Hierzulande hat die Klimaaktivistin Greta Thunberg für ihre Äußerungen zum Israel-Gaza-Krieg einen Hagel an Kritik auf sich gezogen. Auch der deutsche Ableger von "Fridays for Future" hat sich von der 21-jährigen Schwedin distanziert. Vom Image des unschuldigen Mädchens mit Pappschild, das für das Klima kämpft, ist nicht mehr viel übriggeblieben. Hat sich Thunberg auch in Schweden entzaubert?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In Deutschland steht sie scharf in der Kritik: Als "absolut unanständig" bezeichnete die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang laut "Spiegel" die öffentliche Parteinahme der Klimaaktivistin Greta Thunberg für Palästina und gegen Israel und warf ihr vor, das Anliegen des Klimaschutzes zu missbrauchen. Als Gesicht der Klimabewegung habe sich Greta Thunberg dadurch diskreditiert. Der einstige Star des Klimaprotests – ein gefallener Engel?

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Auch der Zentralrat der Juden forderte laut der "Jüdischen Allgemeinen" den deutschen Ableger von "Fridays for Future" auf, sich von der Klima-Ikone aus Schweden zu distanzieren und den Namen zu ändern. Ein "Abbruch jeglicher Kontakte" sei notwendig. Die Organisation entschied sich gegen eine Namensänderung, distanzierte sich aber auf X von Thunberg.

Dabei war die heute 21-Jährige noch vor wenigen Jahren das Aushängeschild der Klimaaktivisten schlechthin – trat auch in deutschen Talkshows auf, protestierte beim Kohletagebau in Lützerath ebenso mit wie im Hambacher Forst.

Was mit einem Pappschild vor dem schwedischen Parlament und einem "Schulstreik für das Klima" begann, führte in Deutschland zur Gründung von über 500 Ortsgruppen von "Fridays for Future". Auch "Scientists for Future", "Parents for Future" und "Grandparents for Future" gingen hierzulande unter ihrer "Flagge" auf die Straße. Das Mädchen aus Stockholm sprach im EU-Parlament, vor den Vereinten Nationen, beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Ihre Weste war weiß.

Greta Thunberg: Ikone auf Irrwegen

Dann jedoch begab sich Thunberg, so titelte der "Spiegel", auf einen "Irrweg". Nicht nur beteiligte sie sich mehrfach an propalästinensischen Demonstrationen und ließ bei ihren Statements Solidarität mit israelischen Opfern vermissen. Sie teilte auf ihrem Instagram-Account auch Beiträge terrornaher Gruppen, wie die "Jüdische Allgemeine" berichtet. Aus Thunbergs Sicht begeht Israel einen "Genozid" und westliche Staaten verübten "repressiven Terror". Sie rief zum Boykott des Landes auf.

Auch in Schweden nimmt man die Kritik an der 21-Jährigen zur Kenntnis. "Die Grünen in Deutschland haben genug von Greta Thunberg" oder "Jüdische Organisationen kritisieren Greta Thunberg", lauten beispielhafte Schlagzeilen. In einem Artikel schreibt beispielsweise die schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter": "Die Äußerungen der schwedischen Aktivistin zum Krieg zwischen Hamas und Israel stoßen in dem Land, das für den Holocaust verantwortlich ist, auf scharfe Kritik."

Die Kritik an Greta Thunberg spiegle dabei die politische Debatte wider, die in Deutschland seit dem 7. Oktober geführt werde. "Der Angriff der Hamas auf Israel hat das Land erschüttert, das während des Holocaust für die Ermordung von sechs Millionen Juden verantwortlich war", heißt es in dem Bericht weiter.

Die Klimabewegung ist gespalten – wegen Greta

Angekratzt ist ihr Image auch in Schweden. "Greta hat im Zuge ihres Aktivismus für Klimathemen einen fast ikonischen Status erreicht – weltweit und natürlich auch in ihrem Heimatland Schweden", sagt Politikwissenschaftler Daniel Schatz, der lange in Schweden gelebt und dort für eine Tageszeitung gearbeitet hat. Thunberg werde in Schweden in der Breite für ihr Engagement respektiert, Menschen von links bis rechts sympathisierten mit ihr.

"Ihr starkes Engagement im israelisch-palästinensischen Konflikt seit Ausbruch des Gaza-Krieges sowie eine Reihe von Maßnahmen, die ihre Organisation 'Fridays for Future' weltweit ergriffen hat, hat zu Spaltungen innerhalb der Bewegung geführt", beobachtet Schatz. Das sei in Deutschland besonders deutlich geworden, wo sich viele Deutsche moralisch verpflichtet fühlten, den Staat Israel zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen.

In Schweden war auch die Aussage von Olaf Scholz, dass es nur einen denkbaren Platz für Deutschland gebe, nämlich an der Seite Israels, eine Nachricht wert. "Israelkritischen Intellektuellen wird der Auftritt in Deutschland verwehrt" schreibt derweil die schwedische Zeitschrift "ETC". "Gretas klare Haltung" habe die Klimabewegung in Deutschland schockiert, behauptet ein anderes Magazin.

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Politikwissenschaftler Schatz sagt: "In Schweden gab es weniger Kontroversen. Hier sympathisieren größere Teile der Klimabewegung eher mit der palästinensischen Sache". Thunbergs Engagement habe jedoch zu weit verbreiteter Kritik von Mitte-Rechts-Wählern und anderen in der Klimabewegung geführt, die meinten, sie habe die Bewegung gekapert, um sich für die palästinensische Sache einzusetzen.

Viele fürchten dabei anscheinend um das Image Schwedens. So schreibt beispielsweise der Politikanalyst Jon Tallinger auf "X", Thunberg sei für die Welt das Gesicht des schwedischen Antisemitismus: "Greta wurde für die Außenwelt zur Terror-Greta. Keine gute Werbung für Schweden."

Über den Experten

  • Dr. Daniel Schatz studierte Politikwissenschaft und Europastudien an der schwedischen Universität Lund. Außerdem studierte er Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität Jerusalem und der New York University. In der Vergangenheit war er Redakteur bei "Svenska Dagbladet", einer der größten und einflussreichsten Tageszeitungen Schwedens.

Verwendete Quellen

Thunberg

Greta Thunberg in Schweden wegen Blockadeaktion verurteilt

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg ist wegen einer Blockadeaktion vor dem schwedischen Parlament zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Polizei hatte Thunberg am 12. und 14. März weggetragen, nachdem sie sich geweigert hatte, den Haupteingang des Parlaments in Stockholm zu verlassen.
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