Besorgte, aber auch hoffnungsvolle Blicke gehen derzeit nach Minsk. Das Gipfeltreffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin soll der Ukraine endlich einen Waffenstillstand ermöglichen. Beobachter fürchten allerdings, dass die Gespräche den Konflikt nicht endgültig begraben können.

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Mindestens 20 Menschen, darunter auch zahlreiche Zivilisten, haben allein am Dienstag ihr Leben verloren. Und es werden nicht die letzten sein, solange die Feuergefechte in der Ukraine andauern. Das weiß auch Kanzlerin Angela Merkel, die mit dem französischen Staatschef Francois Hollande und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko heute nach Weißrussland gereist ist, um auf neutralem Boden mit Kremlchef Wladimir Putin zu verhandeln.

Das primäre Ziel des Vierer-Gipfels lautet: Feuerpause. Es geht aber auch darum, Raum und Zeit zu schaffen für eine längerfristig angelegte politische Lösung. Im Vorfeld hat ein Tross von Beamten an einem Paket mit umfassenden Lösungsangeboten gearbeitet, welche die Ukraine wieder befrieden sollen. Aber was passiert, wenn keine Übereinkunft zustande kommt?

Endgültige Abspaltung des Westens von Russland im Fall eines Scheiterns?

Obwohl die anhaltende Krise in Donbass das Potential hat, den Graben zwischen Russland und dem Westen noch weiter zu vertiefen, glaubt Hans-Henning Schröder nicht an einen Misserfolg. "Die Verhandlungen dürfen nicht scheitern", sagt der Herausgeber und Redakteur der Fachzeitschrift Russland-Analysen. "Hinter den Kulissen ist wochenlang an Eckpunkten gefeilt worden. Bei einem Gipfeltreffen geht es in der Regel um wenige noch strittige Punkte. Man will auf beiden Seiten politischen Willen zu einer Einigung zeigen."

Sollte diese im schlimmsten Fall doch ausbleiben, wären für die nächste Zukunft alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft. Dann sei eine Eskalation des Konflikts kaum noch aufzuhalten, fürchtet auch Schröder.

Werden dann Waffenlieferungen etwa durch die USA unausweichlich?

Können sich die Parteien in Minsk nicht einigen, dürfte sich die Debatte im Westen um Waffenlieferungen in die Ukraine nicht nur verschärfen, wie Außenminister Walter Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit EU-Amtskollegen in Brüssel zu bedenken gab. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass US-Präsident Barack Obama sich dem innenpolitischen Druck beugt und einer militärischen Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte gegen die Separatisten zustimmt, würde steigen. Zumal selbst Nato-General Philip Breedlove eine militärische Option in der Ukraine-Krise mittlerweile nicht mehr ausschließt.

Kommen noch härtere Sanktionen?

Laut Russland-Experte Schröder kann der Konflikt sowohl ökonomisch als auch militärisch weiter eskalieren. "Wirtschaftssanktionen wirken zwar sofort. Einen echten politischen Effekt hätten diese Maßnahmen allerdings erst in ein paar Jahren. Anders als militärische Optionen." Da sich Merkel aber vehement weigert, in der Ukraine mit Waffengewalt vorzugehen, sind zur Zeit nur nicht-militärische Schritte gegen Russland denkbar.

Am kommenden Montag könnte die EU deshalb Reisebeschränkungen und Kontensperrungen gegen 19 ukrainische und russische Personen sowie neun Einrichtungen vornehmen. Beschlossen sind die Sanktionen bereits - aufgrund der Gespräche in Minsk aber noch nicht wirksam.

Kommt es dann zu einem Stellvertreterkrieg in der Ukraine?

Dass sich der bewaffnete Konflikt in der Ukraine zu einem groß angelegten Krieg ausweitet, ist eher unwahrscheinlich. Darauf ist niemand ernsthaft vorbereitet. "Die Nato hat nicht nur keine Truppen in den neuen Mitgliedsstaaten wie Polen oder Tschechien stationiert und auch keine größeren militärischen Anlagen", erklärt Schröder, "hinzu kommt auch, dass die Nato in ganz Europa massiv abgerüstet hat".

Deutschland selbst ist seit langem nicht mehr Militär-, sondern Wirtschaftsmacht. Russland wiederum kann sich nicht allein auf seine Position als Nuklearmacht zurückziehen. Sowohl seine militärischen als auch ökonomischen Mittel sind begrenzt. Und: Die russische Wirtschaft leidet jetzt schon zu massiv unter den bestehenden Sanktionen, als dass tatsächlich Geld für eine derartige Konfrontation vorhanden wäre.

Wie wird Europa dadurch destabilisiert?

"Offensichtlich funktioniert die 1975 durch die Vorgängerorganisation der OSZE festgelegte europäische Sicherheitsordnung nicht mehr", sagt Schröder. Auch wenn der Konflikt in der Ukraine in absehbarer Zeit gelöst werden sollte. Man müsse überlegen, so Schröder, wie Grenzen auch künftig durch auf Vertrauen basierte Abmachungen garantiert werden könnten. "Das geht aber nur mit Russland und den USA gemeinsam, aber ohne die Nato."

Fest steht, dass unterschiedliche Interessen innerhalb der EU ihre eigene Handlungsfähigkeit auf Dauer einschränken. Vor allem die Tatsache, dass nur ein Teil der EU-Staaten Nato-Mitgliedsstaaten und damit relativ sicher sind, während insbesondere die postsowjetischen Staaten um die Unverletzlichkeit ihrer territorialen Integrität fürchten müssen, könnte politische Sprengkraft entwickeln.

Und wie könnte ein Best-Case-Szenario aussehen?

Auch wenn die Zeichen derzeit eher auf Krieg als auf Frieden stehen, ist die Bewältigung der Ukraine-Krise machbar. "Es bräuchte eine Einigung, die dazu führt, dass eine Demarkationslinie festgelegt wird. Diese müsste anschließend durch internationale Vermittler abgesichert werden und dann sollten sich auf beiden Seiten die Truppen zurückziehen", gibt Schröder vor. Wenn diese wesentlichen Punkte erreicht seien, könnte ein Waffenstillstand langfristig halten. Die Krim-Frage würde laut Schröder dagegen jede aktuelle Verhandlung unmöglich machen. "Das Thema und der Status der Ostukraine sind Sorgen, die man sich für später aufheben kann."

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