• Kein Applaus, dafür eine Menge bissiger Fragen – es ist ein ungemütlicher Abend für Olaf Scholz bei ProSieben.
  • Der Kanzlerkandidat reibt sich im Kleinkrieg mit den Moderatoren auf und wird nur selten konkret.

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Wenn Olaf Scholz vor drei Wochen einen gemütlichen Fernsehabend mit dem ProSieben-Interview von Annalena Baerbock verbracht hat, wird er sich danach sicher schon auf sein Gespräch am Mittwochabend gefreut haben: In flauschiger Meet-and-Greet-Atmosphäre hatten die Moderatoren zur besten Sendezeit mit der grünen Kanzlerkandidatin geplaudert – und am Ende sogar artig geklatscht.

Auf Applaus jedoch musste der SPD-Vizekanzler verzichten, und auch sonst war sein Interview ein Kontrastprogramm zum Kuschel-TV mit Baerbock. Ex-Tagesschau-Moderatorin Linda Zervakis und Louis Klamroth klopften Scholz erbarmungslos auf klare Positionen ab, erinnerten an Wirecard, Cum-Ex und G20, alles keine Ruhmesblätter in der langen Karriere des Finanzministers.

Und Scholz machte einen gewichtigen Fehler: Ein ums andere Mal ließ er sich auf Scharmützel mit den Moderatoren ein, statt ungerührt sein Wahlprogramm abzuspulen. Immerhin, gerecht solle es zugehen in einem Deutschland unter Kanzler Scholz, "niemand soll von oben auf andere herabschauen", 12 Euro Mindestlohn, auf dem eigenen Spielfeld der sozialen Gerechtigkeit rammte der Kanzlerkandidat Pflöcke in den Boden. Aber sehr oft blieb es auch sehr vage.

Klamroth zu Scholz: "Sie geben mir keine Antwort"

Überhaupt, Kanzlerkandidat. Ob man sich mit 14 Prozent in den Umfragen so bezeichnen kann, fragt Klamroth, Kollegin Zervakis nennt Scholz den "Underdog". Unfreundlichkeiten, die Scholz noch locker pariert, ähnlich wie Armin Laschet bei solchen Fragen auf seinen Sieg gegen Hannelore Kraft in NRW 2017 verweisen kann, hat Scholz die absolute Mehrheit seiner SPD in Hamburg 2011 in petto.

Nach ein paar Pflichtaufgaben zur aktuellen Situation in Israel ("Israel kann sich auf unsere Solidarität verlassen, das ist Staatsräson."), zur Diversität in einem Kabinett Scholz ("Menschen mit Migrationshintergrund werden sich wiederfinden.") und zu seiner Rolle im Wirecard-Skandal ("Das Finanzministerium hat sich nichts vorzuwerfen.") starten die Moderatoren eine erste "Ja-Nein"-Fragerunde, und plötzlich verschärft sich der Ton.

Es fängt harmlos an: Scholz schreibt seine Tweets nicht selbst, hält sich für reich und würde sich nicht mit der Formel "So wahr mir Gott helfe" vereidigen lassen. Aber dann kommt Hans-Georg Maaßen ins Spiel. "Schließen Sie eine Koalition mit der CDU aus, wenn Maaßen ins Parlament kommt?" Scholz weicht aus, bezeichnet die Kandidatur des Ex-Verfassungsschutzchefs als "bedrückend", redet weiter, wird dann aber von Klamroth unsanft gestoppt: "Sie geben mir keine Antwort."

Interview bei ProSieben: Scholz passen die Fragen nicht

Im Gegensatz zum Duo Thilo Mischke / Katrin Bauerfeind haben sich Klamroth und Zervakis offenbar vorgenommen, das ProSieben-"Infotainment" mit einem Schuss No-Bullshit-Journalismus zu versetzen. Linda Zervakis absolviert ihren ihren ersten Auftritt nach dem Abgang von der "Tagesschau" mit lockerer Seriosität, im Gespann mit dem angriffslustigen bis aggressiven Klamroth spielt sie eher die Rolle des "good cop".

Was sie nicht davon abhält, unbequeme Fragen zu stellen – so stellt sie den zwei Milliarden Euro für das "Aufholpaket" die neun Milliarden Euro für die Lufthansa gegenüber. "Sind Kinder so viel weniger wert?". Ein Vergleich, auf den Scholz "ein bisschen sauer" ist: Er habe sich "zwei Monate beleidigen lassen und schwer gestritten", damit die Aktionäre der Lufthansa eine Staatsbeteiligung akzeptieren.

"Und trotzdem sind zehntausende Mitarbeiterinnen entlassen worden", setzt Klamroth nach. Die Regierung, so sein Vorwurf, habe die Wirtschaft verschont, zulasten der Schulen und der Kultur – die Großraumbüros blieben geöffnet, eine echte Testpflicht blieb aus. Scholz, offensichtlich getroffen, lässt sich jetzt auf ein Scharmützel ein, in dem er die Fragen von Klamroth nacheinander als "Vorurteile", "Polemik" und "billige Nummer" bezeichnet.

Die Ziele sind da, nur die Maßnahmen noch nicht

Wenn Olaf Scholz endlich einmal zur besten Sendezeit im Privatfernsehen seinen Ruf als Scholzomat loswerden wollte, hat er seine Mission an diesem Abend wenigstens zur Hälfte erfüllt. Wenn der Finanzminister angegriffen wird, kann er nämlich durchaus kraftvoll zurückbeißen.

Sobald die Rede auf Inhalte kommt, verströmt der Hanseat aber die Verve eines Steuerbescheids. Selbst, wenn es um Inhalte geht, mit denen die SPD punkten könnte, wie der Abschaffung von Hartz IV. Wieviel Euro mehr das SPD-Bürgergeld am Ende bedeuten würde, das kann der Kanzlerkandidat genauso wenig sagen wie welche Sanktionen genau wegfallen sollen.

Ein ähnliches Bild beim Thema Klimaschutz: In der Analyse des Problems zeigt sich Scholz engagiert, klimaneutrale Produktion bis 2045 bezeichnet er als "die größte technische Herausforderung die Deutschland je hatte", sogar eine harte Breitseite gegen den politischen Gegner in der Groko baut er ein – die Konservativen würden "noch jedes Windrad einzeln bekämpfen" und damit die Energiewende erschweren.

Welche Maßnahmen aber zu den "klaren Zielen" führen können, die Scholz sich und seiner Regierung setzen will? Das lässt Scholz lange unbeantwortet, statt einiger Beispiele gibt der Kanzlerkandidat nur vage Andeutungen von sich: "Viele Dinge, an die gegenwärtig noch niemand denkt." Nur ganz zum Schluss lässt sich Scholz noch eine Hausnummer entlocken: "50,60 Euro" sollten Flugreisen künftig mindestens kosten. Geht doch. Mehr davon, und vielleicht denken bald mehr Leute an etwas, woran heute kaum jemand denkt: Dass dieser Mann wirklich Kanzler werden kann.

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