- Erstaunlich geräuschlos ist die FDP in die Ampel-Koalition mit SPD und Grünen gestartet.
- Inzwischen zeigt sich jedoch, dass das Regieren die Liberalen in eine missliche Lage bringt.
- Die Diskussion um die Impfpflicht spaltet die Fraktion. Als Finanzminister muss Christian Lindner zudem zu einem Trick greifen, den er vor Kurzem noch abgelehnt hat.
- Auch auf den neuen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kommt viel Arbeit zu.
Die FDP versucht sich derzeit an einem Balanceakt. Im Wahlkampf hatte sie mehr Freiheit und weniger Beschränkungen in der Corona-Politik versprochen. Doch ausgerechnet zum Eintritt der Liberalen in die Ampel-Koalition mit SPD und Grünen sind die Infektionszahlen in Rekordhöhen geschnellt. Die Krisenbewältigung, die sie zuvor bei der Großen Koalition kritisiert hatte, ist jetzt auch Sache der FDP.
Die Liberalen wollen "wirksamen Gesundheitsschutz verbinden mit so viel gesellschaftlichem Leben wie möglich", sagt Parteichef Christian Lindner am Montag bei einer Pressekonferenz. Von einem Lockdown will er nicht sprechen. Das Wort "Kontaktbeschränkungen" benutzt er aber durchaus.
Geräuschloser Start in die Ampel-Koalition
Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit sind die Liberalen im Herbst in das rot-grün-gelbe Bündnis gestartet. Während sich die Grünen öffentlich über die Verhandlungen beklagten und ihre Basis erst vom Ampel-Vertrag überzeugen mussten, wickelte die FDP die Koalitionsbildung geräuschlos ab.
"Heute können wir sagen: Es ist besser, diese Koalition zu wagen, als auf Gestaltungschancen zu verzichten", sagte Lindner auf dem Parteitag Anfang Dezember. 92 Prozent der Delegierten segneten den Koalitionsvertrag ab. Dass sie Steuererhöhungen und neue Schulden verhinderte, feierte die Partei als großen Erfolg. Sich als bürgerliches Korrektiv von Rot-Grün zu profilieren – dieser Plan der Liberalen schien aufzugehen.
Inzwischen aber zeigt sich auch für die FDP, dass Regieren mühsam ist. Vor allem inmitten der Pandemie. Für eine Partei, die Selbstverantwortung und individuelle Selbstbestimmung zu ihrem Markenkern zählt, sind es schwierige Zeiten.
Widerstand gegen die Impfpflicht
Das zeigt sich besonders in der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus. Mehr als 30 FDP-Abgeordnete haben den Entwurf für einen Antrag im Bundestag unterzeichnet, den Bundestagsvizepräsident
Kubicki bezeichnete die Impfpflicht im Interview mit "Zeit Online" (Bezahlinhalt) als Rache an den Ungeimpften. Neben ihm gehören Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus und Ex-Generalsekretärin Linda Teuteberg zu den Unterzeichnern des Antrags.
Es wird der Partei entgegenkommen, dass die Ampel-Fraktionen es ihren Abgeordneten freistellen wollen, wie sie über die Impfpflicht entscheiden. Diese Regel kommt immer wieder zum Einsatz, wenn es um ethische Fragen geht, bei denen sich die Abgeordneten nur von ihrem Gewissen und nicht von der Fraktionsdisziplin leiten lassen sollen.
Sollten sich noch mehr Abgeordnete als bisher bekannt gegen eine Impfpflicht aussprechen, würde das aber auch bedeuten, dass die Ampel-Koalition bei dieser wichtigen Entscheidung auf die Mithilfe der Opposition angewiesen ist. Das Thema ist für die FDP erkennbar unangenehm. Mehrere Abgeordnete lassen eine Anfrage zu ihrer Haltung zur Impfpflicht unbeantwortet.
Bundesjustizminister Marco Buschmann und der neue Fraktionsvorsitzende Christian Dürr zeigen sich in Interviews noch unschlüssig, wie sie selbst abstimmen wollen. Auch
Christian Lindner: Vom Oppositionschef zum Staatsmann
Lindner hat seit der Bundestagswahl ohnehin eine interessante Wandlung durchgemacht. Nicht nur, weil er seine Koalitionspartner von SPD und Grünen ausgiebig lobt. Mit der bei den Liberalen äußerst skeptisch beäugten SPD-Co-Chefin Saskia Esken ist Lindner sogar seit längerem per du.
Vor allem gibt sich der früher scharfzüngige Oppositionspolitiker in seinem Regierungsamt auffällig staatsmännisch. Er sei nicht Finanzminister der FDP, sondern von Deutschland, sagte Lindner im November bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Für das Amt hatte der Parteivorsitzende gekämpft – auch um seiner Wählerschaft zu signalisieren, dass die FDP ihre Koalitionspartner vom allzu freigiebigen Geldausgeben abhalten will.
Der Sparsamkeit sieht sich Lindner zwar weiterhin verpflichtet. Doch er kommt seinen Koalitionspartnern entgegen. Das Finanzressort sei ein "Ermöglichungsministerium", sagte Lindner bei der Amtsübernahme. Soll heißen: Er muss das Geld beschaffen, um die ehrgeizigen Ziele der Ampel umzusetzen: Die Ampel will Deutschland klimagerecht umbauen und massiv in die marode Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur investieren.
Opposition klagt gegen Lindners Nachtragshaushalt
Die FDP bekennt sich zu diesen Investitionen, lehnt Steuererhöhungen und ein Aufweichen der Schuldenbremse aber gleichzeitig strikt ab. Damit haben sich die Partei und vor allem der Finanzminister ein Problem eingebrockt. Denn woher soll all das Geld für die Ampel-Pläne kommen?
Die Koalition greift unter anderem zu einem Trick: Ein Teil des Geldes, das die vorige Bundesregierung eigentlich für die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie ausgeben wollte, wurde nicht abgerufen. Diese nicht benötigten Kreditermächtigungen will die Ampel stattdessen nun in einen neuen Klima- und Transformationsfonds umleiten.
Es ist allerdings unklar, ob der Schritt rechtens ist. Denn die Schuldenbremse ist eigentlich nur für die Pandemiebewältigung ausgesetzt. Niemand geringeres als Christian Lindner selbst hatte die Umschichtung im Oktober bei "Maybrit Illner" noch als "nicht seriös" abgelehnt.
Dass Lindner diesen Trick jetzt doch anwenden muss, bringt ihm erwartungsgemäß Hohn und Spott der Opposition ein. Die CDU/CSU-Fraktion will gegen den Nachtragshaushalt vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. "Wie lange hat dieses Versprechen gehalten? Keine fünf Tage! Fünf Mal ist die Sonne aufgegangen, danach bricht Christian Lindner das Versprechen mit soliden, nachhaltigen Finanzen", schimpfte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus im Bundestag.
Neuer Generalsekretär Bijan Djir-Sarai: "Enttäuschung sehe ich nicht"
Wird die liberale Basis diesen Regierungskurs mittragen? Koalitionswechsel haben der FDP in der Nachkriegszeit zwei Mal Austrittswellen beschert. Nach dem Sprung in die Ampel-Koalition ist davon bisher nichts zu sehen. Genaue Zahlen gibt es aber noch nicht. Die Statistik zur Mitgliederentwicklung veröffentlicht die FDP erst im kommenden Jahr.
Viel Arbeit kommt in jedem Fall auf Bijan Djir-Sarai zu: Der Parteivorstand hat den Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen als neuen Generalsekretär nominiert.
Von Murren oder Kritik an der Parteibasis will Djir-Sarai nichts wissen. Auf die Frage, wie die Partei mit der Enttäuschung von Wählerinnen und Wähler umgehe, sagt er am Montag auf einer Pressekonferenz: "Diese Enttäuschung spüre ich nicht, sehe ich auch nicht."
Er verweist darauf, dass auch in den anderen Parteien über das Für und Wider einer allgemeinen Impfpflicht diskutiert werden. In der Finanzpolitik ist für ihn klar: "Wir alle müssen uns mit den Folgen der Pandemie beschäftigen." Die Lage sei eine inzwischen eine andere als im Sommer.
Trotzdem räumt auch Djir-Sarai ein, dass eine Herausforderung vor ihm liegt: Die FDP müsse eine attraktive Partei bleiben und erfolgreich in der Regierung werden. Offenbar ist es nicht so, dass beides ganz selbstverständlich zusammenpasst: "Das sind Rollen, die man zusammenbringen muss", sagt Djir-Sarai.
Verwendete Quellen:
- Pressekonferenz mit Christian Lindner und Bijan Djir-Sarai
- RP Online: Schon ein Drittel der FDP-Abgeordneten gegen allgemeine Impfpflicht
- Twitter-Account der CDU/CSU-Fraktion
- Zeit Online: Wolfgang Kubicki: "Daran geht die freiheitliche Gesellschaft zu Grunde"
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