- Im Zuge des Ukraine-Krieges kommen viele Flüchtlinge nach Deutschland. Ein Asylverfahren müssen die ukrainischen Schutzsuchenden nicht durchlaufen, arbeiten dürfen sie sofort.
- Bei syrischen Kriegsflüchtlinge sah die Realität 2015 ganz anders aus. Damit Platz für die ukrainischen Flüchtlinge ist, müssen andere aus Massenunterkünften weichen.
- Wo die Unterschiede liegen und woher sie kommen, erklärt eine Expertin.
Die Eine-Million-Marke ist bereits geknackt: Zwischen Ende Februar und Mitte Oktober hat das Ausländerzentralregister 1.008.935 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert. Wie viele ukrainische Flüchtlinge genau in Deutschland leben, lässt sich nur schwer bemessen: Ukrainer und Ukrainerinnen können ohne Visum in die EU einreisen und sich im Schengen-Raum frei bewegen.
Feststeht aber: Die Zahl der Unterkünfte wird knapp.
Städte, Gemeinden und ganze Länder machen bereits dicht. Im Erstverteilungssystem haben zwölf von 16 Bundesländern eine Sperre aktiviert. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, schlug kürzlich Alarm: "Wir haben bereits jetzt mehr Geflüchtete als in der Flüchtlingskrise 2015. Die Bevölkerung muss sich darauf gefasst machen, dass wir da wieder in schwierige Situationen kommen."
Kommunen verhängen Aufnahmestopp
Kommunen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen haben außerdem Aufnahmestopps verhängt, weil es zwar Unterkünfte gibt, die Höchstzahl der Personen, die Sozialhilfe bekommen können, aber "ausgeschöpft" ist. Und das zu einer Zeit, in der neben den Schutzsuchenden aus der Ukraine seit einiger Zeit auch die Zahlen weiterer Asylbewerber deutlich ansteigen. Sowohl über das Mittelmeer als auch über die Balkanroute kommen wieder mehr Geflüchtete in die EU.
Dabei ist Flüchtling nicht gleich Flüchtling. Wer in Deutschland ankommt, wird als ukrainischer Flüchtling anders behandelt, als jemand aus Syrien. Während viele ukrainische Flüchtlinge sofort eine eigene Wohnung und die Erlaubnis zu arbeiten erhalten, stecken Geflüchtete zum Beispiel aus Syrien oder Afghanistan teilweise seit Jahren im Status der Duldung, wohnen unter schlechten Bedingungen in Massenunterkünften oder dürfen nicht arbeiten.
Expertin: "Zwei-Klassen-System an Geflüchteten"
Auch ist es bereits vorgekommen, dass Aufnahmeeinrichtungen für ukrainische Flüchtlinge freigezogen werden mussten und die "alten" Flüchtlinge in Unterkünfte mit schlechteren Bedingungen umziehen mussten. Medienberichten zufolge werden Geflüchtete aus der Ukraine auch in Turnhallen untergebracht, müssen dort aber meist nur bis zu zwei Wochen bleiben – dann können sie in eigene Wohnungen oder bessere Unterkünfte umziehen.
"Es gibt durchaus ein Zwei-Klassen-System an Geflüchteten", sagt auch Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat in Nordrhein-Westfalen. Ursächlich sei die sogenannte EU-Massenzustrom-Richtlinie, die kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges zum ersten Mal aktiviert wurde.
"Die Entscheidung geht mit Erleichterungen und einem besseren rechtlichen Status als dem von Asylsuchenden einher", erklärt die Expertin. So haben ukrainische Flüchtlinge, die vorübergehenden Schutz erhalten, beispielsweise ein Aufenthaltsrecht bis zu drei Jahren ohne Asylverfahren, eine sofortige Arbeitserlaubnis und Anspruch auf Sozialleistungen und Krankenversicherung.
EU-Massenzustrom-Richtlinie schafft zwei Realitäten
Rund 56 Prozent der registrierten Ukraine-Flüchtlinge haben den vorübergehenden Schutz bereits erhalten, weitere 17 Prozent haben ihn beantragt und sechs Prozent haben noch keinen Aufenthaltstitel.
"Ukrainische Flüchtlinge haben rechtlich einen anderen Status als reguläre Asylbewerber und müssen kein Asylverfahren durchlaufen", sagt Naujoks. In einem recht unbürokratischen Verfahren würden sie direkt eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Die Entscheidung, die Richtlinie zu aktivieren, sei allerdings nicht gefallen, um die Bedingungen für die Menschen zu verbessern.
"Es ging vor allem darum, die aufnehmenden Strukturen zu entlasten", erklärt die Expertin. Neben der aktivierten Richtlinie würden auch gesetzliche Verbesserungen am Aufenthaltsgesetz dazu beitragen, dass die ukrainischen Flüchtlinge sich heute in einer anderen Position wiederfänden, als syrische Kriegsflüchtlinge im Jahr 2015.
Wohnortwahl, Arbeitserlaubnis, Sprachkurs
"Menschen mit vorübergehendem Schutzstatus brauchten bis vor Kurzem noch eine Beschäftigungserlaubnis für einen konkreten Arbeitsplatz. Genauso, wie Asylsuchende und Geduldete. Im Juni hat man das Gesetz aber geändert", sagt Naujoks. Die Menschen könnten nun ohne jegliche Einschränkung direkt arbeiten.
Bei Asylbewerbern ist das anders: In den ersten Monaten des Asylverfahrens dürfen sie nicht arbeiten. Wessen Asylantrag abgelehnt wurde, der kann außerdem unter Umständen ein Arbeitsverbot erhalten. "In der Praxis ist es außerdem schwierig, dass Arbeitgeber fürchten, dass eine Person Deutschland wieder verlassen muss", betont Naujoks.
Juristisch kann sie die Unterschiede zwar erklären, sie den unterschiedlichen Geflüchteten in der Praxis zu vermitteln, fällt jedoch schwer. Unterschiede gibt es beispielsweise auch in puncto Wohnortwahl, Sprachkurse und staatlichen Leistungen.
Bundesweites Verteilungssystem aktiviert
"Den Schutzsuchenden aus der Ukraine hat man zu Beginn völlig frei überlassen, wo sie wohnen möchten", erinnert Naujoks. Dann habe man festgestellt, dass es zu einer Ungleichverteilung kommt. "Seit Mai hat man deshalb ein bundesweites Verteilungssystem aktiviert, das ähnlich funktioniert wie die Verteilung von Asylsuchenden", sagt Naujoks. Es handele sich um eine Kombination aus Königsteiner-Schlüssel und familiären Bindungen.
Wenn Ukrainer private Anbindungen hätten, werde Schutzsuchenden ermöglicht, frei zu wählen, wo sie wohnen möchten. "Wenn man allerdings einmal einer Kommune zugewiesen ist, gilt für bis zu drei Jahren eine Wohnsitzauflage. Eine gewisse Einschränkung gibt es also schon", erklärt Naujoks.
Asylbewerber können aber nicht wohnen, wo sie wollen – selbst, wenn sie bereits arbeiten. Asylsuchende kämen zunächst für bis zu zwei Jahre in Landesaufnahmeeinrichtungen und würden dann den Kommunen zugewiesen – ohne Freiwilligkeit. Nicht alle können an einem Integrationskurs teilnehmen: Das Angebot besteht nur für bestimmte Gruppen, nämlich Asylbewerber mit "guter Bleibeperspektive".
Unterschied macht sich im Geldbeutel bemerkbar
"Asylsuchende und Geduldete erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, für das die Kommunen zuständig sind. Die anerkannten ukrainischen Flüchtlinge bekämen hingegen Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch, also im Kompetenzbereich des Bundes. Das macht sich nicht nur auf dem Papier bemerkbar, sondern auch im Geldbeutel. Ein alleinstehender Erwachsener erhält über die Leistungen des Bundes 449 Euro, über die Kommunen nur 367 Euro.
"Das sorgt teilweise für Unmut unter den Geflüchteten. Vor allem viele Syrer fragen, warum es bei ihnen nicht so war", berichtet Naujoks aus der Praxis. Es sei eine Ungleichbehandlung, dass man jetzt einen Massenzustrom festgestellt habe und Menschen aus Syrien und Afghanistan 2015 nicht von der Regelung profitieren konnten.
"Die guten Erfahrungen mit Flüchtlingen aus der Ukraine sollte man nun auch auf andere Flüchtlinge übertragen und sie von Anfang an in die Regelsysteme integrieren", fordert Naujoks. Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz müssten abgeschafft werden. "Schutzsuchende dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gibt keine besseren und schlechteren Flüchtlinge", betont sie.
Verwendete Quellen:
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Integrationskurs für Asylbewerbende und Geduldete. 28. November 2018
- Mediendienst Integration: Flüchtlinge aus der Ukraine. Stand 17. Oktober 2022
- badische-zeitung.de: Mehr Flüchtlinge als 2015
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