reiche Fischgründe und Marokko sei zudem ein wichtigerer Lieferant für Solarenergie, sagt Ruf. "Länder wie Spanien und Deutschland haben großes Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit Marokko."
Hinzu kommt: Viele der Menschen, die aus Subsahara-Afrika Richtung Norden fliehen, kommen in Marokko an. "Wenn Marokko seine Grenzen öffnet, kommen sie in die EU. Das ist ein Druckmittel, das Marokko gezielt gegen die EU einsetzt." Es scheint, als würde sich die EU in der Flüchtlingsfrage und mit dem Krieg in der Ukraine auch in der Energiefrage erpressbar gegenüber Ländern wie Marokko machen, die sich Regionen offenbar völkerrechtswidrig aneignen möchten.
Für Experten wie Werner Ruf reicht die Frage, wie dieser Konflikt gelöst werden kann, deswegen weit über die Region hinaus: "Es gibt dieser Tage viele Angriffe auf das Völkerrecht. Eine Angliederung der Westsahara an Marokko würde das Völkerrecht weiter demolieren und es so immer schwerer durchsetzbar machen."
"Es wird keine Ruhe einkehren"
In der Region selbst würde eine Unabhängigkeit der Westsahara langfristig sogar eher stabilisierend wirken, sagt der Politologe. "Denn die Sahrauis werden keine Ruhe geben - und somit wird auch keine Ruhe in dem Regionalkonflikt zwischen Marokko und Algerien einkehren." Algerien unterstützt die Polisario-Front. "Es ist ein Markenzeichen algerischer Außenpolitik, Solidarität mit Befreiungsbewegungen zu zeigen", sagt Ruf. Denn: Das Land hat selbst einen fürchterlichen Befreiungskrieg hinter sich.
Der "Autonomieplan" ist jedenfalls aus Rufs Sicht keine Lösung. "Denn es ist völlig unklar, wie 'autonom' die Sahrauis sein werden, wenn das Prinzip der Souveränität Marokkos über die Westsahara erst einmal durchgesetzt wurde."
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Werner Ruf
- Judit Tavakoli, Werner Ruf u.a.: Westsahara – Afrikas letzte Kolonie
- Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 7. Januar 2022
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