• Wegen einer Plagiatsaffäre steht Franziska Giffey schon länger in der Kritik.
  • Nun verlässt sie die Bundesregierung vorzeitig - und fasst gleichzeitig den nächsten Karriereschritt ins Auge.

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Sie galt stets als die, die sich kümmert. Als Anwältin der Kinder und Jugendlichen, als Stimme der Schwächsten, die sich nur selten laut Gehör verschaffen, gerade in der Corona- Pandemie. Jetzt ist Franziska Giffey (SPD) recht leise abgetreten, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kreise der Kollegen um Entlassung aus dem Amt gebeten. Nur schriftlich teilt die Familienministerin, die so gern in die Kameras lächelt, das am Mittwoch der Öffentlichkeit mit - ohne Bild und ohne Ton.

Die Affäre um mögliche Plagiate in ihrer Doktorarbeit hat wohl einen Punkt erreicht, in dem der Rückzug die einzige logische Konsequenz zu sein schien. Zwar läuft das Verfahren der erneuten Prüfung der Dissertation aus dem Jahr 2010 noch. Giffey hat bis Anfang Juni Zeit, zum Bericht einer Prüfkommission der Freien Universität (FU) Berlin Stellung zu nehmen. Aber der drohende Entzug des Doktortitels steht im Raum. Giffey hatte für diesen Fall schon länger ihren Rücktritt angekündigt - und mochte nun offenbar nicht mehr warten.

Giffey will im Herbst Regierende Bürgermeisterin Berlins werden

Denn die 43-Jährige, die ihren Aufstieg von der Bürgermeisterin des Berliner Bezirks Neukölln zur Bundesministerin 2018 auch ihrer ostdeutschen, genauer gesagt Brandenburger Herkunft verdankt, hat nach ihrem Abgang von der Bundesbühne weiter Großes vor. In Berlin will sie im Herbst Regierende Bürgermeisterin werden - im Zweifel auch ohne Doktortitel, wie sie schon früh deutlich machte. Daran, so heißt es in ihrer Rücktrittserklärung, ändert sich nichts.

"Augen zu und durch", lautet die Devise der Berliner SPD. Die führt zwar seit 2016 mit Michael Müller als Regierungschef eine rot-rot-grüne Koalition, liegt in Umfragen aber mittlerweile mit 17 bis 20 Prozent klar hinter den Grünen. Den Rückstand aufholen soll Giffey, die seit geraumer Zeit auch SPD-Chefin in der Hauptstadt ist. Eine Alternative ist nicht erkennbar, so dass Forderungen etwa der AfD oder der CSU nach einem Rücktritt auch als Spitzenkandidatin ins Leere laufen dürften.

Giffey tourt dauerlächelnd und volksnah schon seit Monaten trotz Corona-Pandemie durch die Stadt, die ihre "Herzensache" sei, wie sei immer wieder betont. Dabei inszeniert sie sich als Macherin, setzt im Wahlkampf auf Emotionen. Worte wie "zupacken", "Ärmel hochkrempeln", "sich kümmern" sind bei ihren Auftritten immer wieder zu hören - und dass Menschen auch Fehler machen.

"Eine gute Politikerin braucht keinen Doktortitel, sondern Rückgrat"

Vor diesem Hintergrund, so die Hoffnung, werden die Wähler ihr den Fauxpas mit ihrer Doktorarbeit schon durchgehen lassen. "Eine gute Politikerin und eine Regierende Bürgermeisterin braucht keinen Doktortitel, sondern Rückgrat", meint die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe aus Berlin. Vizekanzler Olaf Scholz, auch noch Kanzlerkandidat, lobt Giffey ganz ähnlich als "eine durchsetzungsstarke Politikerin mit Herz und eine mit Rückgrat".

Der Doktortitel, den Giffey seit 2020 nicht mehr führt, beschäftigt sie im Prinzip seit Amtsantritt. Und fast wäre das leidige Thema schon vor längerer Zeit vom Tisch gewesen: Denn die FU entschied im Herbst 2019, Giffey dürfe ihren Doktortitel behalten, erteilte ihr wegen Mängeln in der Arbeit eine Rüge. Nach viel Kritik rollte die FU das Verfahren aber 2020 neu auf. Seit kurzem liegt der Bericht der Prüfkommission vor.

Das Ergebnis ist noch nicht offiziell bekannt, erst nach Stellungnahme Giffeys ist das Verfahren abgeschlossen. Einen Bericht des "Business Insider", wonach die Kommission die Aberkennung des Titels empfiehlt, kommentierte die FU jüngst nicht.

Vor diesem Hintergrund befand Giffey nun, die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Partei und die Öffentlichkeit hätten Anspruch auf Klarheit. "Daher habe ich mich entschieden, die Bundeskanzlerin um Entlassung durch den Bundespräsidenten aus meinem Amt als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu bitten." Gleichzeitig stellt sie klar: "Ich stehe weiterhin zu meiner Aussage, dass ich meine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben habe." Sie bedauere, wenn ihr dabei Fehler unterlaufen seien.

Merkel nimmt Schritt mit "großem Bedauern" und Respekt zur Kenntnis

Merkel nahm den Schritt mit "großem Bedauern" und Respekt zur Kenntnis. Mit Giffey verliert sie die neben ihr einzige ostdeutsche Frau am Kabinettstisch. Wann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Entscheidung besiegeln wird, ist noch offen. Bis dahin bleibt Giffey erst einmal im Amt. Neu besetzen will die SPD den Posten knapp vier Monate vor der Bundestagswahl nicht mehr. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) soll das Amt zusätzlich übernehmen.

Giffey ist nicht die erste Ministerin, die über einen Doktortitel stolpert. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Fälle von Politikern bekannt, die Passagen in ihren Dissertationen nicht sauber dokumentiert haben. So trat CDU-Bundesbildungsministerin Annette Schavan nach dem Entzug ihres Doktortitels 2013 zurück. Zwei Jahre zuvor traf es Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

Ob Giffeys Rücktritt der SPD-Kampagne zur Bundestagswahl schaden wird, ist offen. Eine Ministerin, die wegen einer Plagiatsaffäre den Hut nimmt, wirft kein gutes Licht auf ihre Partei. Andererseits sind die Vorwürfe gegen Giffey bereits seit Jahren bekannt. (Fatima Abbas/Stefan Kruse/dpa/ash)

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